Verflachung in der publizistischen Fotografie

Einmischen über den „Brotjob“ hinaus, unabhängig von Zeitgeist und Trends

Schaut man sich die Fotos an, die so wöchentlich in deutschen Magazinen zu sehen sind, dann muss man feststellen, dass mehr und mehr Fotos die Bezeichnung journalistisch nicht verdienen. Ihr illustrativer Charakter dominiert, eine journalistische Haltung sucht man vergeblich. Alles ist schön bunt, griffig und inszeniert. Inhalte sind selten.

Diese Bilder umspülen die Werbeanzeigen, deren Wirkung sie damit vielleicht nicht unbedingt verstärken, sie in keinem Falle aber vermindern sollen. Seit vielen Jahren hält sich in der Branche hartnäckig das Gerücht, dass ein amerikanischer Getränkehersteller mit der direkten Einflussnahme auf den redaktionellen Teil begonnen haben soll, indem er vor dem Schalten

einer Anzeige darauf bestanden habe, dass 10 Seiten davor und danach keine Toten abgebildet werden dürften. Niemand hat bislang den Beweis für dieses Gerücht finden können, aber bei genauem Studium vieler Magazine ist man geneigt, an einen wahren Kern zu glauben. Oder kann sich jemand vorstellen, dass es ein Herrenparfüm-Hersteller locker nehmen würde, wenn seiner Anzeigenseite gegenüber ein Salgado-Foto von einem hungernden Kind im Sudan abgebildet würde?

Vermischung mit PR

Immer häufiger lassen sogar seriöse Blätter die Protagonisten ihrer Geschichten vorher casten, damit die Hauptfigur einer Geschichte nicht etwa wegen ihres unvorteilhaften Äußeren (igittigitt) die drumherum platzierten Anzeigen und die Kaufempfehlungen teurer Luxusprodukte konterkariert.

Ganz ungeniert nutzen viele Blätter daneben in wachsender Anzahl PR-Fotos mit unternehmerisch-werblichem Charakter, die offenbar ohne Gewissensprobleme in das journalistische Umfeld integriert werden, als gäbe es die Schamgrenzen nicht, die der Presserat aus gutem Grund gegen die Vermischung von Werbung und redaktionellem Teil eingerichtet hat. Bei Fotos aber wird eine derartige Vermischung nie gerügt. Dabei ist es eine hinlänglich bekannte Tatsache, dass die Leser von Tageszeitungen und Magazinen dem gedruckten Bild eine größere Glaubwürdigkeit unterstellen als dem gedruckten Wort. Umso wichtiger ist es also, dass gerade in der journalistischen Fotografie sauber zwischen PR und Journalistik getrennt wird.

Wenn man aber offenbar so wenig über die Verbindung von Auftraggeber und Intention von Fotos nachdenkt, kein Wunder, dass in deutschen Schulbüchern noch immer die Fotos von Hitler-Fotograf Heinrich Hoffmann abgedruckt werden, ohne dass offenbar jemand dabei Skrupel empfindet. Diese Hitler-Fotos wurden einst zu Propagandazwecken gemacht und ohne jeglichen Verweis darauf landen sie in Schulbüchern, mit denen man Kindern die Zeit des Nationalsozialismus erklären will.

Ein absurder Vergleich? Auch PR-Fotos werden von den auftraggebenden Unternehmen mit der Absicht gemacht, ihr Unternehmen möglichst positiv, also dynamisch, erfolgreich, umweltgerecht, sozial eingestellt usw. darzustellen. Einen journalistischen Ansatz wird man dagegen kaum finden. Trotzdem haben diese kostenlosen PR-Fotos reißenden Absatz. Hauptsache honorarfrei, scheinen die Redaktionen zu denken und man kann ihnen das fast verzeihen, unterscheiden sich diese Fotos doch ohnehin kaum noch von jenen oberflächlichen „journalistischen“ Bildern, die ansonsten als illustrative Vignetten die Magazinseiten garnieren.

