Fotograf klagt gegen die Deutsche Rentenversicherung
Ilja Winkler (Name geändert) ist Mitte 50 und seit 30 Jahren als Fotoreporter unterwegs. Er arbeitete fest angestellt mit Redakteursvertrag bei zwei großen bundesdeutschen Zeitungen, bis er sich 1989 selbständig machte und sich – bis auf ein Zwischenspiel als Bildredakteur – auf Theaterfotografie konzentrierte. Stundenlang beobachtete er durch den Kamerasucher das Geschehen auf der Bühne – stehend, sitzend oder zwischen der Theaterbestuhlung knieend. Oft mit zwei Kameras abwechselnd auf der Schulter und am Auge. Für Bildagenturen arbeiten hieß, fünf bis acht Termine am Tag mit sofortiger Bildlieferung. Immer dabei: die 12–15 Kilo schwere Fototasche mit kostspieliger Technik auf der Schulter oder der ebenso kompakte Fotorucksack auf dem Rücken.
Ilja bezahlt für die jahrzehntelange Überbelastung mit seiner Gesundheit. Der Verschleiß an der Halswirbelsäule durch das Schleppen der Fototasche führte zu starken Schmerzen und tauben Fingern. Er war monatelang krank geschrieben. Die Krankenkasse blockte Krankentagegeldzahlungen ab. Der Vertrauensarzt empfahl, die schwere Fototasche beim Termin irgendwo abzustellen, eine leichtere Kamera zu nehmen, vielleicht einen Rollkoffer hinter sich herzuziehen. Dass die teure Profi-Ausrüstung geklaut werden könne, man aus einem Rucksack oder Rollkoffer heraus nicht im Gehen arbeiten kann, sei ein mangelnder Organisationsfähigkeit geschuldetes Argument. „Dieser Rat eines mit unserer beruflichen Praxis unvertrauten Mediziners half mir nicht weiter“, sagt Winkler. „Ich trage schon lange wenn möglich einen Rucksack. Mein Arbeitsplatz zu Hause ist ergonomisch. Meine Beschwerden haben sich dennoch verschlimmert.“
Nach einer Kur, die Besserung aber keine Heilung brachte, beantragte er auf Rat seiner Hausärztin bei der Deutschen Rentenversicherung eine Erwerbsminderungsrente. Dieser Antrag, wie auch sein Widerspruch, dem er Beschreibungen seines beruflichen Alltags beilegte, wurden abgelehnt. Nach, wie Winkler sagte, „oberflächlicher medizinischer Begutachtung“, wurde ihm bescheinigt, mindestens sechs Stunden arbeiten, „mittelschwere Arbeiten überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen verrichten und seine Tätigkeit uneingeschränkt ausüben“ zu können. Es bestehe weder volle noch teilweise Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit.
Ilja Winkler hat inzwischen Klage beim Sozialgericht eingereicht. Sein Anwalt sieht den Ablehnungsbescheid als „rechtswidrig“ an und die Einstufung des Fotografen als „ungelernten Arbeiter“ mit einem Verweis auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts als fehlerhaft. Er charakterisiert den Beruf als einen, der ein hohes Maß an Kreativität, Wissen und Können erfordert. Auch wenn Winkler keinen Abschluss habe, sei er doch nach zweijähriger Ausbildung und durch sein vertiefendes Volontariat vom Arbeitgeber als Absolvent der Fachhochschule anerkannt worden. Wenn die erworbene Berufskompetenz jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Erzielung von Einkommen eingesetzt werden könne, liege Berufsunfähigkeit vor.
Winkler wünscht sich vom Gericht eine individuelle und prinzipielle Entscheidung zugleich, weil es vielen Kollegen so wie ihm gehe. Winkler hat ver.di über diese Probleme informiert und die Fotografenvereinigung FreeLens um eine Stellungnahme zum Berufsbild des Fotojournalisten gebeten.