Billige Konkurrenz

Journalisten als Ein-Euro-Jobber kaum als gemeinnützig zu betrachten

Arbeitslose Journalisten und Hochschulabsolventen der Geisteswissenschaften werden in Frankfurt als Ein-Euro-Jobber eingesetzt. Die Deutsche Journalistinnen-und Journalisten-Union (dju) in Frankfurt sieht solche von der Arbeitsagentur nach Hartz IV verordneten Jobs keinesfalls als gemeinnützig und im öffentlichen Interesse an. Vielmehr wird so ein Verdrängungswettbewerb zu regulär frei arbeitenden Journalisten eröffnet. Sie werden in ihrer Existenz durch die neue Billigkonkurrenz bedroht.

Im November 2004 ist eine sogenannte Arbeitsgelegenheit nach Hartz IV bei der Frankfurter Beschäftigungsgesellschaft GFFB angelaufen – unter dem wenig aussagekräftigen Titel „Erweiterung der fremd-sprachlichen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten in der Rhein-Main-Region“. Aufgebaut werden sollte im Rahmen des Projektes „Euro-City Frankfurt“ eine mehrsprachige Webseite für ein internationales Publikum und Reisende in der Region. Für den Ein-Euro-Job wurden bislang hauptsächlich arbeitslose Journalisten, sowie Hochschulabsolventen von Geisteswissenschaften aller Sparten von Soziologie über Kunstgeschichte bis Jura eingesetzt. So sieht nun also Hartz IV für Journalisten aus: Für einen Zeitraum von jeweils neun Monaten sollen in bis zu 25 Stunden wöchentlich rund 30 vom Rhein-Main-Jobcenter vermittelte Mitarbeiter für 1.50 Euro die Stunde Texte erstellen. Erklärtes Ziel dabei ist, „die Standortattraktivität Frankfurts und der Region zu steigern“: Ein klassisches Feld, in dem üblicherweise regulär freie Journalisten oder auch PR-Texter tätig werden könnten. Zwei weitere Tätigkeitsfelder sind die „Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit von Non-Profit-Organisationen“ und der „Aufbau von Stadtteilbüros“. Dafür wurde bereits eine Broschüre für 1.50 Euro die Stunde produziert. Werden hier Langzeitarbeitslose als Billigkonkurrenz aufgebaut, obgleich es im Rhein-Main-Gebiet – wie überall in der Republik – derzeit einen bereits übersättigten Markt an freien Journalisten und Webdesignern gibt? „So ist es, es kommt zu einer Verdrängung und als Folge zu einer tendenziellen Absenkung von Honorarsätzen. Denn hier ist eine Variante gefunden worden, billiger zu produzieren“, sagt ver.di-Landesmediensekretär Manfred Moos in Hessen.

Arbeitsgelegenheiten im öffentlichen Auftrag von Ämtern oder städtischen Auftraggebern wolle man selbstverständlich nicht einrichten, weil sonst die Zusätzlichkeit nicht gewährt wäre, rechtfertigt Lutz Klein, stellvertretender Geschäftsführer des Rhein-Main-Jobcenters. „Es muss allerdings im Interesse des Arbeitslosen, seiner späteren Vermittlung und somit auch in unserem sein, dass wir mit diesen Arbeitsgelegenheiten möglichst nah am späteren Arbeitsgebiet liegen. Wenn Sie beispielsweise eine Bastelstube mit Makrame machen, dann werden Sie Vermittlungsprobleme kriegen, weil das, was man an Fähigkeiten erlernt, auf dem Markt nicht gefragt ist“, schildert er den Spagat, Ein-Euro-Jobs zu gestalten.

Leere Versprechungen

Nah am späteren Arbeitsgebiet dran? Kann man von diesen Hartz IV-Jobs nun wirklich nicht behaupten. Teilnehmer sind bereits frustriert. Die Zusatzarbeitsgelegenheit wird mit einem Dumping-Lohn bezahlt. Obendrein gab es einzig leere Versprechungen, die selbst verfassten Texte publizieren zu können. Die geplante Webseite http://www.eurocity-frankfurt.de ist seit November 2004 „im Aufbau befindlich“, und ist es, ein Jahr später, bei Redaktionsschluss der „M“ immer noch. Klartext: Sie hat nie existiert. Von Mitarbeitern produzierte Texte verschwinden ungelesen in der Schublade oder im digitalen Nirwana. Von einigen Ein-Euro-Jobbern wurde insofern zu Recht beklagt, der Job sei reine Zeitverschwendung: Neun verlorene Monate, danach perspektivlos wie zuvor. Namentlich benannt werden möchte keiner der Kritiker, eine Sperre von der Arbeitsagentur kann sich niemand leisten. „Hier wurde nur für den Papierkorb geschrieben, der Träger GFFB hat insofern nur Fördergelder von rund 350 Euro pro Person abgegriffen. Zu einer professionellen Tätigkeit hat sowieso niemand eine Chance nach einem solchen Schnelldurchgang“, so Landesmediensekretär Moos. „Es wird hier offenbar nur Beschäftigung um der Beschäftigung selbst willen angeboten.“

In der Tat, nach Auskünften von Teilnehmern haperte es mit der versprochenen Qualifikation. Computerkurse, die sie gern belegt hätten, seien im Budget nicht vorgesehen, bestätigt auch die Geschäftsführerin der GFFB Barbara Wagner. „Darüber sind wir noch in Verhandlungen mit dem Rhein-Main-Jobcenter. Wir würden auch gern mehr für die Vermittlungschancen tun, auch darüber sind wir im Gespräch. Alles ist noch im Aufbau“.

