Debatte: Journalisten als Zielscheibe

Der Teilnehmer einer Pegida-Kundgebung schlägt am 12. Januar 2015 während eines Marsches in Dresden (Sachsen) ein Plakat auf eine Kamera. Foto: Arno Burgi/dpa

Was tun, wenn Berichterstattung nicht mehr möglich ist, da Journalist*innen in ihrer Arbeit behindert oder gar angegriffen werden? Einzelfälle? Analysen lassen inzwischen systematische Übergriffe erkennen, die Medienschaffende in ihrer Arbeit einschüchtern sollen. Die Sächsische Landesmedienanstalt (SLM) lud im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe „SLM im Gespräch“ zum Themenabend „Beleidigt, angegriffen, eingeschüchtert – Journalist*innen als Zielscheibe“. Medienschaffende aus dem „Hotspot Sachsen“ berichten, dass die Lage inzwischen weit ernster ist, als weitläufig angenommen.

Seit 2015 werden beim Leipziger European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) die Gewalttaten gegen Journalist*innen in Deutschland erfasst. Bittere Bilanz: mit 69 registrierten Übergriffen gab es noch nie so hohe Fallzahlen, bilanziert Martin Hoffmann vom ECPMF in einer Keynote am 15. Juli in Leipzig.

Zwar hätten sich die Zahlen damit seit Erhebungsbeginn 2015 geradezu verfünffacht, von einer neuen Qualität der Gewalt wolle er aber nicht sprechen, denn die heutige Pressefeindlichkeit habe es schon vor den „Querdenkern“ gegeben. Die Zäsur beginne 2014 mit der Flüchtlingskrise. In Dresden entsteht Pegida, Lügenpresse-Rufe werden laut. Kurz darauf gibt es in Hannover, Saarbrücken und Leipzig die ersten 15 Angriffe auf Journalist*innen. Das „Argument“ der Angreifer und Pöbler: Journalist*innen seien Teil einer gegen das Volk gerichteten Verschwörung und Teil einer Lügenpresse.

Neu, so Hoffmann, ist allerdings die Tatsache, dass die bis dato klar rechtsextremistischen Angriffe nun immer stärker aus jenen Teilen der Bevölkerung kommen, die in der allgemeinen Wahrnehmung bisher als gemäßigt galten. Laut Hoffmann gibt es eine regelrechte „Kultivierung“ der Übergriffe. Was einst dem Hooliganmobb überlassen blieb, werde inzwischen auch von „besorgen Bürger“ übernommen; Menschen, die bürgerlich auftreten und dann zuschlagen. Gerade bei den pandemiebezogenen Protesten sei das der Fall. Das mache eine Risikoeinschätzung für die vor Ort tätigen Journalist*innen immer schwieriger. Wurden vor 2015 vor allem Journalist*innen angegriffen, die in rechten Kreisen und im rechtsextremistischen Untergrund recherchierten, müsse inzwischen jeder, der sich öffentlich auf einer Veranstaltung als Journalist ausweise, mit Bedrohungen rechnen.

Sachsen nehme dabei eine traurige Spitzenposition ein, fast 40 Prozent der Übergriffe fänden inzwischen auf Querdenker-Kundgebungen statt. Aber nicht nur die:

Pegida, Pro Chemnitz, Bewegung Leipzig, Freies Sachsen und andere Initiativen des rechten Lagers seien für die meisten Angriffe verantwortlich. Demonstrationen dieser Art sind inzwischen die gefährlichsten Arbeitsplätze für Journalist*innen, 84 Prozent der Übergriffe geschehen laut ECPMF dort.

Gerade die „Querdenker“ untermauerten die Anschlussfähigkeit des Hasses auf die Medien. „Menschen, die ursprünglich im linken Lager verortet waren, bleidigen zusammen mit rechten Kräften die anwesende Presse“, so Hoffmann.  Auch linke Gruppierungen würden so immer auffälliger, allerdings mache der Anteil linker Übergriffe weniger als ein Zehntel aus.

Auch Ulrich Wolf von der „Sächsische Zeitung“ (SZ), der in Leipzig über seine konkreten Erfahrungen spricht, sieht im Jahr 2015 eine klare Zäsur. „Nach 30 Jahren Arbeit als Journalist kann ich sagen, es gibt eine Zeit vor Pegida und nach Pegida“, so Wolf. Von Pegida und deren Köpfen wie Lutz Bachmann wurden Medien und Journalist*innen zu klaren Feindbildern aufgebaut. Die Presseinschüchterung sei immens gestiegen. Kollege Matthias Puppe von der „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ) machte 2015 erste Erfahrungen auch mit körperlichen Übergriffen, wie Schlägen in den Bauch während einer Legida-Versammlung in Leipzig.

