Journalismusverbände rufen Medienhäuser dazu auf, dem Schutzkodex beizutreten und sich damit zu spezifischen Schutzmaßnahmen für ihre Mitarbeitenden zu verpflichten. Bei der Fachveranstaltung der Initiatorinnen des Schutzkodex, die im neu eröffneten Berliner Publix stattfand, folgte die Correctiv-Geschäftsführung diesem Aufruf und trat dem Schutzkodex bei.
„Die Bedrohungen gegen Medienschaffende nehmen auch in Deutschland zu. Wir erleben das sehr konkret und wollen unsere Kolleginnen und Kollegen bestmöglich schützen. Vor allem aber müssen wir alles dafür tun, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es selbstverständlich ist, ohne Angst vor Gewalt-Angriffen oder Drohungen berichten zu können“, sagte Justus von Daniels (Correctiv-Chefredaktion). Dass die Correctiv-Reporter seit ihren AfD-Enthüllungen von Rechtsradikalen bedroht werden und einige Mitarbeitende nur noch mit Personenschutz arbeiten können, ist bekannt. Nun hat sich das Medium dazu entschieden, sich dem Schutzkodex anzuschließen. Mit diesem Schritt möchten sie auch andere Verlage und Redaktionen zum Beitritt ermutigen
Ein solidarisches Konzept
„Der Beitritt von Correctiv zum Schutzkodex hat Signalwirkung für investigativ arbeitende Journalist*innen. Das klare Bekenntnis zur Umsetzung des Schutzkodex in unserer vielfältigen Medienlandschaft sorgt dafür, dass Pressefreiheit in die konkrete Arbeitswelt übersetzt wird. Der Schutzkodex ist ein Qualitätsmerkmal an dem sich Journalist*innen orientieren können. Dass sich Correctiv dem Bündnis anschließt, ist spätestens nach den Angriffen und Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, nur folgerichtig. In seiner Wirkung ist das Schutzkodex-Bündnis nicht nur demokratiestärkend, sondern fördert auch den Solidargedanken gegenüber allen Journalist*innen.“ erläutert Christoph Schmitz-Dethlefsen, ver.di-Bundesvorstand.
Die Initiative Schutzkodex
… wurde von Reporter ohne Grenzen, der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di, den Neuen deutschen Medienmacher*innen e.V. und dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG e.V.) ins Leben gerufen. Seit 2021 sind Der Spiegel, dpa, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche-Zeitung, taz, Weserkurier, Funke Mediengruppe, Südwestdeutsche Medienholding, Die Zeit und Zeit Online der Initiative beigetreten.
“Presse, Politik und politisch Engagierte erwartet ein heftiger Wahlkampfsommer”
Neben den Medienhäusern muss nun auch die Politik die Pressefreiheit aktiver schützen. Kevin Kühnert (SPD, Generalsekretär), der die Veranstaltung mit einer Rede eröffnete, sagte: „Viele Säulen der Demokratie – Parteimitglieder, Gewerkschaften, Journalisten – sind Zielscheiben radikaler Agitation, gerade der radikalen Rechten, in unserer Gesellschaft. Ihr Ziel ist es, dass sich jene zurückziehen, die sich für die Demokratie und das Gemeinwohl einsetzen. Da gilt es starke Gegenstrategien zu entwickeln. Der heutige Tag ist ein Anlass dafür.“
Dass die Herausforderungen für die Pressefreiheit in Deutschland immer zahlreicher werden, betonten auch die Gäste auf dem Podium. Vorab sagte Jutta Steinhoff (Chefredaktion dpa): “Journalisten sind zunehmend auch im Inland Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt. Der Schutzkodex, den wir als Gründungsmitglied unterstützen, ist Helfer und Mahner im Interesse der Pressefreiheit und der Unversehrtheit von Journalisten.”
Kein Jahr ohne Bedrohung
Warum die Initiative gerade jetzt so wichtig ist, beschreibt Franziska Klemenz (Redakteurin, Table.Media): “Ich berichte seit zehn Jahren regelmäßig aus Sachsen und Berlin über Rechtsradikale und habe keines dieser Jahre ohne Beschimpfung und Bedrohung erlebt, auch Gewalt kam immer wieder vor. Ich glaube, dass Presse, Politik und politisch Engagierte ein heftiger Wahlkampfsommer in Sachsen, Brandenburg und Thüringen erwartet. Rechtsextreme Splittergruppen wie die Freien Sachsen wissen, wie sie dezentral sehr wirkungsvoll mobilisieren und Menschen mit hasserfüllten Fehlinformationen aufheizen.”
Dass die Gefahren von mehreren Seiten kommen, schildert Omid Rezaee (freier Journalist, Neue Deutsche Medienmacher*innen): „Als Exil-Journalist werde ich wegen meiner Arbeit nicht nur von den rechten Kräften in Deutschland, sondern auch von dem iranischen Regime und dessen Anhängern bedroht. Ich versuche dagegen vorzugehen, aber es ist schwer, dafür von Medienhäusern, Polizei und Justiz Unterstützung zu bekommen.“ Dass die Institutionen des Rechtsstaats angegriffene Journalisten im Stich lassen, zeigt sich beispielhaft im Fretterode-Prozess. Rasmus Kahlen (Nebenklagevertreter der verletzten Journalisten im Fretterode-Prozess) sagt: „Als Rechtsanwalt erlebe ich, wie die Justiz nach körperlichen Angriffen auf Journalisten in Abrede stellt, dass die Täter wussten, dass die Betroffenen in ihrer Eigenschaft als Berichterstattende angegriffen wurden.“
Bündnis fordert allgemeine Anlaufstelle
Das Schutzkodex-Bündnis fordert von der Politikerinnen und Politikern unter anderem, dass sie mehr darauf achten, wie sie mit und über Medienvertreterinnen- und -vertreter sprechen. Denn pressefeindliche Kommentare von Parteien fördern das pressefeindliches Klima und setzen die Hemmschwelle füre Hassrede herab. Zudem plädiert das Schutzkodex-Bündnis für die Einrichtung einer aus Bundesmitteln geförderten Anlaufstelle, die Rechtsberatung und psychologische Unterstützung für Journalist*innen anbietet. Auch ein bundesweit koordiniertes, einheitliches Fortbildungsprogramm für Polizeibeamte wäre wünschenswert, das klar auf den Schutz von Berichterstattenden und damit der Pressefreiheit ausgelegt ist.
Hintergründe zum Schutzkodex
Der Schutzkodex umfasst Standards für Medienhäuser und konkrete Maßnahmen zur Unterstützung von Journalist*innen. Die beigetretenen Medienhäuser stellen ihren Mitarbeitenden unter anderem eine verlagsinterne Ansprechperson für Bedrohungen und Angriffe zur Verfügung, leisten psychologische und juristische Unterstützung und organisieren ihren Angestellten gegebenenfalls Personenschutz.