Der Pudding an der Wand

Mehr Geld oder nur schöne Worte zur Qualitätssicherung

„Qualität im Journalismus definieren zu wollen, gleicht dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln.“ So mancher Vortragende auf der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) in Hamburg griff dieses launige Zitat des Medienforschers Stephan Ruß-Mohl auf, da der Qualitätsbegriff allgemein so schwer zu fassen ist. Qualität ist immer abhängig von Wertsystemen, die wiederum von Interessengruppen definiert werden – politische, ästhetische, journalistisch-professionelle, ethische Werte, ökonomische Effizienzkriterien oder Publikumserwartungen.

„Medien-Qualitäten. Öffentliche Kommunikation zwischen ökonomischem Kalkül und Sozialverantwortung“, war dann auch das Thema der Tagung, federführend organisiert von Siegfried Weischenberg, Journalistikprofessor in Hamburg. In Praxis und Wissenschaft verankert, versuchte er beide Stränge zusammenzuführen – durch Diskussionsrunden mit Medienpraktiker/innen und die erstmalige Auszeichnung des praxisnahsten Vortrags. Der von der Hamburg Media School gestiftete Preis ging an den Schweizer Forscher Vinzenz Wyss für eine Fallstudie zum Radio-Programm-Controlling.

Kaum Alltags-Themen

Die über 50 Vorträge repräsentierten den Mainstream der Kommunikationswissenschaft in Deutschland, vermittelten aber auch Einblicke in die österreichische und Schweizer Forschung: Es handelte sich überwiegend um empirische Studien, und die anschließenden Diskussionen drehten sich vor allem um methodische Fragen, weniger um gesellschaftliche Problemstellungen. Einige DGPuK- Mitglieder kritisierten dann auch, dass inhaltlich wichtige Themen wie Migration, Gender, Ausbildung, Ökonomisierung und Regulierung der Medien in den Vorträgen kaum vorkamen, wobei die Veranstalter letztere in „Roundtables“ auffingen.

Immer wieder wurde auf die Funktion der Medien verwiesen, die „Selbstbeobachtung der Gesellschaft“ zu befördern, soziale Realität zu spiegeln. Die vorgestellten Studien beschäftigten sich aber kaum mit Themen, die den Alltag der meisten Bundesbürger prägen wie die Arbeitswelt oder soziale (Un-)sicherheiten. Eine Analyse der Hartz IV-Berichterstattung in der Bild-Zeitung bildete da eine Ausnahme. Carsten Reinemann, Hochschulassistent am Mainzer Institut für Publizistik, stellte eine Inhaltsanalyse der Bild-Berichterstattung vom Juli und August 2004 vor. Die Qualität der Bild-Berichterstattung überprüften Reinemann und sein Team an professionellen Normen wie Relevanz, Vielfalt oder Objektivität und an Normen, die das Blatt sich selbst setzt, etwa „Sprachrohr des kleines Mannes“ zu sein. Obwohl es zwei Millionen Langzeitarbeitslose gibt und viele Bild-Leser/innen dazu gehören, hat die Bild-Zeitung (Ausgabe Leipzig) weniger ausführlich darüber berichtet als zum Vergleich herangezogene überregionale Zeitungen (Süddeutsche, Welt) und Lokalblätter (Leipziger Volkszeitung, Allgemeine Zeitung in Mainz). „Die Steuerreform wurde in Bild stärker thematisiert als Hartz IV“, so Reinemann.

Im April 2004 verteidigte Bild Hartz IV noch in einem Kommentar: „Es ist beschämend, wie in Deutschland bei jedem notwendigen Reformschritt mittlerweile lautstark aufgeheult wird.“ Erst als die Fragebögen verschickt wurden, da erschienen die ersten kritischen Artikel. Niemals wurde politisch argumentiert, Interessenverbände wie Gewerkschaften kamen kaum zu Wort. Betroffene seien „instrumentalisiert“ worden zur „Aktualisierung und Emotionalisierung von Nebenaspekten“ der Hartz-Reform – Ein-Euro-Jobs oder Sparbücher der Kinder von Arbeitslosen. Im Juli erschienen zum Beispiel Artikel mit irreführenden Überschriften wie „Macht doch gleich Hartz IV für Kinder“ oder „Arbeitslose sollen wieder in Plattenbauten ziehen“.

Das Muss der Weiterbildung

Als Bild vorgeworfen wurde, mit ihrer Anti-Hartz-Kampagne extremistischen Parteien in die Hände zu arbeiten, da berichtete das Blatt wieder positiv und titelte Ende August: „So lügt die PDS Hartz IV schlecht“. Die Phasen mit positiver und negativer Hartz-Berichterstattung entsprachen den Stimmungsumschwüngen in der Bevölkerung. Es handelte sich bei den beiden Kehrtwenden in der Hartz IV-Bewertung lediglich um eine ökonomisch motivierte Publikumsorientierung. Das Boulevardblatt habe seine eigenen publizistischen Maßstäbe nicht eingehalten und anstatt eines „anwaltschaftlichen Journalismus eine Instrumentalisierung der Betroffenen“ betrieben, resümierte Reinemann.

