Free Speech statt Fakten bei Meta

Frau mit großer Lupe

Foto: 123rf

Pünktlich zur Bundestagswahl will der Meta-Konzern mit einem „Elections Operations Center“ Desinformationskampagnen auf seinen Plattformen entgegentreten. Gleichzeitig schafft er in den USA das journalistische Fact Checking ab. Ersetzt werden soll es durch eine Selbstkommentierung der Community („Community Notes“). Was ist für die politische Meinungsbildung auf den Plattformen zu erwarten?

Wer in die Glaskugel unserer digitalen Zukunft schauen möchte, schaue auf die USA unter dem Regnum Trumps. Während der neue US-Präsident die Nachrichtenagentur AP aus dem Weißen Haus und seinem Regierungsflieger verbannt, räumt er den Influencer*innen und Content Creator*innen der sozialen Plattformen zukünftig mehr Platz in der Nähe der Macht ein.

Sekundiert wird er dabei von Meta-Chef Zuckerberg. Der verkündete Anfang Januar das journalistische Fact Checking und die Zusammenarbeit mit Medienhäusern und journalistischen Organisationen („third party  fact-checking program“) auf seinen Plattformen (u.a.Facebook, Instagram) beenden zu wollen.

Meta vor der Bundestagswahl

In Deutschland sendet Meta (noch) andere Signale. Zur Bundestagswahl hat der Konzern sein „Elections Operations Center“ reaktiviert. Das Kontrollzentrum kommt immer wieder bei Wahlen zum Einsatz (UK-Wahl, EU-Wahl 2024) und soll Desinformation in Zusammenhang mit  Wahlen entgegentreten. Expert:nnen, (u.a.) aus den Bereichen „Content Policy, Public Policy und Legal“ sollen dort zusammenarbeiten „um potenzielle Bedrohungen zu identifizieren und spezifische Eindämmungsmaßnahmen …in Echtzeit umzusetzen“ verspricht Meta in seiner Ankündigung. Auch unabhängige Fact Checking-Organisationen sind in der Ankündigung noch als Partner:innen des Center genannt.

Welche Entwicklungen für die politische Meinungs- und Willensbildung sind aber zu erwarten, wenn Meta seine Deregulierungspolitik aus den USA auch auf seine deutschsprachigen Plattformen ausdehnt?

Ende des journalistischen Factchecking bei Meta

Bereits als Kandidat hatte Trump gezeigt, wie er mit der Kontrolle durch etablierte Qualitätsmedien umzugehen gedenkt und hatte Fact Checking aktiv sabotiert. Meta-Chef Zuckerberg hat dieses Vorgehen unmittelbar nach der Wahl adaptiert. „Wir werden einen persönlicheren Ansatz für politische Inhalte verfolgen, so dass Menschen, die mehr davon in ihren Feeds sehen wollen, dies tun können“ ist im entsprechenden Meta-Statement zu lesen.

Dass sich hinter dem progressiv klingenden Slogan des Statements („More Speech und Fewer Mistakes“) eine Abkehr von faktenbasierter politischer Kommunikation und die Hinwendung zu bedingungsloser „free speech“ ohne journalistische Kontrolle verbirgt, befürchten auch deutsche Expert*innen.

Christina Elmer, Professorin für Digitalen Journalismus/Datenjournalismus an der TU Dortmund und ehemals Leiterin des Ressorts Datenjournalismus sowie stellvertretende Entwicklungschefin beim Spiegel ist besorgt. „Qualitätsgesicherte zuverlässige Informationen drohen jetzt hinter Glaubensbekenntnissen jeder Couleur zu verschwinden“, befürchtet sie und ergänzt: „Von den Plattformen ist diese Entwicklung für Europa noch nicht angekündigt. Aber die Faktencheck-Teams stellen sich natürlich bereits darauf ein.“ Ist mit dem Vorrang von „Bürgerinhalten“ und „persönlichen Erfahrungen“ (civic content and personalized experiences) ein Bedeutungsverlust journalistischer Angebote auf den sozialen Plattformen zu befürchten?

Elmer glaubt Anzeichen dafür entdeckt zu haben. „Eine Folge der allgemeinen aktuellen Entwicklung könnte sein, dass die Reichweiten journalistischer Inhalte reduziert werden, gerade wenn es um politische Inhalte geht. Ende Januar war z.B. auf Instagram die Suche nach dem Begriff „democrats“ kurzzeitig geblockt. Meta bezeichnete das später als einen Fehler. Dennoch sollten wir dieses Thema aufmerksam beobachten“, sagt sie.

