Die Presse, Tochter der Freiheit

Wieso Friedrich Schiller als Medientheoretiker taugt

Des Dichters größte Sorge galt dem „guten Geschmack“. Er werde sich gegen ihn sicher nicht versündigen, versprach er, schon gar nicht durch „Missbrauch schulgerechter Formen“. War Friedrich von Schiller – der nur 45 Jahre alt wurde und dessen Todestag sich bald zum 200. Mal jährt – ein Seher, ein Wahrsager, ein Fern-Seher der zeitlichen Wahrnehmung nach?

Nachgerade prophetisch muten die Briefe „Über die Ästhetische Erziehung des Menschen“ an – vor allem zum Blick ins Massenmedium Fernsehen. Da trifft der Vorwurf vom „Missbrauch schulgerechter Formen“ den Quiz-Master und Quelle-Millionär Günther Jauch ebenso wie die anderen flimmerbunten Ratespiele mit Pseudo-Lehrern. Etwa die PISA-Pilawa-Katastrophen der ARD. Da geht es eben nicht mehr darum, wirklich was zu wissen, sondern nur noch darum, das Kreuzchen zu machen. Unterschieden wird auch in Wissenschaftssendungen nicht, welches Wissen wichtig ist, welches unerheblich – Distinktionsfähigkeit wurde medialen Verbrauchern dank knalliger „news“ bereits abtrainiert.

Der „gute Geschmack“ bleibt allerorten absichtlich auf der Strecke, ebenso die Kritikfähigkeit. Wo kämen wir auch hin, wäre das Publikumsvolk kritisch, gebildet und sensibel gegen Falschheit? Im Ernst: Die Vielfalt der Medien wäre in Gefahr. Vieles würde einfach nicht mehr akzeptiert. Klatsch und Tratsch würden Quoten und Auflagen entbehren, ebenso Schnulzen, Soaps, Schmonzetten. Ob von privaten oder öffentlich-rechtlichen Gnaden. Was für eine Utopie: „Bild“ müsste sich was für den kultivierten Massengeschmack überlegen. Vielleicht eine Zusammenfassung der Werke Kants, bebildert mit Grafiken aus dem Zeitalter der Aufklärung?

Auf Kant beruft sich jedenfalls Schiller, wenn er die Kunst „eine Tochter der Freiheit“ nennt. Für „Kunst“ darf getrost „Presse“ eingesetzt werden, sogar „Medienwelt“. Denn alle drei haben zwei Dinge zur Absicht: zu unterhalten und geistig zu ertüchtigen. Das Tragische nur schon zu Schillers Zeiten: Es „herrscht das Bedürfnis“ – und das „beugt die gesunkene Menschheit unter sein tyrannisches Joch.“ Anrufer-Show und Mitmach-TED, Live-Roulette und SMS-Gewinnspiel, ich höre euren diktatorischen Lärm! Das „blinde Recht des Stärkern“, wie es sich auch in Big-Brother-Formaten durchsetzt, gehört endlich vor den von Schiller ersonnenen „Richterstuhle reiner Vernunft“. Zumal es indirekt „das große Schicksal der Menschheit“ verhandelt.

Barbara Salesch und Kollegen sind ausnahmsweise nicht dran mit urteilen, nicht mal als „Beisitzer jenes Vernunftgerichts“. Die „Schönheit der Freiheit“ soll nämlich „dem Wohl der Menschheit“ dienen – und schädlichen Tendenzen entgegenwirken. Als da sind: „Hier Verwilderung, dort Erschlaffung“. Woher wusste Schiller das nur? Es stimmt ja: Verrohung findet im Yellow-Press-Bereich statt, dösende Langeweile bei Akademiker-Blättchen wie taz und Lettre. Was „desto mehr empört, weil die Kultur selbst ihre Quelle ist.“ Meint Schiller.

Aber wenn der „feurige Trieb nach Verbesserung erstickt“ ist, wie der frühe Medientheoretiker sagt, was bleibt übrig? Vermutlich Gottschalk, „Wetten dass …?“ Und siehe: „Mitten im Schoße der raffiniertesten Geselligkeit hat der Egoism sein System gegründet“. Wenn damit kein lustiger Thomas gemeint ist! Seiner „despotischen Meinung“, dem Befehl zu lachen, unterwerfen wir unser „freies Urteil“. Opfern „unser Gefühl“ den „bizarren Gebräuchen“ der Supershow. Geben „unsern Willen“ hin – für „Verführungen“ des Glamours. Was fordert dagegen der wortmächtige Schiller? „Empfindsamkeit“. „Schonung“. Also Zartheit, Feinheit, Maßhalten, Respekt. Als Rettungsanker vor der Diktatur der Dummheit. Als Hausmittel gegen die Idiotie der Ignoranz. Als Flaggschiffe gegen die fortschreitende Firlefanzisierung von Fernsehen und Presse. Dazu komme ein Hauch von „Poesie“, so rät der Klassiker. Und statt Skandal: „Spekulation“, ein Spielraum für Zukunft, mit „Herz“ und „Fantasie“.

Sind das allzu alte Werte? Längst überholte am megabunten Set, dem Drehort für „gesetzlose Triebe“ und ihre „tierische Befriedigung“? Bremst sich im „Gleichgewicht des Schlimmen“ alles Moralische wie automatisch gegenseitig aus? Schiller erkannte eine Gefahr, eine Entwicklung, die wohl schon damals unvermeidlich schien. Dabei war der Dichter und Denker zeitweise selbst leidenschaftlicher Zeitungsmacher, gab brotlose Lyrik-Blätter wie die „Horen“ heraus, brannte förmlich für „Totalität“ im höheren Sinn, auch im Hinblick auf Aktuelles.

„Einfalt, Wahrheit und Fülle“ hieß dabei sein Ideal, „Strahlen der Wahrheit“ sollten im Namen der Freiheit „das angenehme Blendwerk ihrer Träume“ verjagen. „Der moralisch gebildete Mensch, und nur dieser, ist ganz frei.“ So ergänzt die Schrift „Über das Erhabene“, die zeitgleich mit der „ästhetischen Erziehung“ 1793 / 94 entstand. Uns stellt sich im Schiller-Jahr 2005 die Frage, ob wir ein auch nur annähernd redliches Journalistencredo haben. Oder ob wir uns im lukrativen Jauchtum üben, etwa so: „Wer war Schiller? A: ein Salami-Fabrikant …“

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