Mehr dekorativ als journalistisch

Leider machen selbst Organisationen, die es eigentlich anders sehen sollten, bei dieser inhaltsleeren fotografischen Buntmalerei mit und verwischen somit den Unterschied zwischen journalistisch und dekorativ. Beim World Press Award zum Beispiel, der doch eigentlich die stärksten journalistischen Fotos des vergangenen Jahres küren sollte, landen auf den ausgezeichneten Plätzen immer häufiger Bilder, deren journalistische Aussage gleich null, deren ästhetisch-dekorative Wirkung dafür aber hoch ist. Labors werden mit bunten Blitzen in Discotheken verwandelt, Nachtaufnahmen von Städten bekommen durch Überlichtung Disneyland-Charakter und negieren etwaige Unterschiede in den Motiven. Auch beim FreeLens Layout Preis muß sich der Betrachter manchmal fragen, was die ausgezeichneten Arbeiten noch mit journalistischer Fotografie zu tun haben. Dabei war der Verband der Fotojournalistinnen und Fotojournalisten mit diesem Preis angetreten, um das gute Layout fotojournalistischer Arbeiten zu küren, um deren angemessene und herausragende Veröffentlichung man sich Sorgen machte.

Qualität und Zeit

Nun ist die Verflachung in der publizistischen Fotografie beileibe keine Entwicklung, die allein den Fotografen oder ihren Organisationen anzulasten ist. Die begrenzte Zeit und die immer angespanntere finanzielle Lage tun ihr übriges. Es liegt auf der Hand, dass ein genaueres Hinsehen des Fotografen in der Regel auch zu genaueren und tiefergehenden Einblicken führt. Dazu aber fehlt zumeist die Zeit, die Zeiträume für Aufträge werden immer knapper bemessen. Und wer aufgrund des wachsenden finanziellen Drucks mehr Aufträge bewältigen muss, hat nun mal nicht soviel Muße zum genauen Hinschauen und zum geistigen Durchdringen eines Themas. Es kommt schließlich nicht von ungefähr, dass auf Festivals und in Ausstellungen zumeist jene Arbeiten am meisten beeindrucken, die als Langzeitprojekte fotografiert wurden oder wo die Auftraggeber den Fotografen komfortabel mit Zeit ausgestattet haben. Der kausale Zusammenhang von Qualität und Zeit wird in diesen Arbeiten mit einem Mal sehr deutlich.

Die Gründe für den wachsenden finanziellen Druck sind zahlreich. Da ist zum einen die Digitalisierung. In immer kürzeren Quantensprüngen verändert und verbessert sich die digitale Technik. Den Fotografen, die dieser Entwicklung auf den Fersen bleiben wollen und müssen, bleibt weniger Zeit, um das eingesetzte Kapital amortisieren zu können. Und dieses Kapital hat längst Höhen erreicht, vor denen wir Fotografen uns vor einigen Jahren nicht einmal in unseren schlimmsten Albträumen gefürchtet haben. Damals hat eine gute Profikamera etwa 1.000 Euro gekostet, heute gibt man für eine gute Digitalkamera locker 4.000 Euro aus, und damit liegt man nicht einmal im obersten Preisbereich. Dazu kommt der obligatorische Laptop-Computer, ohne den es sich kaum lohnt, auf Reportagereisen zu gehen und der mindestens 1.500 Euro kostet. Eine 1 – 2 GB-Flashcard schlägt mit weiteren 400 – 600 Euro zu Buche. Ein naiver x-beliebiger Unternehmer würde nun vermutlich denken: Macht ja nichts, das investierte Kapital rechne ich in meine Betriebsrechnung hinein und lasse es über den Preis meiner Ware wieder zurück in meine Kasse fließen. Nicht so bei den Fotografen: Fast jede Redaktion erwartet, dass die Filmersparnis der digitalen Fotografie an sie durchgereicht wird. Fast nirgendwo im journalistischen Bereich zahlt eine Redaktion für die digitalen Bilder eine Scan-Pauschale. So ist das digitale Fotografieren lediglich bei frei produzierten Fotos ein Vorteil für den Fotografen, der dadurch das Produktionsrisiko etwas verringert.

Agenturverkauf geht zurück

Die lang anhaltende Krise der Printmedien und die Digitalisierung schlägt seit geraumer Zeit auch auf Fotoagenturen durch und damit auch auf jene Fotografen, die einen Teil ihres monatlichen Einkommens aus den Verkäufen ihrer Fotoagentur beziehen.

So haben die zurückgehenden Aufträge aus den Redaktionen, die man am Jahresende an sinkenden Umsatzzahlen auf der Einkommenssteuererklärung nachlesen kann, noch weitergehende Folgen, auch der Agenturverkauf geht zurück. Der aber bringt für viele Kolleginnen und Kollegen ein zusätzliches Stück soziale Sicherheit oder macht gar einen notwendigen Anteil vom Gesamteinkommen aus, ohne den man nicht über die Runden kommt.

