„Die benutzen Journalisten wie Handtücher“

Immer mehr Berliner Korrespondenten beklagen die Verschwiegenheit der rot-grünen Bundesregierung und die Chuzpe ihrer Spitzenpolitiker im Umgang mit der Wahrheit

Jens König verzweifelt an der verschwiegenen Informations-Politik der rot-grünen Bundesregierung. „Die Antworten werden den Fragen nicht gerecht“, beklagt der Leiter des Berliner Parlamentsbüros der „Tageszeitung“ (taz), „man bekommt einfach keine Antworten.“ Bestimmte Ministerien, sekundiert Johannes Schradi von der „Badischen Zeitung“, mutierten unter der Regierung Schröder zu abgeschotteten Geheimdienstbehörden. Wie das von Joschka Fischer vergatterte Auswärtige Amt. Schradi: „Das AA ist extrem zu einem Arkanum geworden.“

Von wegen Glasnost und Perestroika. Die meisten journalistischen Hauptstadt-Beobachter fühlen sich von der rot-grünen Regierung in Berlin mindestens so verkohlt wie zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition. Die Regierung Schröder igele sich ein, betreibe eine verschlossenen-zögerliche Informationspolitik und halte sich bei Hofe eine kleine journalistische Elite, die bevorzugt behandelt werde, jammerte das publizistische Fußvolk auf dem „taz“-Kongress „Die verschwiegene Republik“.

Für Karl Feldmeyer, journalistisches Urgestein der „Frankfurter Allgmeinen Zeitung“ (FAZ), kommt das alles nicht überraschend. „Es gab nie die heile Welt der ehrlichen Regierungssprecher“, urteilt Feldmeyer, der seit 1971 die unterschiedlichsten Kanzler und Bundesregierungen beobachte. In das Klagelied der taz-Kollegen König über die Desinformationspolitik der Regierung Schröder stimmt der FAZ-Mann ein: „Man hat den Eindruck, dass man keine ehrlichen Antworten bekommt.“ Dies sei bei den Vorgänger-Regierungen „nie anders“ gewesen, „aber dadurch wird’s nicht besser.“

Das Verhältnis zwischen Politikern und Medien in der Regierungskapitale ist nach den Beobachtungen Feldmeyers „immer interessengesteuert“ gewesen. „Es hat sich nichts geändert insofern.“ Freilich habe der gegenseitige Respekt im Laufe der Jahre deutlich abgenommen, die Hemmschwelle im Umgang mit der Wahrheit sei auf Seiten der Politiker rapide gesunken.

Deprimierender Befund

Seinen deprimierenden Befund untermauert der erfahrene FAZ-Korrespondent mit einem journalistischen Schlüsselerlebnis aus dem Jahre 1998, wenige Monate vor der letzten Bundestagswahl. Damals hatte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering vor der Bundespressekonferenz beteuert, der sozialdemokratischen Kanzlerkandidat werde erst 14 Tage nach der Niedersachsen-Wahl vom Parteivorstand nominiert. Als Schröder dann keine 24 Stunden nach der Landtagswahl der staunenden Journaille als Kohl-Herausforderer präsentiert wurde, erklärte Müntefering feixend, dass dies doch immer schon das angestrebte Timing der SPD-Strategen gewesen sei. Und dann sagte der Sozi, ohne rot zu werden: „Journalisten darf man doch belügen.“

Hier habe „einer der höchsten politischen Repräsentanten in diesem Lande“ für sich reklamiert, „er darf die Journalisten hinters Licht führen und damit die Öffentlichkeit belügen“, empört sich Feldmeyer, „und nichts ist passiert“. Dabei sei Müntefering längst kein Einzelfall. „Dahinter steht der Anspruch der Politik, Journalisten zu funktionalisieren, sie wie Handtücher zu benutzen und wegzuschmeißen.“ An Geringschätzung war nie mehr. Fernseh-Journalist Friedrich Küppersbusch hat aus Münteferings medialem Parforce-Ritt ein deutliches Signal der politischen Kaste an die Journaille herausgehört: „Ich bin mit euch so fertig, euch darf man kollektiv belügen.“

Für die stellvertretende Regierungssprecherin Charima Reinhard („Ich halte mir zu gute, dass ich bislang noch keinen Journalisten angelogen habe – jedenfalls nicht bewusst“) sind die Vorwürfe von Feldmeyer und Kollegen „natürlich harter Toback“. Tatsächlich bestehe bei den Politikern eine Angst vor den Medien. „Die Macht, die Journalisten auf Politiker ausüben, ist größer als Sie glauben“, versicherte Reinhard auf dem „taz“-Kongress.

