Augenzeugen

Prof. Ute Daniel über Unabhängigkeit in der Kriegsberichterstattung

M | Unlängst erschien Ihr Buch „Augenzeugen“. Darin untersuchen Sie 250 Jahre Kriegsberichterstattung – vom Siebenjährigen Krieg bis zum noch heute andauernden Irakkrieg. Was hat Sie an dieser Untersuchung gereizt?

UTE DANIEL | Ausgangspunkt war meine eigene Erfahrung. Was die Medien über einen Krieg sagen und wie sie es sagen, ist entscheidend dafür, wie ein Krieg wahrgenommen wird. Das wurde mir während des Golfkriegs 1991 sehr bewusst. Als Historikerin habe ich mich gefragt, was wissen wir eigentlich über diese Wechselwirkung in früheren Kriegen? Und ich habe herausgefunden: Wir wissen darüber fast nichts. Es gibt zwar viele einschlägige Studien, doch die beschränken sich in der Regel auf Propagandaanalysen. Doch was tun Reporter im Krieg vor Ort? Wie übermitteln sie was? Was kriegen sie überhaupt zu sehen? Was denken sie über den Krieg und über sich selbst? Und was passiert mit ihren Berichten, ihren Fotos und Filmen?

M | Und was haben Sie herausgefunden? Was für Menschen sind Kriegsberichterstatter?

DANIEL | Kriegsberichterstatter sind ganz normale Menschen, die unter spezifischen Bedingungen arbeiten. Reporter auf Kriegsschauplätzen sind nicht „kriegsgeiler“ als wir. Sie arbeiten in bestimmten Bezügen, sind zum Beispiel Teil einer Truppeneinheit. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts, im Krimkrieg, als die ersten Journalisten auf den Kriegsschauplätzen in Europa auftauchen, ziehen sie mit den Offizieren und Soldaten über das Schlachtfeld. Sie werden von den Offizieren, mit denen sie abends essen und trinken, informiert und übernehmen so deren Sichtweisen vom Krieg. Das geschieht ganz automatisch. Und es wird nicht von oben gelenkt.

M | Und wie sehen sich diese Kriegsreporter?

DANIEL | Das Selbstbild dieser Journalisten ist interessant. Kriegsberichterstatter vermitteln von sich das Bild des objektiven Augenzeugen. Sie wollen dem abwesenden Leser quasi als Brille dienen, mit der dieser den Kriegsschauplatz sehen kann. Das ist noch heute so, wenn man sich die Fernsehberichterstattung anguckt. Da ist der Journalist, der uns im Fernsehen zeigt, was sich hinter ihm abspielt, was er also gerade sieht. Dadurch wird der Eindruck erweckt, es gebe den neutralen Augenzeugen, der keine andere Aufgabe hat, als uns zu berichten, was er sieht.

M | Neutral ist dieser Augenzeuge aber beileibe nicht. Er transportiert natürlich Meinung. Und das Militär ist daran interessiert, zu kontrollieren, welche Meinung da vertreten wird.

DANIEL | Natürlich. Aber Militär und Berichterstatter verstehen sich lange Zeit bestens. Denn noch bis zum Ersten Weltkrieg vertreten die Journalisten dasselbe Kriegsbild wie die Offiziere – nämlich dass Krieg etwas völlig Normales ist. Und was normal ist, braucht man nicht zu rechtfertigen. Erst der Erste Weltkrieg stellt einen Bruch dar. Seine Dauer, seine Ausmaße und die Opfer, die er gefordert hat, machten es unmöglich, diesen Krieg noch immer als selbstverständlich hinzunehmen.

M | Das bedeutet, bis 1914 hatten Journalisten und Militärs keine Probleme miteinander?