Und während alles noch im Aufbau ist, werden arbeitslose Journalisten und Hochschulabsolventen als Versuchskarnickel für ratlose Arbeitsagenteure und ihren Träger GFFB benutzt, wird kostbare Lebenszeit von arbeitslosen Akademikern vergeudet! Das kann wütend machen. Da hilft auch kein gut gemeinter, aber eher schwacher Trost des Geschäftsführers des Rhein-Main-Jobcenters: „Die gesetzliche Grundlage ist, dass jeder eine solche Arbeitsgelegenheit annehmen muss. Wir wissen allerdings, dass es relativ wenig bringt und zu schlechten Ergebnissen führt, Leute in Arbeitsgelegenheiten zu zwingen. Dann wird der gelbe Zettel vom Arzt gebracht. Der Freiwilligkeitsbegriff ist in der öffentlichen Debatte zu kurz gegriffen geführt. Selbst wenn wir häufig nichts für einen Arbeitslosen finden, bekommt er sein Arbeitslosengeld II.“ Manfred Moos sieht das anders: „Arbeitslosen hochqualifizierten Hochschulabsolventen müssen adäquate Angebote gemacht werden, die an ihre Fähigkeiten anknüpfen, damit sie sich auf dem Arbeitsmarkt bewähren können.“

Gerade in Frankfurt allerdings stehen bereits viele erfahrene Journalisten auf der Straße. Seriöse Bildungsträger, wie Wirtschafts- und Bildungsservice (WBS), haben deshalb bereits vor Jahren in Frankfurt vom Arbeitsamt geförderte Qualifizierungskurse im Bereich Online- und Fachzeitschriften-Journalismus eingestellt. Weil erkannt wurde, dass es nirgendwo hin führt, weiterzubilden, wenn es keine Jobs gibt. Klein sieht Ein-Euro-Jobber nicht als Konkurrenz. „Man hat es in aller Regel mit Klienten zu tun, die eingeschränkt leis-tungsfähig sind, sonst gehen sie nicht in eine Arbeitsgelegenheit. Wir würden schon erst einmal versuchen, im ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Wer gut formulieren kann und der deutschen Sprache sehr mächtig ist, kann doch auch in angrenzenden Gebieten arbeiten“, degradiert der Geschäftsführer des Jobcenters seine Klientel. Dabei weiß Klein: „Journalisten sind keine typischen Langzeit-arbeitslosen, weil sie häufig selbstständig waren, nicht einbezahlt haben und deshalb kein Arbeitslosengeld beziehen. Sie rutschen dann direkt in ALG II. Wir müssen realistisch bleiben, es wird eine Menge Leute geben, die in einer Arbeitsgelegenheit waren, aber später keine reguläre Beschäftigung bekommen. Letztendlich ist alles den Grenzen des Marktes geschuldet, ob jemand dies schafft.“

Nutzungsrechte missachtet

Wie steht es eigentlich mit Nutzungsrechten, mit Urheberrechten des Autors? Wird der Verfasser einer Broschüre nicht widergesetzlich enteignet? Sicherlich, es wird nicht verkauft, es entstehen keine Erlöse. Doch das Problem ist: Es wird publiziert, verbreitet und vervielfältigt. Sollte die Webseite „Frankfurt Eurocity“ einst, wie geplant, tatsächlich entstehen – dito. Und zwar zu Konditionen, die jedem freien Journalisten die Tränen in die Augen treiben würden. „Dies ist uns neu. Sollten sich urheberrechtliche Probleme aus den Arbeitsgelegenheiten ergeben, muss man diese einstellen. Denn wenn ein freier Journalist sagt, ‚ich möchte das honoriert haben‘, fehlen uns dafür die Möglichkeiten. Sollte es tatsächlich ernst zu nehmende juristische Bedenken geben, dann müsste ich als Geschäftführer ordnungspolitisch eingreifen. Auch wenn eine Verdrängung im ersten Arbeitsmarkt nicht auszuschließen sein sollte, müssten wir das Konzept gegebenenfalls ändern“, meint Klein. Harald Fiedler, der für den DGB im Beirat des Rhein-Main-Jobcenters sitzt (einem Kontrollgremium mit Vertretern gesellschaftlich relevanter Institutionen) bestätigt dies, und meint: „Wenn wir über Ross und Reiter in der Angelegenheit informiert sind, werden wir dies zur Sprache bringen“.

ver.di-Urheberrechtler Wolfgang Schimmel hat dazu allerdings eine eindeutige Meinung. Er geht durchaus davon aus, dass hier „offensichtlich Arbeitslose als Billigkonkurrenz missbraucht werden“. Mit der Aufnahme dieser sogenannten Arbeitsgelegenheit werde „kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts“ (§16 Abs.3 SGB) begründet, so Schimmel. Damit fielen entsprechende Arbeitnehmerrechte weg – „aber auch die arbeitsvertragliche Pflicht, im erforderlichen Umfang Nutzungsrechte einzuräumen.“ Um Nutzungsrechte beispielsweise von Journalisten zu erwerben, müsse ein entsprechender Vertrag abgeschlossen werden. (M 09 – 10 / 2005, S. 11)

 

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