WR-Kollegen müssen sich neu erfinden – Transfergesellschaft hilft Brücken bauen
„Schockstarre“. So umriss Bernd Maus seine Befindlichkeit, als er am 15. Januar erfuhr, dass für ihn und 120 Kolleginnen und Kollegen der Westfälischen Rundschau (WR) der 31. Januar ihr letzter Arbeitstag sein würde. Mit dem „Aus“ für die WR-Redaktionen hatte die Funke-Mediengruppe Lebensplanungen zunichte gemacht und Meinungsvielfalt in weiten Bereichen Südwestfalens und im Raum Dortmund gekappt. Bernd Maus und sein Kollege Bernhard Schlütter haben die Schockstarre überwunden und sich komplett umorientiert. Noch vor Weihnachten erscheint die zweite Ausgabe ihres regionalen Magazins „Komplett“.
Für WR-Betriebsratsvorsitzenden Uwe Tonscheidt ein Indiz, dass „die Kollegen selber für Publikationen sorgen müssen“ und vor der Frage stehen, ob sich „das wirtschaftlich trägt.“
Ralf Münstermann, zuletzt Newsdesk-Leiter, hat mit einem WR-Kollegen und einem Juristen eine Kundenzeitschrift für Anwälte entwickelt: Klienten-Lektüre und Werbemittel in einem. Sie wollen damit eine Marktlücke füllen. Das Konzept steht, der Starttermin noch nicht. Schon bei 2,5 Prozent Marktabdeckung sei das Magazin profitabel, rechnet Münstermann vor. Der Praxistest, ob das wertig anmutende Heft auch genügend potentielle Abnehmer überzeugt und so vier neue Jobs entstehen können, steht noch aus.
Die Chance, noch journalistisch arbeiten zu können, schätzte Susanne Schulte, zuletzt Lokalredakteurin in Schwerte, von Anfang an als schlecht ein. Schon beim ersten Gespräch bei der Arbeitsagentur machte sie klar, sie könnte sich auch einen anderen Job vorstellen. Als die Beraterin das Info-Blatt „Steuerfachangestellte“ zückte, habe sie „sofort ,joh’ gesagt“, schildert Susanne Schulte das Gespräch. Seit Juli läuft ihr Lehrgang. Ihre Entscheidung hat sie „nicht bereut“. Journalistin ist sie geblieben: „Wenn wir das neu schreiben würden, wäre es verständlicher“, ist sie mit Blick auf Paragrafen und Verordnungen sicher.
Vergebliche Bewerbungen
Vom Gedanken wieder im Traumjob als Sportredakteur arbeiten zu können, hat sich auch Thomas Dietrich verabschiedet. Beim Praktikum in einer Versicherungsagentur kann er auf einer kaufmännischen Ausbildung aufbauen – eine Lösung, „die vielleicht weiterhilft.“ Und: „Wenigstens der Umgang mit Menschen bleibt.“
Volker Lübke (53) hat seit Februar 54 Bewerbungen geschrieben, zeigt sich flexibel. Auf 65 Kilometer um seinen Wohnort hat er den Aktionsradius erweitert, „damit ich Köln, Dortmund und einen Teil des Ruhrgebiets drin habe.“ Sein Fazit: „Bis zum Bewerbungsgespräch läuft nur etwas über persönliche Kontakte oder Empfehlungen.“. Und: „Wer die ‚5’ vorne stehen hat, der landet nicht einmal auf dem C-Stapel, sondern fliegt gleich raus.“ Inzwischen sieht er sich eher als Selbstständiger „mit einem Bauchladen“. Bedrückend ist für ihn das Risiko – bei der Verantwortung für Familie mit drei Kindern verständlich. So geht es vielen der ehemaligen WR-Akteure. Zahlen machen das deutlich. 21 kamen wieder bei der Funke-Gruppe unter. 39 der 120 Freigestellten befinden sich noch in der Kündigungsfrist. 80 hatten Anspruch auf Transfermaßnahmen. Tonscheidt: „Eine große Anzahl hat das Angebot auch angenommen.“ Wie viele von der Möglichkeit der weiteren Qualifizierung Gebrauch machen, steht erst im Januar fest, wenn für das Gros die Kündigungsfrist abgelaufen ist.
Die Transfergesellschaft Inplace bietet Workshops zu Themen wie Öffentlichkeitsarbeit, Existenzgründung oder / und Web-Aktivitäten. Dass es überhaupt eine Transfergesellschaft gibt, dazu mit breitem Angebot, verdanken die WR-Redakteure/innen ihrem Betriebsrat und dem kürzlich verstorbenen ehemaligen BR-Vorsitzenden Jörg Tuschhoff. Er hat uns „trotz schwerer Erkrankung intensiv bei den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber und der ddvg unterstützt“, betonen Uwe Tonscheidt und Alexander Völkel, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Die Medienholding der SPD (ddvg), hatte im Frühjahr ihren Anteil an der WR für 16 Mio. Euro an die Funke-Gruppe verkauft. Nach zähem Ringen stellte sie zusätzlich zum Arbeitgeberanteil und dem Zuschuss der Agentur für Arbeit einen sechsstelligen Betrag für Transfermaßnahmen zur Verfügung.
Ein Versuch, neue Perspektiven zu eröffnen. Aber wer sich entscheidet, künftig selbstständig zu arbeiten, „findet immer weniger Abnehmer“, bilanziert Völkel. Nicht nur die Anzahl journalistischer Stellen, auch die der Medien in NRW schrumpfe. Freien Journalisten, ehemalige freie Mitarbeiter der WR eingeschlossen, die lokal ihr Auskommen hatten, „ist die Grundlage entzogen worden“, so Völkel.
Uwe Tonscheidt sieht Politik und Verbände in der Pflicht. Sie müssten nach Lösungen für eine „demokratische Grundversorgung“ suchen, um die Medienvielfalt zu erhalten. Es sollte „überall mindestens eine 2. Stimme“ geben. Mit der Medienkonzentration und dem Rückzug von Verlagen aus Verbreitungsgebieten taucht ein neues Problem auf. Pressebüros finden kaum noch Adressaten für ihre Texte. „Denen brechen dann auch zunehmend die Aufträge weg“, folgert Alexander Völkel. – Und damit auch die vermeintlich neuen Arbeitsplätze für ehemalige WR-Redakteure.