Gewiss nicht bei dem gewieften Schlagzeilen-Kanzler Gerhard Schröder. Der hat sich die Medien so gefügig gemacht, wie noch keiner seiner Amtsvorgänger. Da hält sich Schröder mit Kleinigkeiten nicht groß auf. Den Medienkanzler interessieren allein Auflage und Reichweite. Ihm genügten „Bild, BamS und Glotze“, hat er einst als niedersächsischer Regierungschef bekundet. Als Kanzler kann er sich jetzt zusätzlich noch auf die Hamburger Magazine und Wochenzeitungen verlassen, die mitunter wie Postwurfsendungen der rot-grünen Bundesregierung daher kommen.

Internet statt Interview

Regionalkorrespondenten wie Johannes Schradi fühlen sich vom Informationsfluss in Berlin weitgehend abgeschnitten. „Wir spielen hier bei den politischen Handelnden keine große Rolle mehr. Es gibt eine Focussierung auf das Fernsehen und die großen Zeitungen.“ Kollegen wie Schradi, die bei Anfragen in journalistischen Schlangen weit hinten anstehen müssen, empfiehlt Regierungssprecherin Reinhard, einstmals selbst Hauptstadt-Korrespondentin der „Frankfurter Rundschau“ (FR), allen Ernstes, künftig vermehrt die eigens für Journalisten eingerichteten Internetseiten der Bundesregierung (www.cvd,bundesregierung.de) anzuklicken: „Das erspart Ihnen Anrufe.“

Da fühlt sich FAZ-Mann Feldmeyer dann doch arg auf die Schippe genommen. „Das ist eine Beleidigung, die Sie nicht mal mit Champagner gut machen können. Wenn Sie noch mal so was sagen“, drohte Feldmeyer der über das grüne Ticket zur Regierungssprecherin avancierten FR-Journalistin auf dem „taz“-Kongress, „werde ich Sie zur Oberamtsrätin ernennen“.

Themen-Marketing

An Themen mangelt es – im Gegensatz zu verlässlichen politischen Informationen – nicht in der Berliner Regierungshauptstadt. Und dies ist für Einzelkämpfer wie Schradi eher ein Problem: „Der News-Umsatz wird immer höher. Es fehlt die Muße, sich auf eine Sache wirklich einzulassen.“

Dahinter steckt durchaus eine kalkulierte Strategie der Regierenden. „Auf beiden Seiten des Schreibtisches gibt es so was wie Themen-Marketing“, ist der versierte Fernsehproduzent Küpperbusch überzeugt. Und bei dem immer hektischeren Geschäft sei der Politiker dem Journalisten haushoch überlegen: „Der gibt zu einem Thema 40 Interviews in der Woche und du machst vielleicht eins.“ Das sei wie im DFB-Pokal, „wenn ein Kreisligist auf einen Bundesligisten trifft“, beschreibt Küpperbusch die mangelnde Chancengleichheit und bleibt in der Fußballersprache: „Als Journalist muss ich immer darauf hoffen, dass ich an diesem Tag über mich hinauswachse.“ Die mediale „Überhitzung“ in Berlin, wo mehr und mehr Journalisten um die schnelle Schlagzeile konkurrieren, hat dazu geführt, dass die Darstellung von Politik immer hastiger und flacher wird. Die meisten Journalisten seien durch das hohe Tempo überfordert. Heute gehe es um die Steuerreform, morgen um Rente, Agrarpolitik, Fischer-Vergangenheit oder Kiep-Millionen. Durch dies alles werde die Politik-Berichterstattung zunehmend personalisiert und trivialisiert. „Jedes Sachproblem wird zum Personalproblem, jede Sachfrage wird zur Machtfrage“, sagt König. „Man kann heute nicht mehr über Rente schreiben, ohne über Walter Riester zu schreiben.“

Personalisierung und Trivialisierung

Ähnliche Erfahrungen hat der FAZ-Korrespondent Feldmeyer gemacht. Weil Politik in den Medien mit Fußball, Big Brother und Sex konkurrieren müsse, würde sie immer mehr trivialisiert. Zudem glaubten viele Spitzenpolitiker, der Bevölkerung die Wirklichkeit gar nicht mehr zumuten zu können. „Drei Viertel der Wirklichkeit ist so erschreckend“, habe ihm jüngst ein führender Politiker gestanden, „dass sie gar nicht vermittelbar ist.“ Dies führt bach Feldmeyers Befund letztlich zu einem gefährlichen Entfremdungsprozesses zwischen Wirklichkeit und Demokratie. In Sachen Offenheit hat der von der „Badischen Zeitung“ nach Berlin entsandte Korrespondent Schradi eine ganz überraschende Erfahrung gemacht: „Die transparenteste Gruppierung, die ich hier in den anderthalb Jahren kennengelernt habe, ist die PDS“, sagt der Freiburger Journalist. „Die Politbüros sitzen heute woanders.“

 

 

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