„Betriebsräte in Zeitungsverlagen müssten elektrisiert sein“ – tiefgreifende Veränderungsprozesse erfordern frühzeitiges Agieren und den ganzheitlichen Blick
Die „industrielle Wirklichkeit“ hat auch die Zeitungsbranche erreicht. Der organisatorisch-technologische Wandel und der damit verbundene Umbruch in den Zeitungsverlagen geht jedoch eher leise vonstatten: „Digital Workflow“ heißt das Instrument, das zur Zeit in vielen Verlagen eingeführt und als Element der Zukunftssicherung propagiert wird. Betriebsräte sind stärker als je zuvor gefordert.
Der Digital Workflow bietet völlig neue Möglichkeiten für eine hocheffiziente industrielle Fertigung von Zeitung. Er ist für Zeitungsverlage auf allen Ebenen der Herstellung das Rationalisierungsinstrument. Gegenüber früheren Rationalisierungsstrategien in Zeitungen stellt er eine deutlich neue Qualität dar.
Was ist Digital Workflow? Vereinfacht ausgedrückt ist es die computergestützte (digitale) Planung und Organisation der Arbeitsabläufe (Workflow) der Zeitungsherstellung. Alle Inhalte der Zeitung – ob redaktionelle Artikel, Fotos oder Anzeigen – liegen als Computerdaten vor und werden digital verarbeitet, bis hin zur fertigen Ganzseite auf der Druckplatte. Dies ist ein Teil des Workflows, der andere ist die betriebswirtschaftliche, zahlenmäßige Erfassung dieser Arbeitsabläufe. Kostenstrukturen werden durchgängig transparent.
Ausgliederung und Personalabbau
Workflowmanagement-Systeme (computergestützte Steuerung von Arbeitsvorgängen) sind daher keine rein technischen Lösungen, sondern mit ihrer Einführung geht die Neugliederung der Arbeitsorganisation einher. Re-Engineering und Prozessgestaltung sind hier die zentralen Begriffe. Ökonomische Erfassung und Steuerbarkeit aller Prozesse sind die Instrumente für’s Management.
Bei Gruner + Jahr, der Madsack-Gruppe, der Rheinischen Post und weiteren Zeitungen sind wesentliche Elemente des Digital Workflow bereits eingeführt, die WAZ-Gruppe beginnt zur Zeit auf breiter Front mit der Realisierung. Die Folgen für Mitarbeiter in unterschiedlichen Funktionsbereichen reichen von der Ausgliederung bis zu umfangreichem Abbau von Personal.
Eine treibende Kraft für diese strukturellen Veränderungen der Zeitungsverlage waren die konjunkturellen Einbrüche (Umsatzrückgänge und damit einbrechende Gewinne) der letzten drei Jahre. Bereits in den 90er Jahren wurde bei Zeitungsverlagen der Computereinsatz vorwiegend zur Rationalisierung einzelner Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche (z. B. Entwicklung einer spezifischen Software zur Bearbeitung von Texten) genutzt. Dies führte sehr häufig zu einer unverbundenen Vielfalt kleiner EDV-Systeme und -lösungen und brachte neue kostentreibende Probleme mit sich. In enger Zusammenarbeit von Software-Entwicklern / Anbietern und Zeitungsverlagen / Management sind erst in den letzten fünf Jahren integrierte und tragfähige Softwarelösungen, die alle Funktionsbereiche der Zeitungsunternehmen miteinander verknüpfen, entwickelt worden.
Im Gegensatz zu den vorherigen Insellösungen sind Digital-Workflow-Systeme im Zeitungsbereich heute dadurch gekennzeichnet, dass sie die Organisation und Koordinierung sämtlicher Tätigkeiten und Vorgänge im Rahmen eines Geschäftsprozesses oder auch der Kombination verschiedener Prozesse übernehmen. Hierfür wird eine einheitliche Datengrundlage und eine einheitliche Oberfläche geschaffen, um so digital erfasste Vorgänge (z. B. Anzeigen, Zahlungseingänge, Zeitungsartikel) eindeutig den verschiedenen Funktionsbereichen zuzuordnen und durch die aufeinander folgenden Bearbeitungsschritte zu schleusen.
Abläufe in Datenmodell übersetzt
Die Zeitungsbranche durchläuft damit ähnliche Entwicklungen wie der Banken- und Versicherungsbereich. Dort wurden hochstandardisierbare Arbeitsabläufe organisatorisch neu gefasst und in digitaler Form abgebildet. Sie führen heute noch zu Rationalisierungsschüben mit unterschiedlicher personeller Auswirkung.
