Damit Journalisten den Kopf frei haben

Auch bei dieser Demonstration der Querdenkerbewegung am 8. Januar 2022 in Frankfurt am Main gab es einzelne Provokationen gegen Pressevertreter. Foto: picture alliance / Daniel Kubirski

Ehrenamtlichen Begleitschutz für freie Journalist*innen, die in Sachsen über Demonstrationen und Versammlungen berichten wollen? Ja, den gibt es. „Between the Lines“ nennt sich das zivilgesellschaftliche Hilfsprojekt. „Ganz normale Menschen“ seien es, die Berichterstatter*innen gegen Bedrohungen und Beleidigungen abschirmen, damit sie ihre Arbeit machen können, sagt Klemens Köhler. Im Gespräch mit M nennt er „Demoerfahrung“ als Voraussetzung, dass solche Hilfe funktionieren kann.

Between the Lines – besonderer Begleitschutz für gefährdete Berichterstatter*innen

M | Was ist Between the Lines?

Klemens Köhler | Wir machen selbstorganisierten ehrenamtlichen Begleitschutz für freie Journalist*innen, die sich in Sachsen Versammlungslagen angucken. Das ist nicht ganz ungefährlich, insbesondere bei rechten Veranstaltungen. Wir begleiten die Journalist*innen, damit sie den Kopf freihaben, um in Ruhe zu berichten.

Welche Erfahrungen waren ausschlaggebend für Ihre Gründung?

Wer sich ein bisschen mit dem Thema befasst, weiß, dass Angriffe auf Journalist*innen nicht ganz neu sind. Dass es insbesondere von gefestigten Rechtsextremisten immer wieder gezielte und auch brutale Angriffe gab, ist ja mehr oder weniger bekannt. Was aber den Ausschlag für unsere Gründung gegeben hat, war die Verstetigung von Angriffen durch „normale“ Versammlungsteilnehmer*innen. Immer wieder wurden die gleichen Journalist*innen insbesondere am Rande von Querdenken-Veranstaltungen angegriffen, hauptsächlich in Dresden. Da haben wir gesagt: Wir müssen was machen.

Sie sind aber kein normaler Sicherheitsdienst. Wer sind die Personen hinter Between the Lines?

Wir sind ausschließlich ehrenamtliche Freiwillige. Ganz normale Menschen, die sich nach der Arbeit mit auf eine Demo stellen und die Journalist*innen gegen Bedrohungen oder Beleidigungen abschirmen. Wir sind Büroarbeiter*innen, Menschen aus der Wissenschaft, wir haben Leute aus der Bundeswehr dabei, das zieht sich durch alle Berufsgruppen.

Was Sie aber in jedem Fall haben, ist Demonstrationserfahrung.

Der beste Indikator, um einschätzen, ob Freiwillige das können, ist Demoerfahrung. Das unterscheidet uns von anderen kommerziellen Sicherheitsdienstleistern, die häufig aus dem Veranstaltungs- oder Wachschutz kommen und eine dynamische Situation auf einer Demonstration nicht so gut einschätzen können. Wenn wir die unterwegs sehen, wirken die immer ein bisschen nervöser als wir uns fühlen.

Können Sie ein aktuelles Beispiel geben für eine Bedrohungssituation auf einer Demonstration, die Between the Lines gut gelöst hat?

Öffentlich bekannt geworden ist inzwischen der Angriff auf Journalist*innen am 24. Januar bei Coswig. Da kam es zu einem Angriff von sechs bis zehn Personen. Die Journalist*innen wurden massiv beleidigt und bedroht, dann kam es zu Tritten gegen den Begleitschutz und wir mussten abbrechen. Durch den Einsatz der Begleitschützer*innen sind alle unverletzt rausgekommen, wir haben es gut zurück zum Auto geschafft. Aber das hätte auch anders ausgehen können. Die Situation vor Ort war von Anfang an gereizt und die Hemmschwelle so niedrig, dass wir sehr schnell nach der Abwehr dieses Angriffs abbrechen mussten.

