Die Uhr tickt – politisch und ökologisch. „Der Ton wird rauer, die Angriffe intensiver“, so NDR-Intendant Joachim Knuth im Begrüßungsgespräch mit Daniel Drepper, dem Vorsitzenden der Journalist*innenvereinigung Netzwerk Recherche (NR), die ihre Jahreskonferenz unter das Motto stellte: „Now is the time. Recherchen für die Demokratie“. Etwa 900 Teilnehmende trafen sich beim NDR Fernsehen in Hamburg zu Austausch und Debatte über die Rolle der Medien in Zeiten des politischen Rechtsrucks und der Klimakrise.
Die freie Journalistin Gilda Sahebi nahm den investigativen Journalismus in ihrer Keynote kritisch-konstruktiv unter die Lupe. Wenn Journalist*innen das Haus der Demokratie mit ihren Recherchen stärken wollten, müssten sie auch sein Fundament im Blick haben. Dieses Fundament seien Erzählungen, die sich aufgrund von Erfahrungen im Unterbewusstsein eines jeden Menschen festsetzen. „Diese Erzählungen schlagen immer Fakten“, betonte Sahebi mit Verweis auf Autokraten, die auf „Geschichten der Spaltung“ setzen wie „Wir und die Ausländer“.
„Erzählungen der Spaltung aufdecken“
Auch gut recherchierte Fakten ändern nichts daran, wenn Erzählungen nicht aufgedeckt werden, die Menschen in faul und fleißig oder nach ethnischer Herkunft sortieren und suggerieren, den einen gehe es besser, wenn es den anderen schlechter gehe. Deswegen sei Menschenfeindlichkeit immer die „Leiter, auf der autoritäre Kräfte aufsteigen“. Die AfD werde nur über Rassismus mächtig und es sei fatal, dass das immer wieder funktioniert. Sahebi appellierte an ihre Kolleg*innen: „Wenn wir Demokratie und Journalismus zusammen denken wollen, geht es darum, die spaltenden Erzählungen bloßzulegen – immer und immer wieder, erbarmungslos und wertschätzend! Und damit können wir nur bei uns selbst anfangen.“
„Recherchen für die Demokratie“, die eine spalterische Politik entlarven, wurden mit altbekannten und neuen Preisen geehrt und im vielfältigen Programm vorgestellt und diskutiert. Außer dem „Leuchtturm“ für das Medienhaus Correctiv und der „Verschlossene Auster“ für Informationsblockierer Verkehrsminister Wissing, gab es erstmalig den Deutschen Preis für Klimajournalismus. Zahlreiche Panels und Workshops zeigten, wie die Klimakrise als Dimension jedes Themas und in unterschiedlichen Formaten behandelt wird.
Ungleichheit feuert die Klimakrise an
Deutschland sei wegen der Vermögensverteilung eines der ungleichsten Länder, sagte Julia Friedrichs, Autorin und Mitgründerin der Tell Me Why Filmproduktion. Ein Prozent der Bevölkerung verfügten über 60 Prozent des gesamten Vermögens. Oda Lambrecht, eine der Autor*innen des NDR-Films „Das Klima und die Reichen“, berichtete von Gesprächen mit den Reichen dieser Welt, die mehr Co2 ausstoßen als die untere Hälfte der Weltbevölkerung. Deren Reaktionen auf ihre Rolle in der Klimakrise reichten vom „Scheißegal“ eines Oldtimerfahrers bis zu einem Hotelmanager, der nach Lösungen suchte.
Ajit Niranjan vom britischen Guardian, der in der Reihe „Carbon Inequality“ Oxfam-Zahlen zu Ungleichheit und Klimakrise journalistisch aufbereitet, war überzeugt: „Das Problem ist die Glorifizierung des Lebensstils der Superreichen“. Er erwartet von der Politik Anreize, davon abzurücken – etwa durch die Vorgabe, ein Privatjet müsse bis 2030 klimaneutral fliegen. Doch Privatjet und Luxusyacht als neue Symbolik für Ungleichheitserzählungen zeigten nur die Endlichkeit von politischen Maßnahmen, meinte Friedrichs. Man müsse nicht nur über individuellen Konsum, sondern auch Investitionen reden – etwa wohin die Gelder von Rentenfonds fließen. Sie kritisierte das Aufschieben des Klimageld-Instruments und fragte: „Wieviel Ungleichheit kann man aushalten?“ Auch wenn dann wieder der „Öko-Diktatur“-Vorwurf komme, müssten wir die Frage nach Verbrauchskontingenten stellen, war sie sich mit Lambrecht einig, die auf wissenschaftliche Diskussionen über Co2-Budgets hinwies.
Was ist Reichtum?
