Buchtipp: Interviews und Gespräche zu Fotografie und Konflikt

Felix Koltermann: Fotografie und Konflikt. Interviews und Gespräche

Schon 2014 hat der Fotograf und Kommunikationswissenschaftler Felix Koltermann ein kleines Bändchen zum Thema „Fotografie und Konflikt“ herausgebracht. In seinen Texten und Essays beschäftigte er sich mit den ethischen Problemen der Kriegs- und Konfliktfotografie. Jetzt lässt er in einem  Folgeband unter dem Titel “Interviews und Gespräche“ Fotografen, aber auch Wissenschaftler direkt zu Wort kommen. Dabei betont er, dass Konfliktfotografie mehr sei als Kriegsfotografie, woran die meisten zuerst denken, da wir mit ihren Ergebnissen täglich konfrontiert werden. Koltermann versteht unter Konfliktfotografie auch die bildnerische Umsetzung sozialer, politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.

„Die Fotografie ist abgesehen von ihren technischen Voraussetzungen vor allem ein sozialer Prozess“, erklärt Koltermann, sowohl auf der Seite des Fotografen wie des Fotografierten – in diesem Bändchen soll es um die Fotografen in diesem Prozess gehen. Die Interviews und Gespräche stammen aus den Jahren 2014 und 2015.

Michael Kamber hat den Irakkrieg zwischen 2003 und 2012 für die New York Times dokumentiert. Der US-Amerikaner hatte den Eindruck, dass viele Bilder in den USA und Großbritannien zensiert oder unterdrückt wurden nach dem Motto: „Dies ist eine Befreiung, wir wollen, dass Du eine Befreiung fotografierst.“ Dagegen hat er seinen Band mit Interviews von Kriegsfotografen und Bilderstrecken gestellt „Photojournalism on War – The Untold Stories from Iraq“, auf Deutsch erschienen als „Bilderkrieger“. Dabei geht es ihm auch darum, den romantischen Mythos vom Helden mit der Kamera zu zerstören, der gerade für junge Fotografen falsche Signale setze.

Diese Absicht teilt er mit dem deutschen Fotografen Christoph Bangert, der seine Erlebnisse im Irak 2014 in dem Buch „War Porn“ zusammenfasste. Er verweist darin auf die hohen moralischen Ansprüche, auf die erforderliche „Ehrlichkeit“: „Es gibt keine Sonderregelung für den Krieg, auch nicht für Fotografen.“ Leider gebe es aber auch keinen Einfluss der Fotografen auf die Bildauswahl und den Autorenvermerk durch die Agentur oder Redaktion. Deshalb sein Plädoyer für selbst verantwortete Fotobücher, die auch den Betrachter besser zur Reflexion anregten als Fotoausstellungen.

Für den Berliner Kunsthistoriker Tom Holert, Mitgründer des „Institute for Studies in Visual Culture“, hat der erste Golfkrieg 1990/91 mit seinen Fadenkreuz-Bildern aus den amerikanischen Marschflugkörpern eine Zäsur bei den Kriegsbildern gesetzt und die Wahrnehmung von Krieg und Gewalt verändert. Je mehr solcher „Top-Down-Bilder“ gezeigt werden, desto wichtiger würden Bilder vom Boden mit den Auswirkungen dieser unpersönlichen, eher Videospielen gleichenden Aufnahmen.

„Bilder sind Waffen“, sagt der amerikanische Kunsthistoriker W. J. T. Mitchell, dessen Buch „Das Klonen und der Terror – Der Krieg der Bilder seit 9/11“ in deutschsprachiger Ausgabe 2011 erschienen ist. Welch unterschiedliche Auswirkungen sie haben können, zeigten die Folterfotos von Abu Ghraib: Während sie in den USA die Anti-Kriegs-Bewegung stützten, wurden sie in der arabischen Welt zu einem Rekrutierungsinstrument des Jihad.

Wie wichtig die persönliche Zusammenarbeit mit einheimischen Stringern zum Aufbau von Vertrauen zu den Fotografierten in Krisenregionen ist, unterstreicht der Schweizer Werbefotograf und Kriegsdokumentarist Meinhard Schade, der ein Fotobuch über die zerfallende Sowjetunion gemacht hat („Krieg ohne Krieg“).