Ein anderes Beispiel: 13. Februar in Laubegast. Dort wurden insgesamt sechs Journalist*innen angegriffen und über hunderte Meter verfolgt. Wir haben es geschafft, die Leute unverletzt herauszukriegen, was nicht selbstverständlich ist. Wenn da jemand gestürzt und liegengeblieben wäre, der wäre wahrscheinlich auch liegengeblieben. Das war eine harte Situation für alle Beteiligten.

Das heißt, es kommt auch zu direkter körperlicher Gewalt?

Das sind die Extreme. 95 Prozent der Zeit, die wir draußen mit den Journalist*innen sind, laufen wir einfach mit ihnen herum. Wir schrecken durch Präsenz davor ab, dass sich Leute in die Berichterstattung einmischen. Die verbleibenden 5 Prozent der Zeit nehmen wir das Gespräch mit Leuten auf, die Kontakt zu den Journalist*innen suchen, in die Kamera greifen oder ähnliches. Wir versuchen, sie so weit von den Journalist*innen abzulenken, dass die mit ruhigem Kopf ihre Fotos machen können, bevor man aus der Situation heraus muss, weil der Druck zu groß wird.

Wie geht ihr genau mit diesen verbalen Angriffen, den Beschimpfungen und Bedrohungen um? Was sagt ihr den Leuten?

Das meiste muss man über sich ergehen lassen. Man muss aber verschiedene Sachen unterscheiden: Beleidigungen, die einfach mal so im Vorbeigehen kommen – „Guck mal, da sind wieder die Leute, die ihre Antifa-Todeslisten füttern!“ oder „da ist die Stasi wieder!“ – also Gespräche untereinander, die so geführt werden, dass die Journalist*innen sie hören können und natürlich auch eingeschüchtert werden sollen. Und es gibt die direkte Ansprache, wenn die auf uns zukommen, nach dem Presseausweis fragen oder sehen wollen, ob bei den Fotos Portraitaufnahmen dabei sind. Dann machen wir deutlich, dass Journalist*innen nicht ihr Feind sind. Häufig versuchen die ja direkt ein Feindbild aufzubauen, welches Gewalt rechtfertigt. Das steigert sich manchmal bis hin zu grenzüberschreitendem Verhalten – dass versucht wird, in die Kamera zu greifen, oder körperlich einzuschüchtern, indem man dicht rangeht oder anrempelt. Also nichts, was körperlich gefährlich wird für irgendjemanden, aber was deutlich eine zivilisatorische Grenze überschreitet. Das ist eine Sache, wo wir körperlich dazwischengehen und durch das Ausstrecken von Armen einen gewissen Sicherheitsabstand herstellen. Wenn die jedoch psychologisch schon auf Angriff sind, ist das für uns häufig das Signal, dass wir nicht länger bleiben können. In unseren Teams können wir nicht drei oder mehr Leute von Angriffen abhalten, da muss man erstmal unterbrechen, aus der Situation raus und gucken, wie und ob man weitermachen kann. Dafür sind wir da: Dass die Journalist*innen entspannter rausgehen können und nicht Hals über Kopf.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Polizei? Wie lief da bisher die Zusammenarbeit?

