Das Thema des 11. Journalistinnen- und Journalistentages: „Verkaufen muß es sich – oder Was bestimmt die Qualität journalistischer Arbeit?“ müßte nach der aktuellen Situation auf dem journalistischen Arbeitsmarkt korrekter heißen: „Verkaufen muß sie/er sich.“ Denn weniger die professionellen Standards des Bearbeiters zählen, sondern sein Geschick, die angebotene Arbeit zu verpacken. Dies bedroht mittlerweile den Berufsstand existentiell.
Das Berufsbild des Journalisten ist unschärfer denn je, seine professionellen Standards drohen zu verschwimmen.
Der Informationsflut in diversen Medien fehlt die Trennschärfe. Werbung, Fiktion und Information fließen ineinander.
In unserem Beruf hat es immer große Schwierigkeiten gegeben, diese Standards zu definieren und adäquat umzusetzen. Der Streit entbrannte dabei nicht nur zwischen den Tarifpartnern – Verlegern und Medien-Gewerkschaften – sondern auch innerhalb der eigenen Berufsgruppe. Er wird zukünftig kaum mehr zu entscheiden sein.
Was sind sie denn, die heutigen und die zukünftigen Medienarbeiter: Kommunikations-Dienstleister, eindeutig auf den Kundennutzen orientiert, zugleich gesellschaftlich relevant – damit journalistisch – damit privilegiert bei der Informationsgewinnung und -verbreitung. Was aber überwiegt?
Wir spüren allenthalben, daß die Nutzenorientierung überwiegt. So nimmt es nicht wunder, daß Politiker und staatliche Behörden Presse-Privilegien durch Gesetze einzuschränken trachten bzw. sie einfach, wie in Bremen geschehen, ignorieren. Sollte bisher Kritik und Kontrolle die Demokratie stärken, so bemerkt jetzt selbst die Bundestagspräsidentin auf der Veranstaltung des Presserats, daß Journalisten unter demselben Vertrauensschwund des Publikums leiden wie die Politiker.
Wir müssen uns darum selbstkritisch fragen:
- Haben wir das Vertrauen des Publikums selbst verspielt?
- Haben wir uns zu lange auf wirtschaftlichen Druck eingelassen?
- Haben wir uns einwickeln lassen von vermeintlichen Privilegien?
- Haben wir professionelle Standards vernachlässigt?
Schließlich: Wir sind ersetzbar geworden!
Viel- und Billigreporter ersetzen den journalistischen Generalisten – Spezialisten bedienen inzwischen das spezialisierte Publikum. Sollen wir nicht als Spezies überflüssig werden, müssen wir über Professionalität neu nachdenken und neue Instrumente zur Qualitäts-Sicherung und Qualitäts-Kontrolle erarbeiten.
Dazu gehören:
- Konzept (Richtlinien für die Produktion)
- Planung (Entscheidung über die Wichtigkeit)
- Struktur (Form der Aufbereitung)
- Systematik (Zuständigkeit und Kompetenz)
- Feedback (Qualitätssicherung – auch in der Redaktion)
- Bewertung (zur Korrektur, institutionalisiert)
Aktuell gilt im Journalismus:
Planung – erfolgt unter „Marktgesichtspunkten“
Struktur – entscheidet sich nach Platz- und/bzw. Zeitbudget
Systematik – erschöpft sich in Zuständigkeiten, oftmals ohne Kompetenz
Feedback – beschränkt sich auf zufällige Rückäußerungen von Lesern/Hörerinnen und Kolleginnen
Bewertung und Korrektur – besteht oft in einem Konferenz-Ritual.
Das bedeutet, die hehren Ziele – die Öffentlichkeit über wichtige sie betreffende Themen wahrheitsgemäßer zu informieren und deren kritische Überprüfung – treten zurück.
Gesucht sind Themen, die öffentliche Aufmerksamkeit schaffen – und das geschieht nicht mit fundiertem Hintergrundwissen, das Schwarz-Weiß-Schablonen verbietet, sondern mit schriller emotionaler Verpackung.
Diesem Wettbewerb quoten- und gewinnorientierter Medien steht ein journalistisches Selbstverständnis gegenüber, das seine publizistische Verantwortung bisher so definiert: Mißstände in Politik und Gesellschaft aufdecken, dabei den Schutz der Intimsphäre gewährleisten und Randgruppen und -themen in das Spektrum der Öffentlichkeit einbeziehen.
Über die Marktmechanismen weiß der Journalist dagegen wenig. Er spürt sie, wenn seine Arbeitsmittel knapper werden, wenn schließlich sein Arbeitsplatz entfällt, wenn der verfügbare Platz für die Wahrnehmung der publizistischen Verantwortung immer schmaler wird.
Für die Journalisten bedeutet dies eine Provokation, schließlich kippt dies die Existenz des Journalisten.
Für die Tageszeitungen bedeutet dies die Gefährdung ihres Erfolgs, schließlich kippt damit die Existenz des Printmediums.
Rückblende
Lange genügte den Journalisten die Reaktion der kontrollierten Honoratioren auf ihre Arbeit. Lange genügte den Verlagen der quantitative Erfolg.
Dann kamen die privaten Hörfunk und Fernsehsender und es kam die Regionalisierung von öffentlich-rechtlichen Programmen. Und damit liefen die Honoratioren den Lokalzeitungen weg und den Funk- und TV-Sendern zu, die Leser folgten mit ihrer Aufmerksamkeit den neuen Programmen und überflogen Zeitungen nur noch.
