Dem Tempo nicht mehr gewachsen

Das Burn-out-Syndrom und die Chancen der Prävention

Die Beschleunigung der Arbeitswelt auf der einen Seite und die Fähigkeit zur Verarbeitung all dessen auf der anderen prägen unsere Zeit. Zwischen beidem besteht oft eine Diskrepanz. Zu Bernd Sprenger, niedergelassener Psychotherapeut in Berlin, kommen Menschen, die dem Tempo nicht mehr gewachsen sind, zu hohe Ansprüche an sich stellen und es nicht schaffen, kürzer zu treten. Sie haben verlernt, sich zu erholen und zu entspannen. Ein langer Weg ist zu Ende, ein hoher Berg muss erklommen werden.


M | Herr Sprenger, kommen zu Ihnen auch Menschen, die in Medienberufen arbeiten?

BERND SPRENGER | Ja, inzwischen habe ich auch ausgebrannte Medienschaffende behandelt. Das hätte ich vor ein paar Jahren noch nicht gedacht. Der Beruf des Journalisten ist positiv besetzt – eine interessante, erfüllende, schöne Arbeit. Aber wenn man weiß, wie hoch der Einfluss struktureller Bedingungen auf das Entstehen des Burn-out-Syndroms ist, dann wundert es einen natürlich nicht, dass nun auch zunehmend Medienschaffende betroffen sind. In dieser Branche findet ja ein gewaltiger Strukturwandel statt, Arbeitswelten verändern sich. Der Teil der Arbeitsbedingungen, die man persönlich nicht mehr beeinflussen kann, wird größer.

M | Die äußeren Bedingungen werden verändert und die Menschen, die unter diesen neuen Bedingungen arbeiten müssen, verändern sich nicht schnell genug mit?

SPRENGER | Wir leben in einer Kultur, die chronisch die äußeren Bedingungen überschätzt und die inneren unterschätzt. Das liegt daran, dass wir eine technische Gesellschaft sind. Natürlich sind die Menschen zu umfangreichen kognitiven Anpassungsprozessen in der Lage. Aber der Innovationszyklus wird immer schneller, er hat inzwischen ein atemberaubendes Tempo. Und die Frage ist, mit welchem Tempo kommen die Menschen noch zurecht? Genügt die große Plastizität des Hirns, die notwendigen Anpassungsleistungen zu vollbringen?

M | Menschen, die unter Burn-out leiden sind sehr leistungs- und erfolgsorientiert. Denen müsste es demzufolge leichter fallen, diesen hohen Druck auszuhalten?

SPRENGER | Wenn ehrgeizige Ziele vorgegeben werden und auf ehrgeizige Mitarbeiter treffen ist das erst einmal gut. Schlecht ist es, wenn die Gratifikation für die erbrachten Leistungen nicht mehr ausreichend ist. Und damit meine ich nicht das Geld. Es geht um Anerkennung. Der erbrachte Einsatz und die dafür entgegengebrachte Anerkennung müssen in einem guten Verhältnis stehen.

M | Ist das Burn-out-Syndrom eigentlich nur ein Übermaß an Stress?

SPRENGER | Nein, es kommt sicher darauf an, wie man persönlich mit Stress umgeht und was man als Stress empfindet. Es gibt guten und schlechten Stress, auch wenn der Körper physiologisch immer gleich reagiert – der Blutdruck steigt, Stresshormone werden ausgeschüttet. In der sogenannten präklinischen Phase des Burn-out-Syndroms empfinden die Menschen Stress als völlig normal, geben jeden Tag 120 Prozent. Solange sie in der Lage sind, sich zu erholen, ist es gut. Die emotionale Erschöpfung ist entscheidend. Wenn Erholung nicht mehr möglich ist, wenn, was man früher gern gemacht hat, als Belastung empfunden wird, dann wird es zum Problem.

M | Erstaunlicherweise sind aber auch viele freie Medienschaffende betroffen, die nicht eingebunden sind in steile Hierarchien und stressige, fremdbestimmte Redaktionswelten!

SPRENGER | Was der Angestellte als Druck externalisiert hat – also von außen bekommt – muss der Freiberufler selbst aufbauen. Ich erlebe zum Beispiel, dass sehr viele niedergelassene Ärzte – vergleichbar vielleicht mit freien Journalisten – am Burn-out-Syndrom leiden. Sie verspüren einen großen Druck, stellen riesige Erwartungen an sich und ihre Arbeit, bekommen vielleicht nicht ausreichend Anerkennung für das, was sie leisten. Sie schaffen es nicht, den Wechsel zwischen Arbeit und Freizeit hinzukriegen.

M | Sie meinen, die Work-Life-Balance stimmt nicht?

