Attraktive Profession im Zwielicht

Arbeitsbedingungen für Wirtschaftsjournalisten leiden unter sinkenden Werbeeinnahmen – schärfere Anstellungsverträge

Weder der Boom vor zwei, drei Jahren mit Jobhuntern und Traumgehältern, noch das derzeitige Kriseln mit Entlassungen und Titeleinstellungen können darüber hinweg täuschen: Auch Wirtschaftsjournalisten sind „nur“ Arbeitnehmer, Angestellte bei Verlagen, Agenturen, Sendern und Online-Diensten. Und doch stehen sie zunehmend im Mittelpunkt öffentlichen Interesses.

In Berlin-Brandenburg ist Nicolas Lieven ein kleiner Radiostar. Auch in Süddeutschland ist der Hamburger Journalist mit dem wohlklingenden Titel „Audio Correspondent“ auf der Visitenkarte kein Unbekannter. Kein Wunder: Der 32jährige verklickert täglich auf fast einem halben Dutzend Radiosendern, darunter die SFB / ORB-Welle Radio Eins und das Münchener Radio Charivari, hunderttausenden Hörerinnen und Hörern die Börsennews.

Geschickte Promotion

Doch der smarte Lieven beschränkt sich nicht nur auf das Verlesen von Tickermeldungen, sondern schweift gern in die Hintergründe der Wirtschaftswelt ab. Da er auch weitgehend das „Fachchinesisch“ der Finanzgurus vermeidet, schlagfertig und witzig mit den Morgenmoderatoren plaudert, macht er so geschickt Promotion für sein Heimatblatt, die Financial Times Deutschland (FTD). Deren Headlines und Top-Storys tauchen bevorzugt bei Lieven auf, alibimäßig selten wird auch mal die Konkurrenz wie „Handelsblatt“ erwähnt. Der gebürtige Schwabe ist Teil des FTD-Audio-Service, der von rund 30 Stationen bundesweit genutzt wird. Für den Zusatzdienst FTD-Business Telex wirbt das Kooperationsblatt von Pearson und Gruner+Jahr Werbekunden sogar mit dem Argument, ihr teures Geld sei durch Programmsponsoring gut angelegt, denn: die Botschaften in „kompetente und seriöse Berichterstattung“ eingebettet befriedige das „wachsende Interesse an Wirtschaftsinformationen“.

Wachsender Hunger nach Börseninformationen

Tatsächlich hat sich die deutsche Gesellschaft in den letzten Jahren deutlich vom Volk der Börsen-Abstinenzler zur Zocker-Gemeinschaft entwickelt: Viele hatten schon immer ein wenig Geld auf der hohen Kante, zumeist aber in Versicherungen und Bausparverträgen angelegt. Doch die neue Euphorie hat die Zahl der Besitzer von Aktien und Fondsanteilen hierzulande in den letzten fünf Jahren auf rund zwölf Millionen mehr als verdoppelt. Parallel stieg der entsprechende Hunger nach Informationen und Tipps, den Medienunternehmer mit neuen Finanz- und Wirtschaftstiteln, mehr entsprechenden Themenseiten in normalen Tageszeitungen und Zeitschriften sowie Geldportalen im Web stillen wollten. Sogar Fernsehen und Radio nahmen sich verstärkt der spröden Ökonomie an, so dass heute neben drei Dutzend speziellen Formaten keine Nachrichtensendung mehr ohne Kurse und Unternehmensnews auskommt.

Klagte noch vor reichlich zwei Jahren zum Beispiel der Chef des Wirtschaftsressorts der „Süddeutschen Zeitung“, Nikolaus Piper im Fachdienst „Der Wirtschaftsredakteur“, die „Nachfrage an guten Wirtschaftsjournalisten ist momentan gar nicht zu decken“, hat sich das Blatt gewendet. Trotz guter Ausbildung ist Klasse statt Masse nun das Motto – auch und gerade in Zeiten von Werberezession, Firmenpleiten und fallenden Kursen. Geblieben ist, dass der Wirtschaftsredakteur unter den annähernd 65 000 Journalisten der Bundesrepublik eine der attraktiven und gefragten Professionen ist.

Allerdings setzt mit der medialen Marktbereinigung zugleich ein Prozess der Professionalisierung ein – befördert auch durch „schwarze Schafe“ vor allem im Bereich der journalistischen „Börsen-Gurus“. Die Liste der auffälligen Kollegen reicht vom früheren 3sat-Experten Egbert Prior, der letztes Jahr wegen Insidergeschäften mit einer geringen Geldbuße davon kam, über den im Jahr 2000 zeitweilig inhaftierten Vizechef des „Aktionär“, Sascha Opel bis zum ersten „Focus Money“-Chef Manfred Schumacher, der im gleichen Jahr wenige Tage nach dem Start des Magazins seinen Job niederlegte.

