In einer Spiralbewegung wird gute von schlechter Publizistik verdrängt
Das Verhältnis von Medien und Publikum sowie Formen der Publikumsbeteiligung standen im Zentrum des vierten Herbstforums der „Initiative Qualität im Journalismus“ am 8. Oktober in Berlin.
Gibt es eine „Qualitätspartnerschaft“ zwischen Medien und Publikum? Stephan Ruß-Mohl, Kommunikationswissenschaftler am European Journalism Observatory in Lugano, sieht das Verhältnis eher skeptisch. „Das Publikum traue den Medienschaffenden immer weniger über den Weg“, so Ruß-Mohl. Die Zahlungsbereitschaft für bestimmte Produkte des Qualitätsjournalismus schwinde. Für diese Misere seien die Journalisten teilweise selbst schuld: Sie grenzten sich zu wenig ab von mangelnder Qualität in der Branche, hätten der „Gratismentalität“ wenig entgegen zu setzen. Geiz sei aber alles andere als „geil“. Ergebnis: Der Qualitätswettbewerb funktioniere nur schlecht, in einer Spiralbewegung werde gute von schlechter Publizistik verdrängt. Schlussfolgerung des Wissenschaftlers: Journalisten sollten ihr Verhältnis zu den Adressaten ihrer Arbeit überdenken, das Publikum ernster nehmen.
Ansätze dazu sind neuerdings reichlich vorhanden, speziell in den verschiedenen Modellen des „Bürgerjournalismus“. Die Möglichkeiten und Grenzen einer gezielter Einbindung von Leserinnen und Lesern in die Medienproduktion werden freilich durchaus kontrovers beurteilt. Für Nicolaus Fest, stellvertretender Bild-Chefredakteur, werden „Leserreporter“ den Journalismus „dramatisch verändern“. Egal, wer ein Foto für Bild schieße, entscheidend sei die Qualität. Leserreporter könnten künftig gerade in Krisengebieten eine wichtige Quelle sein, weil die Profis vor Ort „embedded“ auftreten oder anderen Restriktionen unterliegen würden. Medienanwalt Christian Schertz widersprach. Bild fordere seine fotohandybewaffneten Leser ja nicht auf, Missstände etwa in Tschetschenien zu dokumentieren. Tatsächlich gehe es wie eh und je darum, durch Abschießen von Promis die „Schadenfreude und Sensationsgier des Publikums zu befriedigen, jetzt auch unter Einbeziehung des Publikums“. Dies erzeugte eine Art von massenhafter „Blockwart-Mentalität“. Dpa-Chefredakteur Wilm Herlyn forderte die Einhaltung berufsethischer Standards auch von Laienfotografen. So untersage dpa etwa Frontalfotos von Trauernden bei Begräbnissen.
Mehr Mut zum Experiment
Barbara Thomaß, Kommunikationswissenschaftlerin an der Ruhr-Uni Bochum, sah Chancen für eine Bereicherung von Lokalmedien durch engagierte Laienpublizisten. Es müssten jedoch adäquate Verarbeitungsformen gefunden werden, damit solche Beiträge professionellen Standards genügten. Heiterkeit erntet Bild-Mann Fest, als er die branchenweit kritisierten gefakten Presseausweise für Leserreporter mit dem Hinweise auf ähnliche Aktivitäten „einiger Schülerzeitungen“ verteidigte. Michael Maier vom Berliner Online-Vorzeigeprojekt „Readers Edition“ erwartet von Bürgerjournalisten vor allem Nachrichten und Geschichten jenseits des publizistischen Mainstreams, etwa zu ökologischen Themen. Zugleich diagnostizierte er einen wachsenden Vertrauensverlust in die etablierten Medien. „Die junge Generation vertraut mehr ihrer eigenen peer group“. Medien-Online-Journalist Matthias Spielkamp verortet den spannendsten Bürgerjournalismus in Weblogs. Wie in den etablierten Medien gebe es auch hier Licht und Schatten, gelegentlich aber höchste Qualität.
Wie erwirbt man Medienkompetenz? Was sind kompetente Medien? Angesichts einer im digitalen Zeitalter schier unüberschaubaren Informationsflut, so konstatierte der Münsteraner Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger, könne es keine flächendeckende Medien- und Informationskompetenz mehr geben. Umso wichtiger sei dafür eine hohe „Selektionskompetenz“. Im Internet könne zwar jeder zum Kommunikator werden. „Aber nicht jeder wird dadurch gleich zum Journalist. Jochen Wegner, Chefredakteur „Focus Online“ berichtete, die in seinem Blatt eingerichtete Kommentarfunktion werden monatlich von bis zu 60.000 Lesern genutzt. Die gleichfalls eingerichtete Video-Foto-Plattform habe dagegen nur „mittelmäßigen Erfolg“ erzielt: Es kamen keine Scoops, aber immerhin „die großartigste Urlaubs-Fotografie, auf Top-Niveau“. Das User-Netz funktioniere als nützliche „Feedback-Plattform“. Für Julius Endert, Chefredakteur von „handelsblatt.com“, ist der Erwerb und die Vermittlung von Medienkompetenz ein Prozess auf Gegenseitigkeit zwischen Blatt und Lesern. Er plädierte für „mehr Mut zum Experiment“ bei der Einbindung des Publikums, per Video, Audio und Spiele. Lokal-TV-Veranstalter Andre Zalbertus vom Kölner center.tv vermeldete nicht ohne Selbstironie die Abbildung von „102 der insgesamt 105 Kölner Karnevalsvereine“ im Programm. Für Julitta Münch, WDR-Moderatorin von „Hallo, Ü-Wagen“ offenbart das aus Normalbürgern zusammengesetzte Live-Publikum ihrer Sendung eine „erstaunlich hohe Kompetenz“, wenn man es denn ernst nimmt. Eine Potenz, die es zu nutzen gelte.
Ein weiteres Panel drehte sich um die unterschiedlichen Spielarten des „Beschwerdemanagement“, also die Verarbeitung von Publikumskritik durch Presseräte, Ombudsmänner und Rundfunkräte. Gemeinsamer Nenner der Diskutanten: wünschenswert wäre ein „prophylaktischer“ Umgang mit Kritik, eine Art vorbeugende Qualitätssicherung. Wie jeder Markenartikelhersteller müssten auch die Medienproduzenten Kritik an ihrem Produkt sehr ernst nehmen, forderte Ernst Elitz, Intendant des „Deutschlandradio“. Wo dies versäumt werde, „verliert die Marke ihren Charakter“.