SPRENGER | Ich halte von dem Begriff nichts. Er suggeriert, dass Arbeit nicht zum Leben gehört. Natürlich lebe ich, wenn ich arbeite. Also lassen wir mal nur das Wort Balance stehen.

M | Kann man eigentlich bei der Anamnese bei Burn-out-Patienten Ursachen erkennen, die schon vor dem Eintritt ins Berufsleben da waren?

SPRENGER | Oft gab es in der Familie einen hohen Leistungsdruck. Die Bereitschaft, sich nur an erbrachten Leistungen messen zu lassen und selbst zu messen sowie das hohe Kontrollbedürfnis sind dann häufig schon angelegt. Tatsache ist, dass Menschen, die über ein gesundes Selbstwertgefühl verfügen, weniger anfällig für das Burn-out-Syndrom sind. Es sind eben nicht nur die äußeren Belastungen, die dazu führen, dass jemand ausgebrannt ist, es kommt sehr stark auf die innerseelische Verfasstheit an. Engagement ist gut. Überengagement kann schädlich sein. Ehrgeiz ist gut. Blinder Ehrgeiz hat negative Folgen. Leistungswille ist gut. Die Unfähigkeit, auch mal mit sich selbst Nachsicht zu haben, ist schlecht.

M | Hochmotivierte, leistungsorientierte, kluge Menschen – die müssten doch relativ schnell merken, wenn etwas nicht stimmt. Zumal Ärzte und Journalisten, deren Beruf es ist, Diagnosen zu stellen und Schlussfolgerungen zu ziehen?

SPRENGER | Es ist erstaunlich, wie sehr die Menschen in der Lage sind, die eigenen Bedürfnisse zu verleugnen und sich etwas vorzumachen. Davor ist auch der Kluge nicht gefeit. Oft merkt zuerst das Umfeld, dass etwas nicht stimmt: Früher hat sich die Freundin noch über Opernkarten gefreut, früher hat der Mann nicht jeden Abend Alkohol getrunken. Oft treten ja zuerst körperliche Symptome auf, die durch keinen organischen Befund gestützt werden. Dafür werden alle möglichen Erklärungen gefunden, nur nicht die, dass man übermäßig erschöpft ist. Man nimmt Beruhigungsmittel, Schlaftabletten, trinkt mehr Alkohol, man versucht, sich zusammenzureißen, zieht sich zurück, wird unleidlich, zynischer. Das Wochenende dient nur noch der Frustkompensation, nicht der Erholung.

M | Klingt, als könnte man es kaum schaffen, rechtzeitig das Ruder rumzureißen?

SPRENGER | Doch, man kann es schaffen. Es ist ein langer Prozess von der präklinischen über die somatische, die psychosomatische Phase bis zum Vollbild des Burn-out-Syndroms. Ich beschäftige mich mehr und mehr mit der Prophylaxe und stelle fest, dass es durchaus Menschen gibt, die rechtzeitig umkehren. Das verlangt sehr viel Disziplin. Die ist zum Beispiel erforderlich, wenn ich mir ausreichend Schlaf ermöglichen will. Die brauche ich auch, wenn ich mir die Zeit nehmen will, meine Grundbedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen. Disziplin ist nötig, wenn ich meinem Körper ein ausreichendes Maß an Bewegung verschaffen möchte und mich ausgewogen ernähre. Kleine Schritte machen, aber die dann wirklich. Nicht schon wieder zu hohe Ziel stecken, so nach der Art: Ab morgen rauche ich nicht mehr, schlafe genug, gehe drei Mal in der Woche joggen, trinke keinen Alkohol und lass mich nicht mehr von meinen Chef ärgern. Das funktioniert nicht. Ab morgen laufe ich die Treppen in mein Büro und fahre nicht mehr mit dem Fahrstuhl, das funktioniert.

M | Und wenn man schon mitten drin steckt im Elend, keine Kraft zur Umkehr mehr hat?

SPRENGER | Wenn jemand richtig ausgebrannt ist, braucht es einen stationären Aufenthalt. Aber Umkehr ist auch dann möglich und man kommt aus dem Burn-out wieder raus.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »

Pokerspiele der Süddeutschen Zeitung

Bei einer Betriebsversammlung des Süddeutschen Verlags am vergangenen Dienstag ruderte Geschäftsführer Dr. Christian Wegner etwas zurück. Er deutete an, dass der Stellenabbau in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung (SZ) nicht ganz so dramatisch ausfallen könnte wie bislang befürchtet. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der Verlag in München für das laufende Jahr mit einem Abbau von 30 Vollzeitstellen plant. Die dju in ver.di kritisiert das Vorhaben scharf.
mehr »