Angesichts dessen setzt sich schon länger die Erkenntnis durch, dass offenbar die gewöhnlichen Anstellungsbedingungen, wie sie für alle Journalisten in der Bundesrepublik gelten, für die Wirtschaftszunft nicht mehr ausreichen. Normalerweise werden auch Wirtschaftsjournalisten gemäß den zwischen Unternehmern und Gewerkschaften ausgehandelten Tarifverträgen eingestellt. Für hauptberufliche Freie gibt es einen Extra-Tarifvertrag mit Mindesthonoraren. Die unverbindlichen Tagessatz-Empfehlungen der Mittelstandsvereinigungen Wort bzw. Bild fallen zwar höher aus, kommen aber selten zur Anwendung.

Pressekodex ausreichend?

Abgesehen von hauseigenen Regelungen in Arbeitsverträgen, wie den fünf Grundsätzen des Axel Springer Verlags, müssen sich natürlich Wirtschafts- wie auch alle anderen Printjournalisten an den Pressekodex halten – auch wenn der nicht explizit in ihren Arbeits- oder Honorarverträgen steht. Der Deutsche Presserat als Selbstkontrollgremium der Print-Branche hat seine „Publizistischen Grundsätze“ von 1973 inzwischen mehrfach überarbeitet – zuletzt im Juni 2001. Für Wirtschaftsjournalisten stehen in den 16 Regeln aber keine Extrabestimmungen, auch wenn unter Ziffer 7 ausdrücklich ergänzt wurde, dass die Berichterstattung nicht „durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflußt werden“ darf. Bis dato bestand nur ein Verbot der Beeinflussung „durch private oder geschäftliche Interessen Dritter“ unter Berufung auf die „Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit“. In der gleichen Ziffer 7 ist auch die strikte „Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken“ festgelegt. Kritiker der kleinen Änderung wenden jedoch ein: Sie biete – weder Lesern, Aktienbesitzern noch Firmen – ausreichenden Schutz vor Fehlentwicklungen gerade im Wirtschaftsjournalismus. Zumal der Presserat außer abdruckpflichtigen Rügen keine verbindlichen Sanktionen gegen einzelne Redakteure und Verlage verhängen kann. Außerdem habe sich der Presserat nur bewegt, weil aus dem Bundeswirtschaftsministerium ein Kodex für Kapitalmarktkommunikation drohte, in dem neben Analysten explizit Journalisten genannt und fast auf eine Stufe gestellt werden. Inzwischen scheiterte der auch als Gesetz geplante Kodex-Entwurf u.a. an Einwänden von Experten des Bundesfinanzministeriums. Nicht ganz unbeteiligt an diesem „Begräbnis erster Klasse“ („Süddeutsche Zeitung“) ist die Medienbranche selbst. Sowohl der Presserat wie auch Verleger- und Journalistenverbände verweisen darauf, dass Wirtschaftsjournalisten ohnehin den geltenden Gesetzen wie dem Wertpapierhandelsgesetz unterliegen. Das sieht zum Beispiel in § 14 bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe für sogenannten Insiderhandel vor. Wenn also eine Person, auch ein Journalist in einem Hintergrundgespräch, über eine börsennotierte Firma kursrelevante Informationen erfährt und diese zum raschen Kauf oder Verkauf der entsprechenden Aktien oder Fondsanteile nutzt, macht er sich strafbar. Das entsprechende Bundesaufsichtsamt wacht darüber.

Zusätzliche Regelungen

Zwar gibt es ähnliche Regelungen auch in anderen Ländern, doch in der Schweiz, Großbritannien und den USA zum Beispiel haben die jeweiligen Selbstkontrollgremien der Medienbranche noch Extra- Regeln für Wirtschaftsjournalisten. Angesichts dessen und unter dem Druck, publizistische Glaubwürdigkeit in geschäftlichen Erfolg umzumünzen, wollen sich auch deutsche Wirtschaftsverlage nicht mit der Änderung des Pressekodex zufrieden geben. Dem Beispiel der „Financial Times“, der Agentur Reuters und des „Wall Street Journal“ folgend, müssen sich seit einiger Zeit auch Journalisten etwa beim „Handelsblatt“, „Financial Times Deutschland“ (FTD) oder der „Börsen-Zeitung“ zusätzlichen Regeln unterwerfen.

Wertpapiere offenbaren

Dabei ist der Grad der Verbindlichkeit sehr unterschiedlich: Beim „Han delsblatt“ müssen Redakteure den Namen der im Besitz befindlichen Wertpapiere dem Verlag offenbaren, bei der „F.A.Z. Electronic Media“ die ´94er Wertpapierhandelgesetz-Vorgaben nochmals schriftlich anerkennen und bei der „FTD“ sogar einen eigenen Fünf-Punkte-Verhaltenskodex unterschreiben. Andere wie der „Spiegel“ oder „Focus“ belassen es bei mündlichen Belehrungen, bei „Capital“ steht auf Insiderspekulationen von Journalisten die außerordentliche Kündigung. Die „Süddeutsche Zeitung“ will die Wirtschaftsproblematik im Rahmen eines „Ethik-Papiers“ zusammen mit anderen Fragen wie etwa Parteizugehörigkeit oder der Begleitung von Politikern auf Staatskosten regeln.