Für eine produktive Klimadebatte und konstruktive Berichterstattung ist es nach Ansicht von Julia Friedrichs wichtig, zu unterscheiden zwischen Milliardär*innen, Millionär*innen und Mittelschicht, immer genau zu benennen, wen etwa eine Besteuerung von Erbschaften betrifft und dass Vermögen nicht Einkommen ist. Ajit Niranjan fand die Frage „Wer ist reich?“ im internationalen Kontext schwierig, da es auch in reichen Ländern wie Deutschland Arme gibt. Verbessert habe sich in der Diskussion allerdings, dass nicht mehr alles individualisiert wird und es inzwischen auch ein strukturelles Problembewusstsein gibt. Doch Ursachen und Zusammenhänge kämen in den Hauptnachrichten immer noch zu kurz, kritisierte Oda Lambrecht. Es müsse deutlicher werden, dass soziale Ungleichheit – national und international – die Klimakrise anfeuert, waren sich alle einig.
„Feinfühlige Formulierungen“ im Wetterbericht
Rechte Trolle und ein nachrichtenmüdes Publikum erschweren die Thematisierung der Klimakrise. ProSiebenSat1.1-Redakteur Alban Burster, der den Wetterbericht moderiert, berichtete von Hass und Hetze im Netz, wenn er 30 Grad und mehr oder gar eine Hitzewelle ankündigt. Um den Shitstorm zu vermeiden, wähle die Redaktion jetzt „feinfühligere Formulierungen“ – wie etwa „Hitzerekord“ und gehe nicht mehr „so tief ins Klimathema“.
Christian Stöcker, Journalist und Kognitionspsychologe, betonte: „Die Rechtsbubble ist Teil der Klimadesinformationsbubble“ und dahinter steckten immer finanzielle, fossile Interessen – sei es der russischen Gas- oder der US-amerikanischen Öl-Industrie. Die meisten Menschen hätten verstanden, was die Klimakrise bedeutet, blockten aber wegen der Folgen. Deshalb gelte es, „einen ordentlichen Journalismus zu machen“, Klima auch im Politik- und Wirtschafts-Ressort zu thematisieren. Statt wie bei der Wärmepumpe sollte man nicht immer „He-said-She-said-Berichte“, sondern auch optimistischere Infos bringen – etwa, dass „2023 weltweit zu 85 Prozent Erneuerbare Energien zugebaut wurden“.
Auch Correctiv-Klimareporterin Annika Joeres bemängelte, dass ressortübergreifendes Denken fehlt. Sie plädierte für konstruktiven Journalismus. Es sollte weniger Wert auf Klicks als darauf gelegt werden, dass ein Beitrag auch zu Ende gelesen wird. Sie setzte auf lokal erfahrbare Themen wie etwa Trinkwasserknappheit und verwies auf den Correctiv-Grundwasseratlas. Der zeigt, welche Regionen besonders betroffen sind. Damit sollen Lokalzeitungen unterstützt werden, die personell schlecht besetzt sind.
Wie man Klima-Berichte unter die Leute bringt
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk versucht das datenjournalistische Team des BR die Klimakrise durch Personalisierung und Interaktivität auf die lokale Alltagsebene herunterzubrechen. Constanze Bayer und Robert Schöffel stellten das interaktive „Unser Bayern 2050“ vor, in dem die Folgen des Klimawandels durch Personalisierung (Wohnort und Alter) anschaulich werden. Den Spieltrieb bedient das Data-Team mit dem Co2-Rechner. Der verdeutlicht, was Heizungstausch, Flugverbot oder Tempolimit fürs Klima bringen. Sie stellten fest, je „lebensbezogenener die Beiträge, desto konkreter auch die Kommentare“ und desto weniger Shitstorm.
Junge Menschen und migrantische Communities, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk weniger nutzen, können – trotz widriger Plattform-Algorithmen – auf Instagram und TikTok erreicht werden. Klimajournalistin Louisa Schneider versucht das mit „progressivem Populismus“. Sie knüpfe an die „Banalität des Alltags“ an und vermeide Angst- und Schuldgefühle, etwa wenn jemand aus Geldmangel Fast Fashion kaufe. Ihre Beiträge gestalte sie nach folgendem Muster: „Hey Leute, die drei Jungs möchten nach Europa, warum, erkläre ich euch jetzt.“ Nach diesem Einstieg schlage sie den Bogen von den großen EU-Fangflotten, die mit ihren Schleppnetzen auch junge Fische fangen und damit das Ökosystem und die Ernährungsgrundlage der Menschen im Senegal zerstören, die dann nach Europa fliehen – wie die drei Fischer. Es gelte, systemische Gründe für die Klimakrise aufzugreifen: Kapitalismus, Kolonialismus, Patriarchalismus.
Die Konferenzteilnehmenden setzten auch Zeichen nach außen. In einer Solidaritätserklärung mit dem in Russland verurteilten US-Journalisten Evan Gershkovich forderten sie seine Freilassung. Und die NR-Mitgliederversammlung schloss Hubert Seipel wegen russischer Geldzahlungen aus dem Netz der Investigativjournalist*innen aus. Er habe „die grundsätzlichen Regeln des unabhängigen Journalismus gebrochen und der Glaubwürdigkeit unseres Berufsstandes massiv geschadet“ habe, so Vorsitzender Drepper.