Entsetzt über die Entwicklung zeigt sich Uwe Tschirner, Chef des Lokalfernsehsenders „Punkteins Oberlausitz TV“, der die Veränderungen auch bei seinen Zuschauer*innen bemerkt. „Ich erkenne unsere Zuschauer zum Teil nicht mehr wieder“, so der Lausitzer. Das betreffe zwar den Großteil seiner Mediennutzer ausdrücklich nicht. Aber es sei doch „eine sehr laute Minderheit, die das Treiben verrückt macht“. Zudem beobachte er in seiner Region eine entfesselte Medienlandschaft, selten mit der Absicht neutraler Berichterstattung. Viele Anbieter im Internet, die sich oft nur als Medien tarnen, seien in der Oberlausitz hinzugekommen. Und mit jeder Empörungswelle seien es mehr geworden.

„Punkteins Oberlausitz TV“ nehme inzwischen nicht mehr als Berichterstatter an den Demos teil. „Wir haben uns in der Pandemie frühzeitig an der Wissenschaft orientiert und mit Fakten argumentiert“, so Tschirner. Auch werde tagesaktuell über die Covid-Zahlen seines regionalen Sendegebietes berichtet, offizielle Pressekonferenzen würden auf Facebook gepostet. Die Folge seien permanente Angriffe, auch persönliche, auch über private Kanäle. Auf regionaler und lokaler Ebene sei man eben bekannt.

Körperliche Angriffe und Todesdrohungen

Franziska Jacob vom „Sachsen Fernsehen“ (SF) berichtet von körperlichen Angriffen und Todesdrohungen. Die Redakteurin beim Leipziger Lokalsender habe 2018 ersten Erfahrungen mit Beschimpfungen als „Lügenpresse“ gemacht, doch bald schon wurde es ernster. 2020 wurde sie auf einer Covid-Demo zunächst geschuppst, dann wurde ihr mit dem Tode gedroht von „Menschen voller Hass auf die Medien.“ Schließlich wurde sie mit Lebensmitteln beworfen, am Ende mit Pflastersteinen. Sie musste mit ihrem Kameramann weglaufen. Inzwischen habe sie aus den Vorfällen gelernt und sich angepasst. Sie berichte weiter, aber unauffälliger gekleidet, mit kleineren Kameras und besserem Schuhwerk, um im Notfall schnell rennen zu können.

Fast alle Medienvertreter*innen sprechen von teils schwierigen Erfahrungen mit der Polizei.  Obwohl die Pflastersteinewerfer der Leipziger Demo auf den Bildern von „Sachsen Fernsehen“ und auf YouTube klar und deutlich erkennbar seien, konnten die Täter nach Anzeige von Jacob nicht identifiziert werden, das Verfahren wurde eingestellt. „Täter nicht auffindbar“.

Matthias Puppe (LVZ) berichtet, dass Polizisten Zeugen waren, als er von Demonstranten tätlich angegriffen wurde. Doch als es zu Ermittlungen kommen sollte, standen jene zwei Polizisten plötzlich nicht mehr zur Verfügung. Die Anzeige verlief im Sande.

Noch beängstigender die Schilderungen von Ulrich Wolf. Teile von Pegida & Co. hätten offensichtlich gute Drähte in die Dresdner Polizei. So seien offenbar private Daten des Journalisten an Köpfe der Gruppierungen weitergleitet und öffentlich auf Pegida-Kundgebungen verlesen worden.

Mit Renè Schütze (Bereitschaftspolizei Sachsen) war auch ein Polizist auf dem Panel. Er machte deutlich, dass die Polizei häufig selbst von Demonstranten als „Beschützer der Diktatur“ angegriffen werde.

An Strategien und Schutzkonzepten werde zwar gearbeitet, doch fehle es insgesamt an politischem Willen, meint Michael Kraske (u.a. Spiegel, Zeit). „Null Toleranz gegenüber pressefeindlichen Drohungen“, darum müsse es jetzt in der Arbeit der Polizei auf Demos gehen, so der freie Journalist. Der Presserat habe entsprechende Forderungen zur Modifizierung der gegenseitigen Verhaltensgrundsätze an die Innenministerkonferenz zum Schutz der freien Berichterstattung gestellt. Und die Innenministerkonferenz müsse nun liefern – tue sie aber seit zwei Jahren nicht. Und vor und direkt nach der Wahl werde auch nichts geschehen, so Kraske.

Praktische Konzepte kommen dagegen inzwischen von der Polizei Sachsen. Den Worten von Olaf Hoppe (Polizeidirektion Leipzig) zufolge habe man aus den Fehlern der letzten Jahre gelernt. So würde die Polizei nach mutmaßlichen Straftaten gegenüber Medien die Journalist*innen nun nicht mehr mit langdauernden Befragungen und Papierkram von der weiteren Arbeit abhalten, sondern das Prozedere stark verkürzen. Und noch viel wichtiger: Einige Polizeikräfte würden vor Ort ausschließlich zum Schutz der Journalisten zuständig sein.

 

 

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