Ganz konkret funktionieren Workflow-Systeme folgendermaßen: bestehende Abläufe werden neu durchdacht (in Form sogenannter Geschäftsprozesse), neu gestaltet und in ein Datenmodell übersetzt. Zum Beispiel ein Online-Anzeigen-System. Der Anzeigenkunde gestaltet seine Anzeige selbst mit Hilfe eines entsprechenden Programms, das Teil des Gesamtprogramms des Workflows ist.
Das Datenmodell ermöglicht die eindeutige Zuordnung aller Vorgänge und Dokumente, hier der Kundenanzeige. Die Anzeige geht zur zentralen Blattplanung / Leitstand, parallel dazu erfolgt der Bankeinzug und die Verbuchung.
Hinzu kommt eine stark erweiterte Steuerungsmöglichkeit für das Management, weil nun sämtliche Schritte in der Bearbeitung zur Erstellung der Zeitung sofort und jederzeit und überall nachvollziehbar sind. Ausdruck dieser erweiterten Steuerungsmöglichkeit ist sehr häufig der Auf- oder Ausbau von Controllingbereichen.
Die andere Seite der Medaille
Diese neue Qualität der Arbeit hat auch eine Kehrseite. Erstens, die Gefahr der Ausgliederung und des Abbaus von Arbeitsplätzen steigt. So sind zum Beispiel im Zusammenhang mit der Einführung des Workflow-Systems in einer größeren Zeitung die telefonische Anzeigenannahme abgebaut und Teile davon in einem outgesourcten Bereich konzentriert worden. Dies bedeutete den Verlust des Arbeitsplatzes für mehr als 80 Prozent der bisher in diesem Bereich Beschäftigten.
Zweitens, die Veränderung der Arbeitsorganisation, der Arbeitsabläufe führt zu veränderten Qualifikationsanforderungen, die in einem systematischen Personalentwicklungsprozess erfasst, konzeptionell gelöst und qualifikatorisch abgearbeitet werden müssten. In der Praxis von Zeitungsverlagen gibt es jedoch Personalentwicklung noch nicht einmal dem Wort nach.
Drittens, zuletzt bieten Workflow-Systeme veränderte Möglichkeiten der Leistungs- und Verhaltenskontrolle.
Dies sind alles Themen, die jeden Betriebsrat elektrisieren müssen. Betriebliche Interessenvertretungen sind viel stärker als bisher üblich gefordert, sich auf Themen wie Analyse und Optimierung von Geschäftsprozessen wie auch der Überprüfung der eigenen Rolle bei diesen Veränderungsprozessen einzulassen. Es geht um Kompetenzentwicklung des Betriebsrates und um das Ausloten von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen für Betriebsräte in diesem Veränderungsprozess.
Entscheidungsspielräume
Die Einführungsstrategie des Managements bezogen auf Workflow-Systeme ist durch eine starke Aufgliederung in Teilprojekte, die parallel abgewickelt werden, zu beschreiben. Hierauf gilt es frühzeitig zu agieren und ein offenes, beteiligungsorientiertes Forum aufzubauen, das die Themenfelder Geschäftsprozesse / Arbeitsorganisation und Qualifizierung / Personalentwicklung bearbeitet. Handlungsleitend könnten folgende Zielvorstellungen für den Bereich Geschäftsprozesse / Arbeitsorganisation sein: Orientierung der Tätigkeit an einer ganzheitlichen Auffassung der Aufgabenerledigung, Erweiterung und Herstellung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, ausgewogene Tätigkeitsmerkmale von dispositiver und kreativer Tätigkeit, arbeitsintegrierte Angebote von Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, Aufbau von Teamorganisationen.
Chance für Beschäftigte
Für das Themenfeld Qualifizierung / Personalentwicklung muss es in jedem Fall darum gehen, Beschäftigten, die sich durch die Entwicklung gefährdet sehen, eine Chance einzuräumen, sich mit den neuen Anforderungen auseinander zu setzen und hierzu qualifizierte Unterstützung zu bekommen. Der Betriebsrat übernimmt dabei die Rolle des Qualifizierungsberaters oder des Controllers im Interesse der Arbeitnehmer.
Dies wiederum setzt voraus, dass – wenn das System in seiner Anwendung einigermaßen klar strukturiert ist – die neuen Anforderungen in einem Workshop mit Personalabteilung und Betriebsrat diskutiert und ins Verhältnis zu den vorhandenen Qualifikationen gesetzt werden. Dabei kommt es wesentlich darauf an, sich neben den fachlichen Veränderungen auch den Fragen der Technikunterstützung und den Fragen der besseren Kooperation und Verständigung im Arbeitsablauf zu widmen.
Paul Heyenrath ist Betriebsberater des Berufsofortbildungswerks (bfw) des DGB