Im Gespräch mit Christoph Neuberger, Professor für Kommunikationswissenschaft, an der Universität Münster
M | Der so genannte Bürgerjournalismus boomt. Blogs und „Leser-Reporter“ treten in Konkurrenz zu den Profis. Wie schätzen Sie diesen Trend ein?
CHRISTOPH NEUBERGER | Es gab schon Mitte der neunziger Jahre die Debatte, wozu man überhaupt noch professionellen Journalismus braucht, wenn jeder veröffentlichen kann, wenn jeder sich raussuchen kann, was er gern lesen möchte. Das Internet verändert die Arbeitssituation von Journalisten. In den klassischen Medien gab es immer einen Mangel an Seiten und Frequenzen. Die Profi-Journalisten waren gatekeeper, die sorgfältig auswählen mussten. Im Internet kehrt sich diese Situation um: Da gibt es eine Informationsflut, mangels Kontrolle viel Infomüll.
M | Die Readers Edition der Netzeitung wirbt Mitarbeiter mit dem Slogan „Jeder kann zum Journalisten werden, der Platz ist unbegrenzt“. Entsteht da gerade ein völlig neuer Begriff von Öffentlichkeit?
NEUBERGER | Der Begriff Journalismus wird im Internet inflationär gebraucht. Das Netz bietet natürlich jedem die Möglichkeit, irgendetwas zu veröffentlichen. In den späten neunziger Jahren waren das die privaten Homepages. Mittlerweile hat das Format der Weblogs an Bedeutung gewonnen. Im Journalismus geht es aber auch um bestimmte Qualitätsstandards. Beim klassischen Journalismus sorgt dafür zunächst die Berufsausbildung, später redaktionelle Kontrollmechanismen. Ich will nicht ausschließen, dass auch im Bereich der Nutzerbeteiligung im Internet journalistische Leistungen erbracht werden können. Dann muss man aber auch einen Mechanismus der Qualitätssicherung finden.
M | Wo wird diese Forderung zufrieden stellend eingelöst?
NEUBERGER | Qualitätskontrolle gibt es zum Beispiel bei Wikipedia, da wird das sehr breit diskutiert. Allerdings geht es dabei weniger um Journalismus als um eine enzyklopädische Ansammlung von Wissen. Dann ist da noch der Ableger WikiNews. Ein anderes Beispiel – shortnews.de -finde ich auch ganz spannend. Die haben Formen der gegenseitigen Bewertung und Überprüfung von Beiträgen. Grundsätzlich gibt es einen entscheidenden Unterschied: Im Internet wird erst publiziert und dann geprüft.
M | Bislang sind es eher etablierte Online- und Offline-Medien, die das Engagement der Bürger für ihre Angebote nutzen wollen…
NEUBERGER | Hierzulande ist das ein wenig durch das Internet hochgespült. Man merkt: Die Nutzer sind durchaus in der Lage, im Internet selber zu schreiben. Jetzt versuchen auch die Tageszeitungen, diese Möglichkeiten auszunutzen. Wobei es ja – wie bei der Saarbrücker Zeitung oder bei Bild – oft nur um Fotos geht. Das hat wiederum mit der Aufzeichnungstechnik zu tun, mit der Foto- und Videofunktion am Handy. Aber auch das ist im Grunde eine alte Geschichte. Wir hatten Anfang der 90er Jahre die Debatte um Reality TV, weil sich damals auch Privatleute Videokameras leisten konnten. Auf diese Weise entstanden viele Zufallsaufnahmen, etwa von Prominenten, aber auch von Unglücksfällen, Verbrechen, usw. Dazu entstanden die passenden Formate im Fernsehen.
M | Also Vorläufer des Paparazzitums, zu dem heute Bild ihre „Leser-Reporter“ ermuntert. Für die Medieneigner eine kommode Situation: Warum Geld für Profis, wenn die Nutzer die Inhalte teilweise gratis herbeischaffen?
NEUBERGER | Genau, da vermischt sich manches. Es existiert der hehre Anspruch auf mehr Partizipation, dann wird immer auf Brecht und Enzensberger verwiesen. Aber die Situation bei den Tageszeitungen ist bekannt. Redaktionen werden tendenziell verkleinert. Im Rahmen der Sparpolitik der Verlage ist das eine Möglichkeit, auf Fotografen zu verzichten oder in den Lokalredaktionen Stellen einzusparen. Schlecht oder gar nicht bezahlte freie Mitarbeiter gab es allerdings schon immer. Das Ganze wird verkauft unter dem Motto einer „stärkeren Einbeziehung“ der Leser.
M | Können Blogger als ernsthafte Konkurrenz oder Bedrohung des etablierten Journalismus gelten?
NEUBERGER | Die Behauptung, dass professioneller Journalismus durch Weblogs ersetzt oder verdrängt werden könne, halte ich für unsinnig. Es gibt natürlich ein paar Blogger, die mit hohem Selbstbewusstsein solche Dinge behaupten. Blogs sollten nicht unterschätzt werden, sie sind aber eher eine Ergänzung. Wobei pauschale Aussagen über Weblogs eigentlich unzulässig sind. Meist handelt es sich um Produkte von Menschen, die eher über ihren privaten Alltag berichten, Kontakt zu Gleichgesinnten suchen und gar kein Interesse daran haben, mit relevanten Themen eine größere Öffentlichkeit zu erreichen.
M | Was können die Journalisten der etablierten Medien von der Weblog-Kommunikation lernen?
NEUBERGER | Sie können gesellschaftliche Trends beobachten, aber auch eine Resonanz auf die eigene Arbeit erhalten. Eine verschärfte Spielart bilden die Watchblogs wie Bildblog, die die kritische Auseinandersetzung mit dem Journalismus betreiben. Teilweise geht es um eine bewusste Abgrenzung gegenüber dem professionellen Journalismus oder den klassischen Medien. Das kann durchaus erfrischend sein, auch ein bisschen anarchisch. Da andere Stimmen als die üblichen zu Wort kommen, kann das zur Erweiterung der Meinungsvielfalt beitragen.
M | Welche Rolle kommt dem professionellen Journalismus künftig zu?
NEUBERGER | Profijournalisten werden künftig Verweise geben auf das, was wirklich wichtig ist und überprüfen, was man findet. An dieser Stelle wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Das betrifft nicht nur den Online-Journalismus, sondern auch die klassischen Medien. Aufgabe der Journalisten wird dann die Sichtung und Prüfung der Informationen. Der Journalismus wird sich so ändern, dass die Nutzerbeteiligung im Internet und in anderen Bereichen zunimmt. Das wird Rückwirkungen auf die Berufsrolle des Journalisten haben, die sich in Navigatoren und teilweise in Moderatoren verwandeln, die das Gespräch mit den Nutzern moderieren.
Das Gespräch führte Günter Herkel