Bildkritik: Tiefer Griff in Klischeekiste

Faksimile des kritisierten Fotos in der Frankfurter Rundschau (Felix Koltermann)

Bildkritik

ist die neue Kolumne von Menschen Machen Medien.
Der Journalist und Kommunikationswissenschaftler Felix Koltermann diskutiert dort in regelmäßigen Abständen den Umgang publizistischer Medien mit fotografischen Bildern.

Die Funktion von Nachrichtenbildern ist, ein konkretes Geschehen im Bild festzuhalten und darüber Informationen zu vermitteln. Wie vor allem durch eine symbolhafte Verwendung dieser Bilder bildethische Fragestellungen virulent werden, zeigt ein Bespiel aus der Frankfurter Rundschau.

In der gedruckten Wochenendausgabe vom 18./19. Juli veröffentlichte die Frankfurter Rundschau (FR) einen Artikel von Pitt von Bebenburg über verringerte Sozialleistungen für Asylbewerber*innen, die in einer Sammelunterkunft leben. Der „Weniger Geld für Asylsuchende“ betitelte Text lief über vier Spalten und nahm in der im Tabloid-Format erscheinenden Zeitung fast die gesamte unter Seitenhälfte ein. Visualisiert wurde das Thema über eine dreispaltig platzierte Fotografie, die eine Gruppe von Menschen hinter mehreren Bahnen Absperrband zeigt, auf denen „FEUERWEHR – SPERRZONE“ zu lesen ist. Anstatt etwa ein Bild aus einer Sammelunterkunft zu wählen, hat die FR mit dieser Form der abstrakten Visualisierung von Asylsuchenden tief in die Klischeekiste gegriffen.

Als Kontextualisierung des Bildes dienen die Bildunterschrift „Geflüchtete, die zusammen wohnen müssen, sollen auch zusammen wirtschaften“ sowie die Quellenangabe „Andersen/AFP“. Anstatt Hinweise auf den Bildinhalt und das dort gezeigte Geschehen zu liefern, greift die BU also das Kernthema des Textes auf. Am Dargestellten selbst ist unschwer zu erkennen, dass das Bild – anders als es die BU andeutet – keine gemeinsame Wohnsituation zeigt. Stattdessen sehen wir eine Gruppe vornehmlich männlicher Personen in einem Bildausschnitt, der keinen Rückschluss auf die Raumsituation zulässt. Auch der Artikel liefert diesbezüglich keine Informationen, da er vor allem die politische Debatte um das Thema und dessen gerichtliche Aufarbeitung nachzeichnet sowie verschiedene Politiker*innen zu Wort kommen lässt.

Wie so oft hilft also nur die Rückwärtssuche des Originalbildes in der Datenbank der Agentur Agence France Presse (AFP) weiter, die das Bild des Fotografen Odd Andersen vertreibt. Dabei tritt zu Tage, dass das Bild mehr als dreieinhalb Jahre alt ist und wir es somit mit einem – von der FR nicht als solchem gekennzeichnetem – Archivbild zu tun haben. Es entstand am 15. Oktober 2015 und zeigt – laut Bildunterschrift von AFP – eine Gruppe von neu angekommenen Asylsuchenden, die beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) auf die Möglichkeit der Pre-Registrierung warten. Weitere Bilder derselben Situation von Andersen verdeutlichen, dass die Aufnahme in einem Zelt auf dem Gelände des Lageso entstanden ist, was die dunkle Lichtsituation erklärt. Für die Publikation wurde das Bild leicht beschnitten.

Problematisch an der Bildverwendung ist, dass alle Personen klar erkennbar sind, aber der konkrete Kontext der Aufnahme aus dem Jahr 2015 völlig ignoriert wird. Egal wo, wie und mit welchen Status die Dargestellten heute leben, sie stehen exemplarisch für die Gruppe der Asylbewerber*innen. Kritisch zu sehen ist darüber hinaus die Symbolik des Absperrbandes, das Gefahr und die Notwendigkeit der Abgrenzung suggeriert. Alles in allem hat die FR sich hier für eine Bebilderung entschieden, mit der Asylsuchende als unidentifizierbare Masse gezeigt werden, die in Schach gehalten werden muss. Besser lassen sich Stereotype gegenüber Asylsuchenden und Migrant*innen kaum fördern.

Felix Koltermann ‹‹

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

dju fordert Schutz für Medienschaffende

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di fordert nach dem erschreckend milden Urteil im Verfahren zum Angriff auf Journalist*innen in Dresden-Laubegast staatlich garantierten Schutz für Medienschaffende. Über zehn Männer hatten im Februar 2022 in Dresden-Laubegast am Rande einer Demonstration im verschwörungsideologischen Milieu sechs Journalist*innen und ihren Begleitschutz angegriffen.
mehr »

Unsicherheit in der Medienlandschaft

Künstliche Intelligenz (KI) und ihre Auswirkungen auf die Medienbranche wurden auch bei des diesjährigen Münchner Medientagen intensiv diskutiert. Besonders groß sind die Herausforderungen für Online-Redaktionen. Im Zentrum der Veranstaltung  mit 5000 Besucher*innen, mehr als 350 Referent*innen aus Medienwirtschaft und -politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, stand allerdings die Frage, wie Tech-Konzerne reguliert werden sollten.
mehr »

Für faire Arbeit bei Filmfestivals

„Wir müssen uns noch besser vernetzen und voneinander lernen!“, war die einhellige Meinung bei der Veranstaltung der ver.di-AG Festivalarbeit im Rahmen des  Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Die AG hatte zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel Labour Conditions for Festival Workers: Roundtable & Fair Festival Award Launch eingeladen. Zu Gast waren internationale Teilnehmer*innen. Die Veranstaltung war auch der Startschuss zur ersten Umfragerunde des 4. Fair Festival Awards.
mehr »

DOK Leipzig: Weniger Barrierefreiheit

Statt 41 barrierefreien Veranstaltungen kann DOK Leipzig (27. Oktober bis 2. November) in diesem Jahr nur sechs anbieten. Ursache ist die Kürzung einer Förderung für Inklusion im Kulturbereich im sächsischen Doppelhaushalt 2025/26. Wie läuft Inklusion im Kulturbereich zu Zeiten knapper öffentlicher Mittel? Und was heißt das für die Redakteur*innen und Dienstleister, die barrierefreie Fassungen erstellen?
mehr »