Das ist zweischneidig. Üblicherweise funktioniert das sehr gut, wir können uns nicht wirklich beschweren, was das allgemeine Verhältnis angeht. In Sachsen ist die Polizei vorn mit dabei, Konzepte umzusetzen. Sie haben auf dem Schirm, dass Journalist*innen gezielt angegriffen werden und versuchen durch Ausbildung strukturell daran zu arbeiten. Im Vergleich mit anderen Bundesländern haben wir den Eindruck, die Polizei in Sachsen versteht die Bedürfnisse der Journalist*innen. Im Gegensatz zu Medienschutzzonen, wie sie in Berlin eingesetzt werden, sind die Konzepte in Sachsen deutlich besser und wir würden uns wünschen, dass andere Polizeien sich das abgucken. Diese gezielten Angriffe treffen nicht wie früher nur bestimme Journalist*innen, die von extremen Rechten als Feinde auserkoren sind. Journalist*innen aus der Lokalredaktion nebenan werden genauso angegangen, egal wie sie sich selbst verhalten. Da muss die Polizei mit umgehen können und das geht nicht mit den alten Konzepten.
Was unser eigenes Verhältnis zur Polizei angeht, haben wir zum Teil auch schlechte Erfahrungen gemacht. Wir haben aber den Eindruck, das ist häufig individuelles Versagen hier in Sachsen. Am 13. Februar in Laubegast haben die Journalist*innen versucht, sich bei der Kontaktnummer der Polizei anzumelden. Dort wurde ihnen aber gesagt, die Polizei werde nicht vor Ort sein. Das war unserer Meinung nach eine Fehleinschätzung und Fehlentscheidung, die Beamten in der Einsatzleitung hätten hier reagieren und Kräfte schicken müssen. Im Nachgang aber wurden die sechs Inhaber*innen von bundeseinheitlichen Presseausweisen selbst der Körperverletzung beschuldigt – durch Polizeikräfte, die eingetroffen sind, nachdem der Angriff vorbei war.

Die waren also erst gar nicht vor Ort?

Richtig, die Bereitschaftspolizei blieb im Stadtzentrum, wo sie zu dem Zeitpunkt kaum gebraucht wurde. Den Protest am Stadtrand von Laubegast, den die Journalist*innen begleiten wollten, haben sie ignoriert, obwohl sie wussten, dass es da in der Vergangenheit immer wieder zu Angriffen kam. Kräfte des örtlichen Reviers – Verkehrspolizisten – sollten das dann absichern, waren aber am Anfang der Versammlung gar nicht da. Nach mehreren Notrufen haben die örtlichen Kräfte zuerst die verletzten Angreifer gefunden, die die Story erzählten, die Journalist*innen hätten sie angegriffen. Aus dieser Grundannahme ließ sich Polizei nicht wieder rausbringen, selbst als wir ihnen die Videos davon zeigten. Das war einfach Polizeiversagen – vom Versuch, sich bei der Veranstaltung anzumelden, bis zum Ende, dass man den eigenen Anwalt verständigen muss. Ich glaube aber, das ist denen selber sehr peinlich. Ich will der Polizei keine Absicht unterstellen, aber an dem Tag haben sie Mist gebaut. So etwas hat ja auch Konsequenzen für die Beteiligten. Wenn wir Journalist*innen begleiten, die nach solchen Erfahrungen sagen, dass sie den Notruf nie wieder wählen, kann das für niemanden wünschenswert sein, außer für die Angreifer.

Danke für diese Einblicke. Wie kann man Euch erreichen?

Wenn man in Sachsen Berichterstattung machen möchte und dazu glaubt, uns zu brauchen, sich gefährdet fühlt, kann man sich entweder über unseren Twitteraccount @BTL_DE melden oder über unsere E-Mail-Adresse betweenthelines@posteo.de. Wir freuen uns über jeden Anfrage, aktuell schaffen wir es aber nur in Sachsen, diese Struktur aufrechtzuerhalten. Das liegt vor allem am Organisationsaufwand. Man kann sich natürlich auch selbst engagieren bei uns. Alle, die uns unterstützen möchten, können sich gern melden und wir gucken, ob wir das hinkriegen, zusammen zu wachsen und überall, wo es möglich ist, so einen Begleitschutz hinzustellen.

 

Kooperativ

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di setzt sich für Pressefreiheit und den Schutz von Medienschaffenden auf Demonstrationen ein. Die dju unterstützt das Engagement der ehrenamtlichen Begleitschützer*innen von „Between the Lines“ und bittet die jeweils zuständigen Einsatzkräfte der Polizei in einem Schreiben, auch den Begleitschützer*innen Zugang zu den Bereichen der Berichterstattenden zu ermöglichen.

 

 

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