Fast zwei Drittel aller im Herbst 2024 für die Studie „Burning (Out) for Journalism“ befragten 1301 Journalist*innen hat ans Aufhören gedacht. Jede*r zehnte Befragte dachte sogar wöchentlich an einen Berufswechsel, Angestellte etwas häufiger als freiberuflich Tätige, Frauen häufiger als Männer. Psychischer negativer Stress ist im Journalismus „deutlich stärker verbreitet als in der allgemeinen Bevölkerung“, so das Ergebnis der Umfrage des Instituts für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Uni München.
Zur Teilnahme an der Umfrage zur mentalen Gesundheit im Journalismus hatte neben anderen Journalismusverbänden auch die dju in ver.di aufgerufen. Trotz der großen Zahl an ausgefüllten Fragebogen sprechen die Münchner Journalismusforscher*innen nicht von einer „repräsentativen Studie“, „auch wenn die soziodemografische Merkmale sehr nahe an der Grundgesamtheit der deutschen Journalistinnen und Journalisten liegt“. Es sei nämlich davon auszugehen, dass sich Journalist*innen, die selbst oder in ihrem Umfeld Erfahrung mit psychischer Erkrankung gemacht haben, „überproportional häufig an der Studie beteiligt haben“. Dieses „Selbstselektionsproblem“ hätten aber auch viele der zitierten Vergleichsstudien.
Mit einem Mittelwert von 48 für das psychische Wohlbefinden (auf einer Skala von 0 bis 100) liegen die befragten Journalist*innen deutlich unterhalb des Werts von 65 für die Bevölkerung in Deutschland. Bei Angestellten liegt der Mittelwert bei 47, bei Freiberufler*innen bei 49. Deutlicher ist der Unterschied zwischen Frauen (46) und Männern (51) in der Branche. 52,4 Prozent der Teilnehmenden waren angestellt, 23,5 Prozent hatten eine Leitungsfunktion, fast 96 Prozent waren hauptberuflich im Journalismus. Fast 51 Prozent der Fragebögen kamen von Männern, 37 Prozent aller Befragten hatten Familienverantwortung. Die größte Gruppe arbeitet für Zeitungen (fast 37 Prozent), gefolgt von Online-Medien (19,3). Rund 65 Prozent arbeiteten für „private bzw. kommerzielle Medien“, fast 30 Prozent für öffentlich-rechtliche Sender.
Zu viel Druck für Medienschaffende
Als Stressfaktoren erwiesen sich nicht technische Anforderungen, sondern das hohe Arbeitspensum, der Druck von Vorgesetzten und in Redaktionen, bei Freiberufler*innen der Kontakt zu den Redaktionen, die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, mangelnde Aufstiegsmöglichkeit und schlechte Bezahlung, die Länge und schlechte Planbarkeit der Arbeitszeiten, die Arbeitsplatzsicherheit, der berufliche Wettbewerb und das Arbeitsklima.
Bei den höchsten Stressfaktoren: der Umgang mit belastenden Situationen wie der Berichterstattung über „bedrückende menschliche Schicksale“, über Unfälle mit Verletzten oder Todesopfern, Naturkatastrophen oder Kriegen und Gewaltkonflikten. Dabei berichtet nur jede* Zehnte, dass es im beruflichen Umfeld Unterstützungsmaßnahmen gebe, bei Angestellten der öffentlich-rechtlichen Sender deutlich öfter als beim Rest. In der Gruppe der Freiberufler*innen hatten mehr als 84 Prozent keine Angebote oder auch keine Kenntnisse zu psychischer Unterstützung. Mehr als die Hälfte aller Befragten hatte noch nie von Hilfsangeboten wie HateAid, Helpline, dem Dart Center für Journalismus und Trauma oder der Themis-Vertrauensstelle für sexuelle Belästigung und Gewalt gehört.
Hass im Netz trifft Journalist*innen
Dabei gaben fast 60 Prozent der Befragten an, schon Opfer von Hasskommentaren geworden zu sein. Auch verbale Angriffe vor Ort (44), Diskreditierung (50,5), Drohungen und Einschüchterungsversuche (33,1) hatten viele schon erlebt, Angestellte jeweils häufiger als freiberuflich Tätige. Aber auch die Redaktion muss kein Safe Space sein: rund 50 Prozent der Frauen haben Diskriminierung erlebt wie auch 20 Prozent der Männer, Mobbing (37,8 / 27,2) oder sexuelle Übergriffe (20,7 / 1,7).
„Lösungsansätze sind bekannt“, heißt es in der Auswertung der Umfrage, „Redaktionen und Medienhäuser müssen verstärkt in ein psychologisches Gesundheitsmanagement investieren, das Angebote sowohl auf der individuellen als auch der organisationalen Ebene macht.“ Mit dem Thema „Mental Health im Journalismus“ hatte sich der Journalismustag der dju im Januar 2024 ausführlich auseinandergesetzt und auch positive Beispiele vorgestellt. Zu spezifischen Schutzmaßnahmen für Medienmitarbeiter*innen seitens der Medienhäuser rufen auch die Initiator*innen vom „Schutzkodex“ auf, darunter die dju in ver.di. Inzwischen sind dem Schutzkodex zehn große Verlage beigetreten und inzwischen auch Redaktionen wie FragdenStaat oder Correctiv.
Prekäre Arbeitsbedingungen
„Aber Coachings und Workshops zur Stärkung von Resilienz und dem Erlernen von adaptiven Bewältigungsstrategien allein nützen wenig, wenn sich an den vielerorts prekären Arbeitsbedingungen nichts ändert. Übermäßige psychische Beanspruchung erwächst oft aus einem Missverhältnis zwischen den beruflichen Anforderungen und notwendigen Anstrengungen einerseits und den verfügbaren psychischen Ressourcen und erhaltenen Gratifikationen (z.B. Bezahlung und Wertschätzung) andererseits“, heißt es im Fazit von „Burning (Out) for Journalism“.