Filmtipp: We All Bleed Red

Der Dokumentarfilm „We All Bleed Red“ begleitet den vielfach ausgezeichneten deutschen Fotografen Martin Schoeller, der nicht nur Stars und Präsidenten, sondern auch die Kehrseite des amerikanischen Traums ablichtet. Der in Frankfurt am Main aufgewachsene und mit rund dreißig internationalen Auszeichnungen gewürdigte Fotograf hat sein Handwerk einst als Assistent von Annie Leibowitz gelernt

Der Blick in die Kamera ist starr, die Mimik ist unbewegt und lässt nicht mal die Andeutung eines Lächelns erkennen: Der Stil von Martin Schoeller, er selbst bezeichnet ihn als „ehrlich“, ist unverkennbar.  Er hat unter anderem für „The New Yorker“ und diverse internationale Magazine Prominente aus den wichtigsten künstlerischen Bereichen porträtiert; Menschen, die nicht nur, aber vor allem in den USA Rang und Namen haben. Innerhalb seiner Branche ist auch er ein Star, was er sich jedoch nicht anmerken lässt.

Schoeller, der seit gut dreißig Jahren in New York lebt und längst wie ein Einheimischer klingt, wäre schon allein wegen seines alltäglichen Broterwerbs eine interessante Persönlichkeit, zumal er nicht digital fotografiert, sondern mit einer klassischen Plattenkamera und ohne Blitzlicht arbeitet. Das ist gewissermaßen die Basis für seine „Close up“-Technik: Man muss stillhalten, während er die Platte wechselt oder das Licht ändert, und das geht am besten, wenn man keine Miene verzieht. Auf diese Weise entstehen die Schoeller-typischen großformatigen Nahaufnahmen, die sämtliche Porträtierten, die Präsidenten ebenso wie die Leute von der Straße, auf irritierende Weise verletzlich wirken lassen. Er stellt sie alle auf eine Stufe, frei nach Joseph Beuys: Jeder Mensch ist ein Star.

Regisseurin Josephine Links, Schoellers 15 Jahre jüngere Stiefschwester, hat ihren Halbbruder jedoch nicht bei den „Promi-Shootings“ beobachtet. Ihr Film „We All Bleed Red“ zeigt eine gänzlich andere Seite des Fotografen, der sich für diverse soziale Initiativen engagiert und mit seinen Bildern auch die Kehrseite des amerikanischen Traums dokumentiert. Für sein jüngstes Projekt hat Links ihn nach Los Angeles begleitet. Im Schatten der Traumfabrik Hollywoods tummeln sich eine Menge Obdachlose. Viele sind drogenabhängig oder prostituieren sich. Schoeller zeigt keinerlei Berührungsängste und findet offenbar den richtigen Ton, um mit den Männern und Frauen ins Gespräch zu kommen. Weil er mehr über sie erfahren will und zudem die richtigen Fragen stellt, schildern sie ihre zum Teil bestürzenden Lebensgeschichten. Viele sind sichtlich erfreut und dankbar, dass jemand ehrliches Interesse an ihnen zeigt und sich Zeit zum Zuhören nimmt. Optisch bedient sich die Regisseurin dabei eines jedes Mal aufs Neue verblüffenden Kniffs: Die Kamera zeigt die Menschen exakt im Stil von Schoellers Porträts; erst wenn sie blinzeln, wird deutlich, dass es sich nicht um eine Fotografie handelt. Ihre mitunter erschütternden Erzählungen werden aus dem Off eingespielt.

Ähnlich bedrückend sind die Berichte mehrerer Männer, die als verurteilte Mörder auf die Todesstrafe warteten, bis sich, zum Teil erst nach vielen Jahren, endlich ihre Unschuld herausstellte. Schoellers Engagement gilt jedoch nicht nur individuellen Schicksalen. Links zeigt ihn auch bei der Zubereitung und Verteilung von Speisen für die Bedürftigen; seine sozialen Projekte finanziert er mit Spendengeldern. Zwischendurch dokumentiert sie die Vorbereitungen für verschiedene Ausstellungen, darunter auch anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz eine Porträtsammlung von 75 Männer und Frauen, die den Holocaust überlebt haben („Survivors – Faces of Life after the Holocaust“).

Wie der denkbar größte Kontrast zu diesem Thema wirkt eine andere Sequenz, als Schoeller mehrere Dragqueens porträtiert; die kunterbunt geschminkten Herren als Damen wirken wie Wesen aus einem Fantasy-Film. Zuvor ist allerdings deutlich geworden, dass alle, die irgendwie „queer“ sind, sexuell also nicht der vermeintlichen Norm entsprechen, regelmäßig Opfer von körperlichen Angriffen werden. Die Öffentlichkeit hat kein Herz für Außenseiter, und das gilt keineswegs nur für die USA. Schoeller will mit seiner Arbeit Aufmerksamkeit für diese Menschen am Rand der Gesellschaft wecken.

Den Abschluss bildet der Besuch eines sogenannten Powwows, wie die Treffen der amerikanischen Ureinwohner heißen. Diesem Kapitel verdankt der Film, der ohne Kommentar auskommt, auch seinen Titel: Als Schoeller einen alten Mann auf die traditionelle Feindschaft zwischen den verschiedenen Stämmen anspricht, mündet dessen Antwort sinngemäß in den Hinweis, dass alle Menschen gleich seien: „We All Bleed Red“, wir alle bluten rot.


„We All Bleed Red“. Deutschland 2024. Buch und Regie: Josephine Links. Kinostart: 28. August 2025

 

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