Das ver.di-Positionspapier „Internet und Digitalisierung – Herausforderungen für die Zukunft des Urheberrechts“ hat in der Öffentlichkeit und auch im ver.di-Mitglieder-Netz zu einer regen, kritischen Debatte geführt. Mitunter wurden Vorwürfe laut, die Widerspruch herausfordern. ver.di-Vize Frank Werneke setzt sich damit auseinander. M veröffentlicht seinen Offenen Brief, der auch ins Netz gestellt wurde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der ver.di-Bundesvorstand hat am 25.Oktober 2010 ein Positionspapier zum Urheberrecht beschlossen. Die Reaktionen sind in Teilen heftig. Im Raum stehen Vorwürfe, ver.di wolle – ähnlich wie noch vor kurzem Ministerin von der Leyen in ihrem Kampf gegen Kinderpornografie – „Stoppschilder“ im Internet errichten und eine Überwachungsinfrastruktur gegenüber „Urheberrechtssündern“ aufbauen.
Die teilweise – bewusst oder unbewusst – falsche Berichterstattung in einigen Blogs verfälscht und verzerrt die Aussagen des Beschlusses. Dabei wird z.T. ver.di in Nähe von Zensurbefürwortern gerückt. Dem möchte ich ausdrücklich widersprechen.
Wer den Beschluss gelesen hat, wird feststellen, wie differenziert dort argumentiert und insbesondere auf die Sorgen der „Netzgemeinde“ eingegangen wird. Die Wahrung und Sicherung einer freien Kommunikation und Information ist für ver.di essentiell wichtig und liegt im unmittelbaren Interesse verschiedenster Mitgliedergruppen der ver.di. Das Positionspapier stellt einen Blick von mehreren Seiten, nämlich von Usern und von Urhebern auf die gemeinsame Herausforderung aus den vielfältigen Möglichkeiten des Internets her.
Bei diesem Positionspapier handelt es sich auch nicht um einen Schnellschuss, sondern um das Ergebnis intensiver Arbeit und Diskussion – zwischen den betroffenen Fachbereichen in der ver.di und in den betroffenen Gremien. Auch in das Mitgliedernetz von ver.di wurde das Papier zur Diskussion eingestellt. Jede und jeder, der sich zu dem Beschluss äußern wollte, konnte dies also tun. Viele haben davon Gebrauch gemacht. Viele Inhalte dieser Stellungnahmen sind auch in die Überarbeitungen eingeflossen. Am Ende dieses Prozesses hat der ver.di-Bundesvorstand das jetzt vorliegende Papier beschlossen.
Die vorangegangenen Diskussionen haben uns noch einmal bewiesen, wie vielfältig die Interessen beim Urheberrecht sind. Aber auch wie emotional die Debatte schnell werden kann. Der Beschluss des ver.di-Bundesvorstandes ist deshalb bewusst zurückhaltend und abwägend formuliert. Wir machen darin deutlich, dass wir im Umgang mit Urheberrechten im Internet gerade nicht auf Zensur und Sanktionen, sondern auf Transparenz und Information setzen. Eben weil wir gegen Sperren im Netz sind und das Abmahnwesen begrenzen wollen, sollen auf Internetseiten, die urheberrechtlich geschützte Inhalte illegal zum Download anbieten, Hinweise gesetzt werden zur Aufklärung der Nutzerinnen und Nutzer – und zwar nach Anhörung und Widerspruchsmöglichkeit der betroffenen Seitenanbieter und von einer dazu legitimierten Institution. Eine Speicherung der IP-Adressen von Nutzerinnen und Nutzern wollen wir nicht. So und nicht anders steht es in dem Beschluss. ver.di verlangt nicht, den Zugriff von IP-Adressen auf bestimmte Internetseiten zu dokumentieren, Inhalte zu zensieren oder Nutzerinnen und Nutzer vom Internetzugang auszuschließen.
Unser Anliegen ist es, gerade angesichts der Bedeutung des Internets bei der Verbreitung kreativer Inhalte wieder auf den Wert des Urheberrechts aufmerksam zu machen. Maßnahmen wie eine anlasslose Kontrolle des Surfverhaltens, die Vorratsdatenspeicherung oder das Kappen von Internetzugängen nach französischem Vorbild („Three strikes out“-Modell) lehnt ver.di ab. Auch dies ist im Beschluss nachzulesen.
Gleichwohl sind wir als Interessenvertretung all jener, die mit ihrer kreativen Arbeit Geld verdienen müssen, in der Verantwortung, uns für ihre Urheberrechte einzusetzen. Uns kann es nicht egal sein, wenn im Internet massenhaft geschützte Inhalte unter Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des/der Urheber/in bzw. und ohne das ihnen zustehende Entgelt verbreitet werden. Wir sind nicht der Meinung, dass der Vertrieb urheberrechtlich geschützten Materials, z.B. in Tauschbörsen, noch vom Recht auf Privatkopie gedeckt ist.
Deshalb ist es unerlässlich, wieder verstärkt den Wert von Urheberrechten bewusst zu machen. So ist etwa für die vielfältig und auch im Positionspapier dargestellten kreativen Gemeinschaftsleistungen aus Open Source und Creative Common ein funktionierender Schutz des Urheberrechts der an dem Gesamtwerk Beteiligten ein unverzichtbares Mittel, um einen Missbrauch und wirtschaftliche Auswertung durch Unberechtigte zu vermeiden. Außerdem gilt es, effektive Erlösmodelle für das Internet zu entwickeln und zu etablieren. Die immer wieder als Allroundlösung beschworene „Kulturflatrate“ zur pauschalen Vergütung von Urheberrechten im Internet erachten wir als nicht tauglich. Denn: Urheberrechte sind Persönlichkeitsrechte. ver.di ist die größte Organisation von Urheberinnen und Urhebern in Deutschland. Deshalb haben wir vor dem Hintergrund der laufenden politischen Diskussion, der Arbeit der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages und der laufenden Novellung des Urhebergesetzes Position bezogen. Übrigens auf der Linie, die wir seit geraumer Zeit in Fragen der Urheberpolitik formuliert haben. Es war uns klar, dass es kritische Bewertungen zu dem vom ver.di-Bundesvorstand beschlossenen Papier geben wird. Bei der Frage, wie ein geeigneter Rechtsrahmen aussehen kann, um den Schutz geistigen Eigentums zu ermöglichen, treffen unterschiedliche Vorstellungen und natürlich auch Interessen aufeinander. Übrigens nicht erst seit dem das Internet die Bedeutung erlangt hat, die es heute ohne Zweifel hat.
Alle auch kritischen Bewertungen des Positionspapiers des ver.di-Bundesvorstandes sind daher wichtige Diskussionsanstöße. Ich möchte gleichzeitig die Kolleginnen und Kollegen, die unsere Vorschläge sehr grundsätzlich ablehnen dazu ermuntern, Alternativen zu formulieren, aus denen deutlicher wird, wie über andere Wege den Persönlichkeitsrechten von Urheberinnen und Urhebern und ihren Verwertungs- (und damit) Einkommensinteressen nachgekommen werden kann.
In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Diskussion.
Frank Werneke,
stellvertretender ver.di-Vorsitzender