Jetzt reicht es nicht mehr, Journalisten nur in Recht und Fachthemen zu schulen und die Zahl der Mediennutzer und die Nutzungsdauer ermitteln zu lassen. Jetzt muß im Printbereich über Qualitäten geredet werden. Ein schwieriger Prozeß für die alten Säulen Redaktion und Verlag, wie sich aktuell immer wieder zeigt, wenn mit Mitarbeitern wie mit Marionetten umgegangen wird, in der Annahme, publizistische Veränderungen könnten wie Schrauben begriffen werden, die vermeintliche Unschärfen wieder regeln.
- Technik mag manches regelbar erscheinen lassen, tatsächlich aber verlangt selbst sie neue Organisations- und Produktionsformen:
- flexiblere Arbeitszeit,
- mehr Kommunikation,
- mehr Teamarbeit,
- großzügige Arbeitsräume und -Materialien
- und vor allem mehr statt weniger Personal.
Denn mit der vielversprechenden schrillen Digital-Verpackung wächst der Druck des Publikums auf den Inhalt. Die Erwartungen steigen. Werden sie auf Dauer nicht erfüllt, wandert das Publikum ab.
Wie dem begegnen, will der Journalist nicht zum Narren der Gesellschaft werden, der ihr unterhaltsam aber folgenlos den Spiegel vorhält?
Die aktuelle Situation in den Redaktionen erklärt die professionellen Mängel. Die Printredaktionen haben mittlerweile die Arbeit zweier weiterer Berufsgruppen vollkommen integriert, (ähnlich wie im elektronischen Bereich privater Medien). Schulungen erklären und erklärten lediglich die Bedieneroberfläche. Die notwendige Organisationsreform bestand nach Meinung der Verantwortlichen in den Verlagen in der Personalreduzierung durch Outsourcing.
Professionalität jedoch verlangt mehr Wissen, mehr Distanz zu eigenen und fremden Urteilen durch Kommunikation in der Berufsgruppe und genaue Kenntnis der Quellen, mehr Recherche.
Aber der Markt:
Aber die Marktsituation für Journalisten hat sich in den letzten Jahren verändert: Sie müssen Informationen verkaufen, glatt und gefällig, emotional nah zum Rezipienten. Sie werden von den Redaktionen „ausgesperrt“. Sie kochen die Themen, die alle kochen, und werfen sie in den Papierkorb, wenn neue Themen auftauchen. Für gründliche Recherche und Fachwissen zahlt niemand extra, so zeigen sie sich willfährig, vermeiden Situationen, in denen sie ihr journalistisches Credo offenbaren müßten und hoffen, ein bißchen vom journalistischen Selbstverständnis zu retten.
Redaktionen sparen, Redakteurinnen und Redakteure sitzen vor Computern und garnieren angelieferte Texte mit gefälligen Schlagzeilen, kürzen in lesefreundliche Formate und wissen vom Thema wenig oder gar nichts.
Der Freelancer muß sich sputen, möglichst viele Aufträge zu erhaschen und Themen zu besetzen. Er kocht die Emotion, so lange sie da ist, und sucht rasch die nächste farbig warme Geschichte.
Der Nachweis für die Besinnungslosigkeit, mit der die gelieferten Stoffe in den Redaktionen verarbeitet werden, ist erbracht, wenn, wie geschehen – eine Woche lang das Morgenmagazin der ARD nach Herten schaltet, um im Schein der Fackeln den Protest gegen eine forensische Klinik abzufragen. Statt differenziert den Hintergrund zu beleuchten, spielen alle wohlig-gruslig mit der Angst, stricken an der Welle, bis sie verebbt und eine neue Absatzquote anzupeilen ist.
Mit den Produktionsbedingungen will der „Aufkäufer“ nicht behelligt werden – das schafft nur Skrupel. Der Fall Born hat die Heuchelei der scheinbar publizistisch Verantwortlichen peinlich allen offenbart.
Aber die Werte …
Kommunikation vermitteln und damit Konsens stiften, sozialen Ausgleich ermöglichen und die Quellen des Konflikts offenlegen, waren Ziele, als wir Journalisten wurden.
In USA geben Verlage viel Geld für Teams aus, die der Recherche schonungslos nachjagen. In unserem Land ist daran nicht zu denken. Hier verspricht die schrille Optik mehr als der dann doch harmlos harmonische Inhalt.
Distanz und Nähe – das Leidensthema jedes Reporters – drücken wir mit den Zwillingen Arroganz und Ignoranz weg. Zynismus gesellt sich rasch dazu, wenn die Ignoranten auf dem Weg zu den Armen, Verfolgten und Benachteiligten ihre Ahnungslosigkeit für die höhere Form der Vorurteilsfreiheit halten.
Wie gefährlich sich die Situation zugespitzt hat, spüren wir vor allem in Zeiten der Tarifgespräche. Leistungskriterien fehlen, angeblich werden Kreativ-Gehälter gezahlt. Formatierte Wirklichkeit wird abgeliefert und kann zu immer niedrigeren Honoraren eingekauft werden. Die allmähliche Auflösung des traditionellen Berufsbildes ist im vollen Gange. Die Online-Entwicklung verschärft auf der anderen Seite den Wettbewerb zwischen den Spezialisten und den Allroundern der Branche, sie belebt aber vielleicht zukünfitg die professionelle Diskussion.
Der immer besser und vor allem vielfältiger unterrichtete Rezipient wird die professionellen Elemente herausfordern, er wird Medien nicht finanzieren, die austauschbar und beliebig daherkommen.
Schließlich:
Wir müssen für Qualifizierung streiten,
wir Generalisten brauchen ständig erweiterbares Spezialwissen
wir brauchen kontinuierliche Fortbildung –
wir brauchen Zeit für Recherche – auch online, sonst nimmt sie sich der Leser selbst und wir sind draußen …
Wollen wir drin bleiben, müssen wir uns durchsetzen!
Gabriele Bartelt-Kircher ist die
Leiterin der Journalistenschule Ruhr