Bild versus Presserat

Germanwings-Beschwerden beraten: Co-Pilot durfte benannt werden

Die Berichterstattung über den Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525 mit 149 Toten war umstritten. Insgesamt 430 Menschen beanstandeten beim Deutschen Presserat Berichte über das Unglück. Das ist die höchste Zahl an Beschwerden zu einem einzelnen Ereignis seit Gründung des Selbstkontrollgremiums der Presse. Zwei öffentliche Rügen, sechs Missbilligungen und neun Hinweise wurden ausgesprochen. Mit einer Kampagne gegen den Presserat glaubte die in einem weiteren Fall gerügte Bild, Unzulänglichkeiten übertünchen zu können.


Die Beschwerdeausschüsse des Presserats kamen Anfang Juni zu dem Schluss, dass der Co-Pilot des Germanwings-Flugs in den allermeisten Fällen benannt und abgebildet werden durfte. Unzulässig dagegen sei die Abbildung von Opfern und deren Angehörigen. Ausnahmen lässt der Pressekodex hier nur zu, wenn es sich um berühmte Persönlichkeiten handeln oder eine ausdrückliche Zustimmung vorliegen würde. In diesem „außergewöhnlichen und einzigartigen Fall“ überwiege das öffentliche Interesse an der Information über den Täter. Mit Blick auf eine mögliche Vorverurteilung des Co-Piloten durch die Berichterstattung kam der Presserat zu der Auffassung, dass die Medien ab dem Zeitpunkt der Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Marseille am 26. März davon ausgehen durften, dass Andreas Lubitz das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatten entsprechende Erkenntnisse durch die Auswertungen des Sprachrekorders und weitere Ermittlungen der französischen Luftfahrtbehörde vorgelegen. Die Medien konnten von Täterschaft ausgehen und im Zusammenhang mit der Einzigartigkeit des Falls den Namen des Co-Piloten nennen, so der Presserat.

Eine Rüge gegen Bild und eine Missbilligung gegen Bild Online wurden ausgesprochen, weil mehrfach Bilder und Namen und anderes mehr von Opfern veröffentlicht und damit die Persönlichkeitsrechte der Menschen verletzt worden waren. Eine weitere Rüge erging gegen die Rheinische Post wegen eines Berichtes über die Partnerin des Co-Piloten, der so viele persönliche Details über sie enthalten hatte, dass sie für einen erweiterten Personenkreis identifizierbar war.
Keinen Verstoß gegen den Pressekodex sah der Beschwerdeausschuss 2 in der Bild-Kolumne „Post von Wagner: Liebe Absturzopfer“, gegen die 31 Beschwerden vorlagen. Darin seien keine Äußerungen enthalten gewesen, die gegen den Pressekodex verstoßen hätten. Zu Entscheidungen über guten oder schlechten Geschmack sei der Presserat jedoch nicht berufen, hieß es in der Begründung.

Protestaufruf

Die Bild-Zeitung im Kampagnenfieber: http://www.bild.de/regional/hamburg/mord/das-denkt-der-presserat-ueber-den-mord-an-unserer-tochter-lisa-41186944.bild.html
Die Bild-Zeitung im Kampagnenfieber

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Just an dem Tag, an dem die Mitglieder der Ausschüsse beim Presserat über die Beschwerden zum Germanwings-Absturz beraten sollten, rief die Bild-Zeitung ihre Leserinnen und Leser dazu auf, dem Presserat „ihre Meinung“ zu sagen. Nicht zur Berichterstattung der Boulevard-Dampfwalze über den Flugzeugabsturz. Nein, die im Springer Verlag erscheinende Bild-Zeitung hat die Eltern eines Mordopfers zu Wort kommen lassen, um ihrem Unverständnis hinsichtlich einer Presseratsentscheidung, die die identifizierende Berichterstattung über den Mörder ihrer Tochter gerügt hatte, Ausdruck zu verleihen. Bild hatte in dem Fall ein unverpixeltes Foto des minderjährigen Täters abgedruckt. Der Presserat begründete seine Rüge damit, dass das Blatt gegen den Schutz der Persönlichkeitsrechte verstoßen habe, denn: „Der Artikel berichtet über das abgeschlossene Strafverfahren und die erwiesene Schuld des Täters. Die schutzbedürftigen Interessen des Betroffenen sind jedoch durch die identifizierende Berichterstattung verletzt. Gemäß Richtlinie 8.3 des Pressekodex dürfen insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein. Bei der Tat handelt es sich zwar um eine schwere, nicht jedoch um eine außergewöhnlich schwere und in ihrer Art und Dimension besondere Straftat gemäß Richtlinie 8.1 Abs. 2 des Pressekodex.“
Die Bild-Zeitung verkürzt diese Begründung auf den Vorwurf, der Presserat hielte den Mord an der jungen Frau für „nicht außergewöhnlich“ – Klar, da muss die Leserschaft protestieren bei der Selbstregulierungsinstanz der Presse, die von dem Verlegerverband mitgetragen wird, in dem auch der Springer-Verlag Mitglied ist. Und die Bild kann am nächsten Tag nochmal nachlegen und die „entsetzten Reaktionen“ dokumentieren. Wobei es auch Entsetzen über die Bild-Zeitung gab. So heißt es in einer Nachricht an den Presserat: „Hiermit möchte ich Ihnen meine Meinung sagen: Vielen Dank! Danke, dass Sie die Bild für die unangemessenen und Persönlichkeitsrechte verletzenden Artikel gerügt haben. Falls Sie nun viele Anrufe und Mails mit wütendem Protest im Sinne Diekmanns Wunsch erhalten, so möchte ich Ihnen schreiben, dass es viele Bürger gibt, die diese Rüge richtig verstehen und Sie die wütenden, Betroffenheit heuchelnden (Bild)Leser nicht ernst zu nehmen brauchen.“

 wen/coh

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