„Auftrags-Journalisten“ und journalistisches Selbstverständnis

Neue Trainings-Prämissen für Public Relations – ein Diskussionsangebot

Globalisierung, Verstopfung der Kommunikations-Kanäle, Selektions-Notstand von Journalisten und zunehmende Kommerzialisierung der Medien schaffen ein neues Szenario, innerhalb dessen Public-Relations-Fachleute sich bewegen und bewähren müssen. Die anhaltende Ausbildung von PR-Profis zu Pressetextern, Bittstellern und Aposteln einer heilen Welt greift zu kurz. Nur diejenigen Seminare und Studiengänge, die das Szenario realitätsgetreu vermitteln, knallharte Antworten geben und praktikable Schlußfolgerungen ziehen, versetzen Berufsanfänger und Fortgeschrittene in die Lage, ihre Aufgaben unter erschwerten Bedingungen erfolgreich zu meistern.

Eherne Grundannahmen der PR treibenden Zunft und ihrer Kommunikationspartner stimmen nicht mehr: PR-Leute galten und gelten als reine Auftragsjournalisten, Vertreter der politischen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Auftraggeber. Zeitungs- und Fernseh-Journalisten hingegen spielen im eigenen Selbstverständnis eine übergeordnete Rolle, nehmen aus einer neutralen Mittler-Position heraus das Interesse der Allgemeinheit gegenüber einseitigen PR-Interessen wahr und in Schutz und üben als unabhängige dritte Kraft demokratische Kontrollfunktionen aus.

Diese Prämisse scheint zunehmend eine Fiktion zu sein. Sie war immer schon eine grobe Vereinfachung, allenfalls verdeckt durch die Tatsache, dass es wenige einflußreiche Medien gab, die offensichtlich zu einem hohen Grad dem Allgemeinwohl verpflichtet schienen. Doch die Kommerzialisierung der Medien ist in den letzten Jahren so rasch fortgeschritten, dass für jeden offenkundig ist: Auch Journalisten in Medien sind Auftrags-Journalisten. Sie dienen den wirtschaftlichen Interessen ihres Verlags oder Senders, sollen Auflagen erhöhen, hohe Einschaltquoten erzielen und Werbe-Einnahmen mehren. Und daraus ergeben sich Themenwahl und Darstellungsweise.

Indizien für Kommerzialisierung

Die Kommerzialisierung der Medien hat viele Gesichter: Alles Sensationelle, Skurrile, Skandalöse gewinnt leicht Oberhand über die objektive Darstellung. Personenkult, Prominenten-Gier und schillernde Masken prägen den Zug zur Oberflächlichkeit. An die Stelle sauberer Recherche treten Gerüchteküche und redaktionelle Meinungsmache. In einem solchen Umfeld konkurrierender Stoffe ist die seriöse PR-Information oft viel zu sachlich, zu langweilig oder zu positiv. Vielfach wird sie auch als zu unkritisch, zu wenig selbstkritisch und zu wenig bewegend zurückgewiesen – eben kommerziell nicht verwertbar.

Kommerzialisierung meint auch Rationalisierung. Redaktionen werden mehr und mehr personell ausgedünnt und zusammengelegt. Das heisst, sie haben weniger Zeit zu reisen, zu recherchieren, Kontakte zu knüpfen oder auch nur ihre wichtigste Post zu lesen. Und daraus folgt unweigerlich, dass ihr Knowhow hinter den realen Anforderungen zurückbleibt. Um die Personal- und -nebenkosten gering zu halten, müssen festangestellte Redakteure immer jünger, immer unerfahrener und damit preiswerter werden. Das führt zu dem widersinnigen Zustand, dass allenthalben erfahrene Informanten mit differenzierten Informationen auf unerfahrene Presseleute stoßen und dass fortgeschrittene Leser von inkompetenten Redakteuren unterrichtet und belehrt werden.