Der Berliner Fotograf Kai Wiedenhöfer hat in seinem jüngsten Projekt „40 Out of One Million“ Porträts von syrischen Flüchtlingen für einen Bildband angefertigt. Auch für ihn ist die ethische Auseinandersetzung, wie man an Informationen kommen darf und was man zeigen kann, ein essentielles Thema.

In „geschlossenen Städten“ von Flüchtlingscamps in Algerien über Rohstoffstädte in Sibirien bis hin zu „Gated Towns“ für Reiche in Lateinamerika arbeitet der österreichische Architekturfotograf Gregor Sailer ­– immer beobachtet von Waffenträgern, sei es von Geheimdienst, Polizei, Armee oder Securityleuten. Eine Arbeit, die er durchaus als politisch und nicht nur als Kunst versteht.

Ein durchgängiger Aspekt der Gespräche mit den fünf Fotografen sind die Grenzen der eigenen psychischen Belastbarkeit und der Selbstüberschätzung, bei den Freiberuflern auch die finanziellen Grenzen ihrer Arbeit. Die Frage, wie viel Grausamkeit man den Betrachtern zumuten darf oder soll, wird durchaus kontrovers diskutiert, aber mit ähnlichen ethischen Argumenten begründet. In den Gesprächen mit den beiden Wissenschaftlern steht die Rezeption der Bilder im Vordergrund, so dass sich ein interessanter zweiter Aspekt ergibt. Ein dünnes Bändchen, aber –­ wie schon das erste von Felix Koltermann – eines, das eine gute Basis für eigene Beobachtungen und Reflexionen bietet.

Felix Koltermann: Fotografie und Konflikt. Interviews und Gespräche. BoD – Books on Demand Norderstedt 2016. 87 Seiten. 6,90, ISBN 978-3-8482-1061-9

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Proteste bei TiKTok in Berlin

Rund 150 Beschäftigten der Trust and Safety-Abteilung (Content-Moderation) von TiKTok und einem Teil der Beschäftigten aus dem Bereich TikTok-Live (rund 15 Beschäftigte) in Berlin droht die Kündigung. Das  chinesische Unternehmen plant die Content-Moderation künftig verstärkt durch Large-Language-Models (Künstliche Intelligenz) ausführen zu lassen und die Arbeit an andere Dienstleister auszulagern. Dagegen protestierten heute vor der TikTok-Zentrale in Berlin Beschäftigte und Unterstützer*innen.
mehr »

Drei Fragen zum Streik der SZ

In den beiden Wochen vor der zehnten Tarifrunde mit dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) am 18. Juli erhöht die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mit den Redakteur*innen in den Zeitungsredaktionen bundesweit den Streikdruck. Besonders im Süden der Republik kommt es zu mehrtägigen, spürbaren Streiks. Auch bei der Süddeutschen Zeitung (SZ) wird seit gestern wieder gestreikt. Wir sprachen mit Ertunç Eren, ver.di-Fachsekretär Medien, Bezirk im München.
mehr »

Der Clickbait mit den miesen Botschaften

„Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“, nach diesem Motto bewertete einst Helmut Thoma, der kürzlich verstorbene ehemalige RTL-Chef, den Erfolg von Programmformaten. Dieses für private Sender typische Prinzip findet inzwischen seine Fortsetzung in immer mehr digitalen Nachrichtenportalen. Das untermauert eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB) in Berlin nach der Auswertung von 40 Millionen Schlagzeilen.
mehr »

Halbzeit bei der UEFA Frauen-EM

UEFA-Women’s Euro 2025 heißt das Turnier nach dem Willen des Europäischen Fußballverbands. Bei den Männern wird auf die geschlechtsspezifische Eingrenzung verzichtet. Möglichweise ein Relikt aus den Zeiten, als das Kicken selbstverständlich eine maskuline Sportart war, vermeintlich ungeeignet für die „zarte Weiblichkeit“. 
mehr »