Alternativen zu männlichen Heldengeschichten

Auf dem Podium des Medienlabors (v.l.): Diana Löbl, Dr. Alexandra Borchardt, Inge Kloepfer, Annette Jensen, Elisabeth Behrmann Foto: Corinna Klingler

„Das bisschen Haushalt…“ – Der Titel des Medienlabors, vom Journalistinnenbund (JB) unter der Frage „Wie Journalistinnen über Ökonomie berichten“ am 8. November in Frankfurt/Main organisiert, war durchaus zweideutig. Fünf namhafte Vertreterinnen der Profession begaben sich auf die Suche nach Alternativen zwischen den Polen: Private Arbeit – vor allem Pflege und Erziehung, die im klassischen Wirtschaftsjournalismus fast nicht vorkommt. Oder öffentliche Haushalte und Unternehmensbilanzen, die nicht zu verstehen Journalistinnen gerne unterstellt wird.

In der Ablehnung männlicher „Heldengeschichten“ über Macher in der Wirtschaft war frau sich schnell einig. Doch war die Keynote „Mein Kind, mein Kleid, mein Unternehmen“ nun ein Plädoyer für Frauen als die besseren Männer?, wie Diskutantin Inge Kloepfer bemängelte. Oder eine Ermutigung, sich die Machtspiele der Manager augenzwinkernd zu Nutze zu machen? Dies nahm Sprecherin Claudia Cornelsen für sich in Anspruch.

Das Format „Medienlabor“ war für die Suche nach Alternativen zum männerdominierten Mainstream-Journalismus ersonnen worden. Statt vom Podium aus Fragen des Publikums zu beantworten, begeben sich seither die geladenen hochkarätigen Gäste in moderierte Tischrunden mit den Teilnehmerinnen. Nach den Themen Verlagserbinnen, Kriegsberichterstattung, Boulevard und Frauenzeitschriften widmete sich das fünfte Labor dem Wirtschaftsjournalismus.

Stereotype und Klischees zerpflückt

Als Keynote-Sprecherinnen nahmen die Medienberaterinnen Claudia Cornelsen und Christine Gräbe von der Berliner Parnass GmbH (Geschlechter-)Stereotype und Klischees im Wirtschaftsjournalismus auseinander. Etwa die Interview-Einstiegsfrage an die Chefin der Berliner Verkehrsgesellschaft Sigrid Nikutta: „Sie sind Vorstandsvorsitzende und schwanger mit dem fünften Kind, Ihr Mann kümmert sich um die Familie. Wie hält er Sie aus?“ („Der Spiegel“, 12/16) Wäre ein Spitzenmanager Herr Nikutta das Gleiche gefragt worden? Oder das aktuelle Manager Magazin, voll von Geschichten über mächtige Männer. Über Frauen gibt es hingegen wenig zu lesen, und wenn, dann ohne Insignien der Macht, dafür aber als außergewöhnlich inszeniert.

In der Einstiegsrunde ging es um die Perspektive der Macherinnen, die eine Berichterstattung „vom CEO top down“ als langweilig zurückwiesen. Inge Kloepfer, nach ihrer Zeit bei der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ nun freie Journalistin, sinnierte über Testosteron-gesteuerte Männer, die bewundernd über die Beschleunigung des Geldes schrieben. Alexandra Borchardt, Chefin vom Dienst bei der „Süddeutschen“, wies darauf hin, dass zur Wirtschaft auch Arbeitnehmerinnen und Konsumenten, Mieter und Wohnungseigentümerinnen gehörten. Annette Jensen, die das Ressort Wirtschaft und Umwelt bei der „tageszeitung“ mitgründete, und die freie TV-Autorin Diana Löbl, die mit einer Dokumentation über Leiharbeitnehmende bei Amazon auf sich aufmerksam machte, suchen den anderen Blick auf Wirtschaft. Jensen recherchiert über alternative, nicht wachstumsgetriebene Wirtschaftsformen. Doch diese Bereiche fristeten auch in der linksalternativen „taz“ ein nur geduldetes Nischendasein, auch weil konstruktive Berichterstattung als „unkritisch“ gilt. Und Löbl recherchiert investigativ für das öffentlich-rechtliche Fernsehen am untersten Ende des Arbeitsmarkts.

Hartnäckiges Nachhaken und anderer Zugang

Von der Männerdominanz in Wirtschaft und Wirtschaftsressort wussten alle Gäste zu berichten. Sie setze dieser Dominanz Hartnäckigkeit, resolutes Auftreten, Nachhaken, intelligente Fragen und neue Blickwinkel entgegen, sagte Elisabeth Behrmann, die bei Bloomberg die Autoindustrie beobachtet. Löbl erfährt die Dominanz als Dickfelligkeit großer Konzerne, die zu ihren Recherchen gleichgültig schweigen. Ex-F.A.S.-Redakteurin Kloepfer witzelte, Frauen würden noch heute zwar gefördert, Männer aber befördert.

Die Männerdominanz bringe zugleich eine gewisse Narrenfreiheit mit sich, meinte Jensen. Als Frau habe sie an der Börse oder auf der IAA Fragen stellen können, die Männer sich nicht erlauben dürften. Auch Kloepfer vermutete, dass ihre Biografie über Friede Springer deswegen zum Bestseller wurde, weil sie „als Frau“ einen persönlicheren Zugang zu der Verlegerin bekommen habe.

Am Ende blieb die Frage im Raum, warum Frauen in der Wirtschaft so wenig stattfinden. Alexandra Borchardt machte Stereotype, Machtverhältnisse und Sexismus verantwortlich. Kloepfer erklärte die FAZ bei den Frauen für komplett gescheitert. Eine Herausgeberin sei dort nach wie vor undenkbar. Hingegen leistet sich Bloomberg ein redaktionelles Diversity-Team und einen Gender-Index; unter anderem, um dafür zu sorgen, dass ein Minimum an Expertinnen zu Wort kommt. Als „Sonderplattform“ bezeichnete Kloepfer das SZ-Wirtschaftsmagazin „Plan W – Frauen verändern Wirtschaft“. Und Borchardt, die den Titel mitentwickelt hat, muss erfahren, wie diesem trotz des Erfolgs feste Strukturen und finanzielle Sicherheit verwehrt bleiben.

Und was ist mit den Frauen, die angeblich für Statements und Interviews nicht zu bekommen sind? Diana Löbl hat da so ihre eigene Erfahrung. Nach der Ausstrahlung eines brisanten Stücks, das sie mit ihrem Co-Autor produziert hatte, bekam dieser 50 Anrufe und sie einen einzigen – und zwar von einem Redakteur, der ihren Kollegen sprechen wollte. Übrigens aus der Redaktion einer der Talkmasterinnen, die so gerne über die Schwierigkeiten klagen, Frauen für ihre Gesprächsrunden zu gewinnen.

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