Das hat seine Ursachen nicht nur in der zunehmenden Zahl von Fotografen, für die sich der Kuchen nun in eine wachsende Anzahl von demzufolge kleineren Stücken aufteilt. Hinzu kommt, dass über die wie Pilze aus dem Boden schießenden digitalen Plattformen immer mehr Bilder auf den Markt kommen. Kam noch vor einigen Jahren nur ein halbwegs ernsthaft fotografierender Profi überhaupt in eine Fotoagentur und darüber seine Fotos auch in den Umlauf, so können heute selbst ambitionierte Amateure ihre Bilder über digitale Plattformen gegen eine Gebühr auf den Markt bringen. Da aber der Bilderbedarf nicht in dem gleichen Maße steigt, wie die Zahl der angebotenen Fotos, bleibt für den einzelnen Fotografen weniger Honorar.

Kürzere Halbwertzeit

Soll es nach der Veröffentlichung einer Auftragsarbeit und nach Ablauf der Sperrfrist mit dem Material zur Zweitverwertung in die Agentur gehen, dann kommt der nächste Frust: „Früher hast Du von einer solchen Reise aber mehr Fotos mitgebracht“, säuern einen nicht selten die Kollegen in der Agentur an. „Früher habe ich auch dreimal so lange an einem solchen Thema arbeiten können“, grantelt man zurück. Tatsächlich weist die beschriebene Szene auf ein weiteres Problem hin. Eine Agentur bleibt am Markt nur dann für die Kundschaft attraktiv, solange ständig neues Material angeboten wird. Da aber die Zeiten der vielen und ausgedehnten Aufträge vorbei sind, kommt immer weniger Fotomaterial zur Zweitverwertung in die Agentur. Zudem werden die „Halbwertzeiten“ von Fotos immer kürzer. Vorbei sind die Zustände, wo man die Fotos noch ohne Datumsangabe der Aufnahme hat verkaufen können. Heute müssen von Kundenseite alle Bilder mit dem Aufnahmedatum versehen sein und bei zwei, drei Jahre alten Fotos wird nicht selten die Nase gerümpft und eine Verwendung abgelehnt.

Für eine permanente Erneuerung des Materials aber bekommen die Fotografen einer Agentur nicht die notwendigen Aufträge. Für die Agentur und ihre Fotografen führt das zu der Konsequenz, dass sie sich diese Aufträge selbst geben müssen. Fotograf und Agentur werden zu eigenen Auftraggebern und das mit vollem Risiko und eigenem Kapitaleinsatz. Nur wenige Fotografen kommen mit diesem neuen Selbstverständnis klar. Viele können es sich auch einfach nicht leisten.

Um so verwunderlicher und hoffnungsvoller ist es, dass noch immer Kollegen neben den sogenannten „Brotjobs“ an eigenen Projekten arbeiten, unabhängig von Auftraggebern, unabhängig von Zeitgeist und Trends. Die Hochschulen haben in der Bestärkung von Fotografen, die sich als Autoren verstehen, eine wichtige Funktion. Und gerade die Abgänger von Hochschulen sind es häufig, die über ihre ambitionierten Themen die Diskussion um Werte und Qualität anregen. Arbeiten wie Wolfgang Müllers Buch „Karat“ über Straßenkinder in St. Petersburg oder Andreas Reegs Buch „Menschen mit Down-Syndrom“ stehen dafür.

Noch immer tragen Fotografen gewichtig dazu bei, was in Magazinen veröffentlicht wird, nicht nur über die Auftragsarbeiten. Häufig sind es ihre Themenvorschläge, die zu Magazin-Geschichten werden. Oder es ist die herausragende Qualität ihrer Arbeit, die zu einer Veröffentlichung führt. Eine solche Autorenschaft verlangt als Konsequenz auch das Reflektieren von Fragen der Ethik, Berufsmoral und der Rolle der Medien in der Gesellschaft. Stärker als bislang müssen wir uns zu Wort melden und der grassierenden kulturellen Seichtheit entgegentreten, die längst auch die Fotografie erreicht hat. Tun wir das nicht, dann überlassen wir das Feld allein den Bildverwertern, den Fotofunktionären und den Branchenschreibern. Wir aber sind letztlich die Urheber all dessen, wovon diese beruflich leben. Also mischen wir uns ein, ansonsten dürfen wir uns nicht beschweren, wenn sich unsere Arbeit irgendwann gänzlich auf dem Niveau reiner Illustrationen abspielt.

 

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