Auch die Agrar-Instagramerin Marie Hoffmann befürchtet, dass ihre Reichweite auf Instagram durch ihre politischen Beiträge eingeschränkt werden könnte. Zur Wahl hatte sie Politiker*innen befragt. „Wir sind uns noch nicht sicher, ob die Reichweite politischer Inhalte nicht eingeschränkt wird. Deshalb kann es auch sein, dass ich einen Reichweiteneinbruch bekommen werde“, sagte Hoffman dem DLF Kultur-Medienmagazin @mediasres (ab Minute 11:19). Für die politische Berichterstattung der Qualitätsmedien, für die die Plattformen mittlerweile relevante Verbreitungskanäle sind, wäre solch eine Entwicklung natürlich dramatisch.

Community Notes als Alternative zum journalistischen Factchecking

Ersetzen möchte Zuckerberg das Fact Checking (zunächst in den USA) durch  sogenannte „Community Notes“. Die sehen die Kommentierung von Beiträgen durch die Community selbst vor. „Wir haben gesehen, dass dieser Ansatz auf X funktioniert. Dort befähigen sie ihre Community zu entscheiden, wann Posts potenziell irreführend sind und mehr Kontext benötigen. Dort entscheiden Menschen aus verschiedenen Perspektiven, welche Art von Kontext für andere Benutzer hilfreich ist“, ist im o.g. Meta-Statement zu lesen.

Christina Elmer sieht das kritisch: „Ich bin eine Verfechterin des unabhängigen Journalismus. Aus meiner Sicht bergen die Community Notes den Nachteil, dass hier keine qualitätsgesicherten Teams mit redaktionellen Standards einbezogen sind“, sagt sie. Zudem könnten Community Notes leichter durch Bots oder konzertierte gemeinschaftliche Kampagnen manipuliert werden.

Einen Vorteil sieht Elmer allerdings in der Geschwindigkeit der Community Notes. „Man kann sich schnell unter einem Post äußern, während die Recherche und Produktion eines redaktionellen Faktenchecks in der Regel ein paar Stunden dauert“, räumt sie ein. Zudem rege das System zum eigenen Nachdenken und zur kritischen Auseinandersetzung mit Inhalten an. Und es biete tatsächlich die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven einzubeziehen.

Grundsätzlich sieht sie aber eher Nachteile als Vorteile bei den Community Notes, vor allem wegen ihrer Gefährdung durch Manipulation und Instrumentalisierung. „Der sorgfältig durchgeführte und qualitätsgesicherte journalistische Faktencheck, unter Einbezug verschiedener unabhängiger Quellen, erscheint mir grundsätzlich das bessere Format zu sein, um Falschmeldungen zu widerlegen und Menschen über die Hintergründe aufzuklären“, sagt Elmer.

Wie bedeutet nun die US-Entwicklung für Europa und Deutschland?

Meta hat den Kurswechsel zunächst nur für die USA angekündigt. Zudem soll in Europa der Digital Services Act (DSA) vor Fake News und Desinformation schützen.  Laut DSA müssen Plattformbetreiber:innen Maßnahmen ergreifen, um systemische Risiken zu minimieren und illegale Inhalte zu entfernen. Für den Schutz gegen Desinformationskampagnen gibt es außerdem den Code of Practice of Desinformation. Diese Selbstverpflichtung der Plattformen wird aktuell in einen Code of Conduct umgewandelt.

„Hier sehen wir aber bereits an den Zusagen der Plattformbetreiber, dass einige Verpflichtungen nur noch von wenigen großen Plattformen mitgetragen werden, etwa zur Einbindung von Faktenchecks oder zur Zusammenarbeit mit Forschenden. X ist bereits 2023, als es noch Twitter hieß, komplett aus dieser Selbstverpflichtung ausgestiegen“, sagt Christina Elmer.

Einen nachhaltigen Schutz vor dem Abbau demokratischer Kontrolle könnten Plattformen bieten, die gemeinwohlorientiert sind, nicht zentralistisch von rein profitorientierten Playern gesteuert werden und die sich politisch nicht an autokratische Regierungen anschmiegen, wie es aktuell weltweit zu beobachten ist.

In Deutschland fordert u.a. die Initiative „Save Social“ eine solche Entwicklung. Sie fordert „andere Plattformen für soziale Vernetzung, Austausch und Debatte als die chinesischer und US-amerikanischer Monopolkonzerne“. Die könnten Demokratie stärken, „weil sie …in dezentralen Strukturen gesellschaftlichen Austausch und Debatte fördern“.

Voraussetzung einer solchen Entwicklung wäre allerdings, dass sich die Nutzer*innen eher für solche Lösungen entscheiden und Politik und Gesellschaft diese Angebote stärken und ausbauen würden.

 

 

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