DANIEL | Genau. Es sei denn, ein Journalist verstieß gegen Sicherheitsbestimmungen. Wenn etwa ein junger Reporter, der Karriere machen wollte, wie Edgar Wallace, im Burenkrieg um 1900 die Knüllermeldung über den Friedensschluss an der Zensur vorbei in seine Zeitung lancierte, flog er aus dem Berichterstattercorps. Edgar Wallace bekam deshalb auch keinen Orden der Königin.

M |
 Wie? Journalisten bekamen Orden?

DANIEL | Ja, damals bekamen sie als Reporter den Kriegsorden der Königin. So hoch war ihre Akzeptanz beim Militär. Erst im 20. Jahrhundert werden Reporter dann ins Militär eingemeindet. Am Stärksten ist das im Zweiten Weltkrieg ausgeprägt. In Deutschland gab es die berüchtigten Propagandakompanien, ganz ähnliches gab es aber auch in den USA. Dort dienten Journalisten mit militärischer Grundausbildung als Berichterstatter. Da wird also schon aktiv Propaganda gemacht und es wird gezielt darauf geachtet, was in die Medien kommen darf.

M | Sind Zeitungen bis zum Ersten Weltkrieg Kriegstreiber?

DANIEL | Die Zeitungen haben sich durchaus unterschieden. Aber wenn sie in Kriegfällen beschlossen, kritisch zu sein, dann gab es Probleme. Der Manchester Guardian zum Beispiel, um 1900 eine ausdrücklich linksliberale Zeitung, hat sich deutlich gegen den Burenkrieg ausgesprochen. Prompt ist die Auflage der Zeitung gesunken. Die Zeitung hat das hingenommen und hat es überlebt. Es hängt also immer von den Entscheidungen der Herausgeber ab, wie sich eine Zeitung positioniert.

M | Kriege sorgen aber im Normalfall nicht für sinkende, sondern für steigende Auflagen.

DANIEL | Ja, es gibt einen engen Konnex zwischen Zeitungen oder Fernsehanstalten und Kriegen. Kriege erhöhen den Nachrichtenwert, Kriege erhöhen Auflagen und Einschaltquoten. Insofern ist da immer Geld drin. Deswegen entstehen auch viele Zeitungen oder Medienkonzerne in Kriegen. Der amerikanische Hearst – Konzern ist etwa aus dem spanisch-amerikanischen Krieg heraus entstanden. Damals hatte er sozusagen sein Take-off – so wie der Sender CNN 1991.

M | Sie sagen, Kriege erhöhen den Nachrichtenwert. Kann der Kriegsberichterstatter vor Ort dem gerecht werden?

DANIEL | Je mehr Kapital in den Anstalten steckt, desto weniger können es sich die Medien leisten, nicht dabei zu sein. Das ist ein ökonomischer Zwang, dem heute keiner mehr entgeht. Wenn man sich die irrsinnige Anzahl von Kriegsberichterstattern in den letzten Kriegen im Irak oder in Afghanistan anschaut, dann ist das völlig absurd. Denn was Kriegsberichterstatter von den Schauplätzen berichten, hat in der Regel gar keinen Nachrichtenwert. In den 90er Jahren im Bosnienkrieg mussten Journalisten in Sarajewo den Fernseher anmachen, um zu erfahren, was eigentlich passiert. Sie konnten vor die Tür gehen und Menschen interviewen, aber die Gesamtlage des Krieges sahen sie dort nicht. Das erfuhren sie nur über die Presseoffiziere vor Ort, und die erzählten immer nur einen Teil der Wahrheit. Also wurde das Satellitenfernsehen zur Informationsquelle. Das hat nichts mit der Faulheit von Journalisten zu tun. Vor Ort erfahren sie einfach immer nur Splitter. Was diese Berichte vom Kriegsschauplatz bringen, ist das Farbige, Lokalkolorit und diesen Eindruck des authentischen Kriegsgeschehens – das ist etwas anderes als Informationsgehalt.