Hinzu kommt der zweifelhafte Segen der kommunikationstechnischen Revolution. Der Journalist wird nicht nur von der ständig anschwellenden Informationsflut per Briefpost, Telefax und E-Mail überschwemmt, sondern muss zusätzlich noch Nachrichten und Hintergründe im Internet suchen. Die Kommunikations-Kanäle zu den Journalisten, derer sich der PR-Praktiker bedienen kann, sind längst heillos verstopft. In unterbesetzten Redaktionen ist der Selektions-Notstand mittlerweile so verheerend, dass Telephonate abgewimmelt, Faxgeräte lahm gelegt, E-Mails abgewiesen und Attachments gar nicht erst geöffnet werden. Aktuelle Post wird verspätet oder überhaupt nicht mehr gelesen, geschweige denn beantwortet. Wenn Themenangebote oder aktuelle Meldungen noch zur Kenntnis des zuständigen Redakteurs gelangen, ist dies reine Glückssache.

Deutliche Verzerrungen

Selektionskrise und Kommerz-Hörigkeit führen geradewegs zu immer größeren Einschränkungen der gewohnten Themen-Vielfalt. Einerseits wird insbesondere den Zeitschriften-Redaktionen von ihren Verlagen ein Jahr im voraus die Festlegung inaktueller, aber anzeigenträchtiger Schwerpunktthemen aufgenötigt, so dass für aktuelle Anlässe immer weniger Spielraum bleibt. Andererseits werden Redakteure gezwungen, sich vorrangig mit den Wunschthemen ihrer potentiellen Inserenten zu beschäftigen, so dass ihre Berichterstattung das Geschehen in einem Wirtschaftszweig oder einer Branche nur verzerrt widerspiegeln kann. Derjenige PR-Profi hat mehr Medien-Chancen, der auch inseriert oder Sendungen sponsert – und nicht etwa der, der die wichtigste Nachricht bringt.

Zeitungsverlage sind nicht nur Medienmacher, sondern inzwischen auf vielen Gebieten tätig. Sie sind an Fernsehsendern beteiligt, bieten Bücher an, beraten Unternehmen, veranstalten Seminare oder betreiben Markt- und Meinungsforschung. Ihre Journalisten verhalten sich immer dann parteiisch und sehen PR-Leute als lästige Konkurrenten, wenn ihnen Informationen über andere Sender, Buchverlage, Unternehmensberater, Bildungsträger oder Demoskopen angetragen werden – im Zweifel ignorieren sie sie – das verzerrt Wettbewerbe und schmälert PR-Erfolge. Der betroffene PR-Mensch muss über Auswege nachsinnen.

Ein Kardinalbeispiel für die lange schwelende, unterschwellige Kommerzialisierung sind die Wirtschaftsteile. Unter den Händen der Wirtschaftsredakteure überregionaler und regionaler Tageszeitungen reduziert sich Wirtschaft auf Unternehmensberichte und Bilanzbesprechungen großer Inserenten. Wirtschaftsteile bieten vorrangig Lesestoff für Aktionäre (10 % der Leser), weniger für Führungskräfte und Entscheider (20 %), fast gar nicht für Verbraucher (100 % der Leser). Kritische Verbraucherthemen sind weitgehend tabu, weil sie den Interessen inserierender Firmen zuwiderlaufen könnten und weil Verbraucher und ihre Verbände nicht inserieren. Das heisst: Leser als Kunden sowie Verbraucher und PR-Profis als Informanten der Verbraucher haben bei der Wirtschaftspresse einen tendenziell abnehmenden Stellenwert.