Recherche als eines der wichtigsten Qualitätskriterien journalistischer Arbeit war Thema des Eröffnungsvortrags, in dem der US-amerikanische investigative Journalist Seymour Hersh über seine Aufdeckung der Folterskandale von Abu Graib berichtete. SWR-Chefreporter Thomas Leif vom deutschen netzwerk recherche kommentierte, es gebe „überall Oasen“ für guten Journalismus, aber: „Die Regel ist die Massenproduktion, die Kosten sparen soll.“

Medienpraktiker wie Leif diskutierten in „Roundtables“ darüber, wo Medien-Qualitäten gefährdet sind und wie sie verbessert werden können. „Aus- und Weiterbildung ist die zentrale Prämisse für guten Journalismus“, so der SWR-Chefreporter. Aber da sei Deutschland „bildungspolitisches Entwicklungsland“. Annette Hillebrand, Geschäftsführerin der Hamburger Akademie für Publizistik, differenzierte: „Die Ausbildung in Deutschland ist ziemlich gut.“ Nach der Ausbildung gebe es allerdings „Zwänge, wo die Qualität leidet.“ Redakteur/innen, die sich etwa für eine Weiterbildung „Kreatives Schreiben“ anmeldeten, würden „schief angeguckt“. „Es müsste eine Verpflichtung zur Weiterbildung geben“, forderte Leif. Auf Freiwilligkeit und Überzeugung setzte dagegen Bernhard Pörksen, Juniorprofessor am Hamburger Journalistikinstitut. Man müsse Weiterbildung ökonomisch begründen: „Seriöser Journalismus lohnt sich!“

Für „seriösen Journalismus“ braucht man qualifiziertes Personal und das kostet erst einmal Geld. Michael Segbers, Verkaufsmanager des dpa-Hörfunkdienstes antwortete auf die Frage, wie seine Nachrichtenagentur nach den Kündigungen im vergangenen Jahr mit weniger Leuten gleiche Qualität liefern wolle: “ In den Bezirksredaktionen werden Redakteure durch Freie ersetzt. Wir haben jetzt sogar noch mehr Informationsangebote als vorher!“ Ähnlich verteidigte Thomas Schreiber, Kulturchef beim NDR-Fernsehen die Stellenstreichungen seines Senders: „Wir haben sinnlose Aufgaben aufgegeben, senden in 3sat z. B. keine Theateraufzeichnungen mehr, die nur 30.000 Zuschauer sehen.“ „Das Geld, das dadurch frei wurde, haben wir ins Programm gesteckt.“

Berufsethik fehlt

Beispiel sei die kürzlich gesendete erfolgreiche Kreml-Dokumentation, die zwei Jahre Recherchen und Verhandlungen kostete, bevor ein NDR-Team Zugang zum Zentrum russischer Macht bekommen habe. Schreiber befürchtet eine Legitimationskrise, wenn nicht Zuschauermehrheiten erreicht werden, denn bei den Mehrheitsprogrammen konkurriere das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit RTL und Sat.1. Die Konkurrenz funktioniere nur auf dem Werbemarkt, nicht im Programm, meinte dagegen Insa Sjurts von der Hamburg Media School. Selbst die werbetreibende Wirtschaft beschwere sich über die schlechte Programmqualität im Rundfunk, aber die „Rezipienten können schon viel mehr ertragen, als wir alle erwartet haben. Sie schalten nicht ab.“ Sjurts empfahl den Rundfunkanstalten zur Qualitätssteigerung eine stärkere Differenzierungsstrategie mit Markenbildung.

„Praktikanten fangen den Abbau von Arbeitsplätzen auf. Das ist Ökonomisierung pur.“ Vom Publikum mit diesen Statements konfrontiert, versuchten die Experten zu belegen, dass die Qualität der Produkte unter verstärktem Einsatz von Freien und Praktikanten nicht leide. „Praktikanten sind besser ausgebildet als früher“, versicherte Annette Hillebrand. Von 20 Volontären würden 15 oder 16 nicht übernommen. Sie absolvierten ein Praktikum nach dem anderen, in der Hoffnung, „in einer Redaktion vielleicht Fuß zu fassen“. Michael Segbers: Nach zwei „Kosteneinsparungsrunden arbeiten wir mit weniger Stellen“. Trotzdem würden weiterhin Volontäre ausgebildet, die zwar nicht übernommen, aber als Pauschalisten weiterbeschäftigt würden.

Manchmal kann die Moral dem Broterwerb im Wege stehen – wie eine Studie im Auftrag der Sächsischen Landesmedienanstalt zeigt. Klaus Beck, Susanne Vogt und Jana Wünsch von den Universitäten Greifswald und Leipzig hatten 2004 in fünf privaten Lokalsendern Interviews geführt, um zu erforschen, welche Infrastrukturen es gibt, um die „rudimentären“ Normen ethischer Qualitätssicherung in Fernsehen und Radio umzusetzen. Sie stellten einen „Mangel an medienethischem Problembewusstsein“ fest. Ethische Grundhaltungen wurden „eher als hinderlich für die Arbeit in privaten Rundfunkstationen gewertet“. „Rechtliche Auflagen“ und der „gesunde Menschenverstand“ machten auch Kodices überflüssig. Qualität werde durch Redaktionskonferenzen und informelle Kollegengespräche sichergestellt. Ein Medienrat als externes Kontrollorgan sei „nicht notwendig, weil genug Selbstkritik vorhanden ist.“

Gibt es in diesen Einschätzungen keinen Unterschied zwischen Medienmanagern und redaktionellen Mitarbeitern? Differenzierungen zwischen divergierenden Interessen in den Medienunternehmen spielten in der wissenschaftlichen Qualitätsmessung nur eine geringe Rolle. Aus gewerkschaftlicher Perspektive gibt es schon Unterschiede. Für Qualitätssicherung wollen Journalisten „mehr Geld“, während die Verleger nur „schöne Worte“ dafür übrig haben, so Weischenberg. Damit hat er den Pudding zwar nicht an die Wand genagelt, aber den Nagel auf den Kopf getroffen!

 

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