M | 
Den amerikanischen Medien wird ein großer Einfluss auf das Ende des Vietnamkrieges zugesprochen. Wie sehen Sie das?

DANIEL | Das ist ein Mythos, die Berichterstattung habe den Stimmungswechsel im Vietnamkrieg hervorgerufen. Und viele Mediengeschichten leben von Mythen. Die Realität sieht, gerade was Vietnam betrifft, ganz anders aus. Wenn man sich anschaut, was und wie damals das Fernsehen und die Zeitungen berichtet haben, dann war das die meiste Zeit völlig unkritisch. Die Berichterstattung schwenkte erst ins Kritische um, als sich auch in der Bevölkerung der USA eine kritische Stimmung breit machte. Und das geschah erst nach der so genannten Ted-Offensive 1968. Damals gerieten die hochgespannten Siegeserwartungen durch die völlig verblüffende Offensive der Vietkong ins Wanken. Plötzlich merkte man, das Ende dieses Krieges ist nicht absehbar. Da sank die Stimmung rapide in der Bevölkerung, im Parlament und dann auch in den Medien. Das heißt, die Kritik am Krieg entwickelt sich immer im Wechselspiel aller Beteiligten.

M | Dieses Wechselspiel von Medien, Politik und Gesellschaft zeigt sich auch in der Berichterstattung selbst. Im Irakkrieg gab es 2003 deutliche Unterschiede zwischen der westlichen Berichterstattung der eingebetteten Reporter, die live von der Front berichteten, und den Journalisten von Al Jazira, die die zivilen Opfer des Krieges in den Mittelpunkt ihrer Berichte stellten.

DANIEL | Das ist eine Frage der Parteinahme. Wenn der Krieg nicht mehr per se selbstverständlich und legitim ist, wie es seit dem Ersten Weltkrieg der Fall ist, dann muss jeder Journalist in jedem Krieg Stellung beziehen. Man ist entweder für oder gegen den Krieg oder nimmt bestimmte definierte Zwischenpositionen ein. Hier kommt noch eine Rolle der Medien zum Vorschein: Sie sind die Instrumente, mit denen jede Seite des Krieges versucht, ihren Krieg zu legitimieren. Das heißt, Medien werden heutzutage zunehmend Teil von Propagandamaschinerien.

M | Viele Zeitungen nennen sich jedoch explizit „unabhängige“ Tageszeitung und auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beanspruchen die Unabhängigkeit der Berichterstattung für sich.

DANIEL | Ja, aber was ist heutzutage tatsächlich unabhängig? Sicher, unsere Journalisten sind unabhängig, da sie keinem Propagandaminister schlicht weisungsgebunden sind. Doch das ist nur ein winziger Teil der Gesamtsituation. Im Krieg gibt es keine Unabhängigkeit, denn alle Medien, alle Reporter sind Teil der Situation auf dem Kriegsschauplatz – wie etwa die eingebetteten Reporter, die mit den US-Soldaten durch den Irak ziehen. Oder sie sind Teil von Redaktionen, Teil von Bündnissystemen und unterliegen von daher bestimmten Zwängen. Es gibt die unterschiedlichsten Wechselwirkungen, die zu bestimmten Mediendarstellungen führen. Das ist alles etwas komplexer, als man es sich nach dem simplen Göbbels-Schema vorstellt. Ziel meines Buches ist es, dass wir endlich diese Komplexität anerkennen, anstatt uns mit Schwarz-Weiß-Darstellungen zu begnügen, nach denen es im Krieg gelenkte Medien und unabhängige Medien gibt. Das ist eine viel zu naive und kindliche Weltsicht.

Das Gespräch führte Karin Flothmann

Prof. Ute Daniel

Ute Daniel ist Professorin für Neuere Geschichte an der TU Braunschweig.
Sie ist Herausgeberin des soeben erschienenen Buches: „Augenzeugen – Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert“, Vandenhoeck&Ruprecht, 24,90 Euro.

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