Informanten leiden auch unter dem umstrittenen Aktualitäts-Begriff der Medien. Angeblich ist etwas aktuell, kurz bevor und kurz nachdem es stattfindet. Das ist kurzsichtig. An dieser Sicht krankt in weiten Teilen der Fach- und Tagespresse etwa die Berichterstattung über Veranstaltungen. Das behindert PR-Arbeiter, die mehr und mehr Event-Termine anbieten. Wahre Aktualität eilt den Ereignissen so weit voraus, dass der Leser einen Nutzen davon hat, sich darauf einstellen, vorbereiten, buchen, anmelden oder reagieren kann. Aktuell informieren, heisst rechtzeitig informieren – und dies immer mehr ohne die Hilfe von Medien.

Verführung statt Überzeugung?

Eigentlich sind die politischen Medien von Events eher beeindruckt als von der sachlichen Nachricht und räumen ihnen entsprechend viele Spalten oder Minuten ein. Seriöse Profis der politischen Öffentlichkeitsarbeit, die auf Argumente und Überzeugung setzen, sehen sich von Politikern und Medien entmachtet, die mit Show und Spektakel lieber verführen und überrumpeln. Dies sind die Instrumente von Demagogie, Diktatur und Totalitarismus, die nach Ansicht von Politologen und Kommunikationswissenschaftlern die Demokratie massiv gefährden, weil sie die freie Meinungsbildung behindern. Seriöse PR müssen mitmachen, untergehen oder gegensteuern – aber wie?

Politische Überzeugungsarbeit ist längst zum Gegenstand der Public Relations auch vieler Wirtschaftsunternehmen geworden. Das Metier der Public Affairs (PA), also die Einflussnahme auf öffentliche Angelegenheiten, auf die Tätigkeit der öffentlichen Hand, wird in Deutschland noch immer sträflich vernachlässigt. Sie konnte durch die Hunzinger-Affäre nur deshalb ins Zwielicht geraten, weil selbst namhafte PR-Chefs davon wenig verstehen und sich daher lieber schamhaft distanzierten statt politische Kontaktarbeit mannhaft zu verteidigen.

Public Affairs sind dreifach legitim: Sie ermutigen Führungskräfte und Mitarbeiter, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Sie informieren politische Entscheidungsträger und Funktionäre gesetzgebender Körperschaften über praktische Zustände und die Interessenlage gesellschaftlicher Gruppen. Und sie ersetzen Verbandsarbeit, weil Verbände weitgehend in sich zerstritten sind und nicht mehr mit einer Stimme für große und kleine Mitglieder sprechen können.

In einem Land, in dessen Parlamenten Lehrer und Beamte dominieren, also die Legislative durch die Exekutive unterwandert wird und viele gesellschaftliche Gruppen in den politischen Entscheidungsgremien überhaupt nicht vertreten sind, besteht großer Nachholbedarf für Public-Affairs-Arbeit und politische Lobby. Die Rede ist von Deutschland. PR-Forschung und -Lehre haben das Ausmaß des Handlungsbedarfs, der sich daraus ergibt, bisher immer sträflich unterschätzt. Mit der EU ist eine weitere Ebene gesetzgeberischen Handelns, mithin ein junges Betätigungsfeld für Public Affairs und damit auch neuer Lernstoff für PR-Profis hinzu gekommen.

Wer heute Public Relations lehrt, der muß auf diese wichtigsten Veränderungen in der deutschen Kommunikations-Landschaft Antworten geben können: Wie verhält sich der (angehende) PR-Profi angesichts der eingeschränkten Kooperations- und Handlungsfähigkeit der Medien? Wie weit müssen PR-Leute ihr journalistisches Handwerkszeug ausbauen, um notfalls PR ohne kommerzielle Medien leisten zu können? Und wie müssen Public-Relations-Profis ihre Kompetenzen erweitern, um den zunehmenden gesellschaftlichen Aufgaben der Public Affairs gewachsen zu sein? Bildungswillige Öffentlichkeitsarbeiter – ob Anfänger oder Fortgeschrittene – tun sich einen großen Gefallen, Bildungsangebote und Lehrpläne darauf abzuklopfen, ob sie solche Fragen präzise beantworten können.

 

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