Eine Verständigung auf einheitliche Regeln für glaubwürdigen Finanzjournalismus in Deutschland sind auch deswegen nicht in Sicht, weil deren Inhalt unter den Betroffenen selbst heftig umstritten ist. Soll ein Wirtschafts- und Finanzjournalist selbst gar keine Aktien besitzen? Soll er nur über die Firmen, Banken und Fonds schreiben, an denen er selbst keine Anteile hält, oder generell über das gesamte Marktsegment nicht? Reicht eine Offenlegung des privaten Depots der Journalisten gegenüber dem Arbeitgeber – mit oder ohne Mitwirkung des Betriebsrates? Oder ist das alles eine Verletzung von Arbeits- und Persönlichkeitsrechten bzw. gar eine Gefährdung der im Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten Pressefreiheit?

Vollständige Aufklärung gibt auch nicht ein vom Bundesarbeitsgericht in Erfurt Ende Mai ergangenes Urteil. Obwohl in Vorinstanzen zweimal unterlegen, hatte der Handelsblatt-Betriebsrat das Verfahren angestrebt, dem eine Mitwirkung bei der vom Verlag geforderten Depotoffenlegung der Redakteure verweigert worden war. Das erklärten nun die Erfurter Bundesrichter für rechtens – bis auf Marginalien wie die Mitsprache der Arbeitnehmervertretung bei der Gestaltung des Formblatts. So müssen „Handelsblättler“ auch künftig Auskunft gegenüber dem Verlag und nicht etwa gegenüber einer neutralen Stelle wie einem Notar, über ihren Aktienbesitz erteilen. Über die entsprechenden Firmen dürfen sie dann nicht regelmäßig berichten – oder müssen sich binnen eines Jahres von ihren Aktien trennen. Auch ohne das Urteil sollen sich schon über 90 Prozent der „Handelsblatt“-Redakteure freiwillig erklärt haben – immerhin ging es um ihren Arbeitsplatz!

Überhaupt greift die derzeitige Debatte um besondere Anstellungsregeln für Wirtschaftsjournalisten in etlichen Punkten zu kurz. Warum sollen Presseerzeugnisse nur von „persönlichen wirtschaftlichen Interessen von Journalistinnen und Journalisten“ frei gehalten werden? Haben nicht auch ihre Chefs – Verleger und Medienmanager, die nach Arbeitsrecht gegenüber ihren angestellten Redakteuren weisungsbefugt sind – solche Eigeninteressen, besitzen gar Wertpapierdepots?

Gläserner Journalist

Und was ist mit den freien Journalisten und Autoren, warum sollen angestellte Redakteure mit Sonderregeln „bestraft“ werden? Vollends kompliziert wird es zum Beispiel im Fall des „Spiegel“. Dessen Redakteure sind über Mitarbeiteranteile Mitbesitzer nicht nur des Magazins, sondern auch der diversen Online- und TV-Ableger der Hamburger. Und wie ist das mit Bertelsmann-Genussscheinen für Mitarbeiter oder den Aktien und Anteilscheinen von Neue-Markt-Unternehmen, die womöglich auch journalistische Online-Dienste betreiben? „Ich bin für den gläsernen Journalisten“, sagt der bekannte ARD-Börsenmann Frank Lehmann.

„Die Versuchung, das eigene Fachwissen doppelt gewinnbringend zum eigenen Vorteil einzusetzen, gibt es noch in anderen Spielarten des Journalismus, beim Reise-, Medizin- und Motorjournalismus, aber auch im Medienjournalismus“, konstatierte Dr. Volker Lilienthal von epd medien zu Recht. Der Bogen spannt sich noch weiter, denn saubere Recherche und kritisches Hinterfragen von Firmen-PR stehen in keinem Anstellungsvertrag von Journalisten, auch nicht von Wirtschaftsredakteuren, sind aber wesentlich für guten Journalismus im Interesse der Öffentlichkeit. Außer den üblichen Gefährdungen wie subjektive Schlamperei ziehen neue Gefahren herauf: So hat die Bundesregierung ein Transparenz- und Publizitätsgesetz auf Initiative des Bundesjustizministeriums beschlossen, das durch verschärfte Verschwiegenheitspflicht für Vorstände wichtige journalistische Quellen zur Aufdeckung von Wirtschaftsskandalen zu verschütten droht. Da hilft im Notfall dann auch kein verbessertes Zeugnisverweigerungsrecht …

In Brüssel hat die EU mit Hochdruck eine sogenannte „market abuse“-Richtlinie durchgedrückt. Derzufolge könnten künftig auch Finanz- und Wirtschaftsjournalisten für die Auswirkungen von unkorrekten bzw. Falschmeldungen haftbar gemacht werden. Und: Sie muß demnächst in nationales, also auch deutsches Recht, umgesetzt werden. Mitgegangen, mitgehangen ist zwar Volksmund – aber befördert derartiger Brüsseler Populismus wirklich die Qualität von Wirtschaftsjournalismus? Womöglich käme dann auch noch ein Verleger auf die Idee, solche pressefreiheitsfeindliche Überregulierung in künftige Arbeitsverträge aufzunehmen. Wehret den Anfängen – ohne die „schwarzen Schafe“ zu decken, kann deshalb nur das Motto lauten.

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