Professorin Margreth Lünenborg über Migrantinnen in den Medien
„Migrantinnen in den Medien – Darstellungen in der Presse und ihre Rezeption“ heißt das Buch, das Margreth Lünenborg, Journalistikprofessorin an der Freien Universität Berlin, im März dieses Jahres zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen Annika Bach und Katharina Fritsche im transcript-Verlag publiziert hat. Die Forscherinnen untersuchten die Darstellung von Migrantinnen in fünf deutschen Tageszeitungen und führten sechs Gruppendiskussionen mit jungen Migrantinnen und deutschen Frauen. Dabei wurden „stereotype, aber auch widerständige Bilder sichtbar“.
M | Sie haben die Regionalzeitungen Kölner Stadtanzeiger und Westdeutsche Allgemeine, das Boulevardblatt Bild und die überregionalen Zeitungen Frankfurter Allgemeine und tageszeitung (taz) jeweils vier Monate lang untersucht – in den Jahren 2005 bis 2008. Welche Bilder von Migrantinnen tauchten dort auf? Welche verschiedenen Typen konnten Sie herausarbeiten?
MARGRETH LÜNENBORG | Wir unterscheiden „die Prominente“ als deutlich sichtbare Rolle, häufig als Star in Medien und Kultur, der oft auch exotisiert oder sexualisiert wird, also keineswegs nur eine positive Darstellung erfährt. Dann gibt es „die Erfolgreiche“ als eine Frau, die in ihrem professionellen Handeln sichtbar wird, etwa die Hochschulprofessorin, die Lehrerin, die als erfolgreich in ihren Jobs sichtbar werden. Der Typus „das Opfer“, der in reinen Zahlen am häufigsten vorkommt, wird sichtbar als Opfer patriarchaler Strukturen ihrer Herkunftskultur, zuweilen auch als Opfer der deutschen Mehrheitsgesellschaft, das nicht wertgeschätzt, nicht gesehen, an den Rand gedrängt wird. Wir haben „die Unerwünschte“ gekennzeichnet als diejenige, die teils illegal im Lande ist, Grenzen, Regeln, zuweilen auch Gesetze verletzt, also negativ gelabelt wird. „Die Nachbarin“ haben wir die normale alltägliche Durchschnittsfrau genannt, deren Migratin-Sein nicht explizit markiert wird, sondern die Teil der Gesellschaft ist – eine Rolle, die vergleichsweise selten auftritt, am stärksten in der Lokalberichterstattung. Die jungen Frauen, die wir in Gesprächsrunden dazu befragt haben, wie sie diese Medienbilder wahrnehmen, vermissten gerade diese Rolle schmerzlich.
M | Was war für Sie persönlich das wichtigste bzw. überraschendste Ergebnis?
LÜNENBORG | Unsere Ausgangsfrage war: In welcher Weise wird Geschlecht und Ethnizität miteinander verwoben? Ich hätte nicht erwartet, dass in so deutlicher Weise die Repräsentation der weiblichen Migrantinnen geradezu komplementär zu männlichen Migranten ist – also während der aggressive männliche Ausländer als uns Deutsche bedrohend medial inszeniert wird, erscheint die Migrantin als die Schutzbedürftige, das Opfer, das geradezu der Hilfe der deutschen Mehrheitsgesellschaft bedarf. Mir scheint, dass im Zusammenfügen einer männlichen und weiblichen Rolle die Wirkmacht noch mal in besonderer Weise hergestellt wird.
M | Migrantinnen werden in der taz zwar am häufigsten thematisiert, tauchen aber vor allem als Opfer auf. Wie beurteilen Sie angesichts dessen die Berichterstattung der taz?
LÜNENBORG | Man kann deutlich erkennen, dass es in der taz eine hohe Sensibilität in dem Themenfeld gibt. Die vergleichsweise häufige Identifizierung von Beiträgen ist zum Teil auch einer sprachlichen Sensibilität geschuldet, da die taz als einzige Zeitung explizit zwischen Migranten und Migrantinnen unterscheidet – durch das große Binnen-I und ähnliches. Hier wird sprachlich auch deutlich gemacht, dass sich in der Gruppe der migrantischen Bevölkerung Frauen verbergen. Zum anderen ist Migration ein Thema, das für die taz eine hohe Bedeutung hat – um Ausgrenzungsprozesse, Prozesse des Randständigmachens von Migrantinnen und Migranten in den Fokus zu nehmen. Die brisanten Themen sexuelle Gewalt, Ehrenmorde, Zwangsverheiratung werden in der taz sehr aufmerksam wahrgenommen. Hier wird ein aufklärerisches Moment sichtbar. Zugleich – das wird an unseren Befunden sehr deutlich – entsteht dadurch ein Negativ-Bias, indem die arme, schutzbedürftige, opferhafte Frau extrem sichtbar gemacht wird und andere positivere, vielfältigere Rollen fehlen.
M | Diese Vielfältigkeit, die Sie bei den überregionalen Zeitungen vermissen, finden Sie ja bei den anderen. Im Buch-Klappentext heißt es: „Dagegen liefern besonders Lokalpresse und Boulevardzeitungen (auch) vielfältige Entwürfe unter Einschluss lebensweltlicher Bezüge“. Mich wundert der positive Befund zur Boulevardpresse, da Bild Migrantinnen doch zumeist als Prominente – und zwar häufig sexualisiert darstellt …
LÜNENBORG | Die Sexualisierung würden wir natürlich nicht positiv bewerten, aber es gibt durchaus ein sehr viel weiteres Spektrum unterschiedlicher Rollen, Identitäten, Handlungsräume als wir sie in der Politikberichterstattung erkennen können. Je enger wir an dieses journalistische Feld heranrücken, das demokratietheoretisch immer als das normative Kerngeschäft bezeichnet wird, desto massiver finden wir den Rückgriff auf triviale Stereotypen, auf Entsubjektivierung. Hier werden nicht einzelne Frauen sichtbar gemacht, sondern hier wird nur noch mit Mustern gearbeitet: die Zwangsprostituierten, die Osteuropäerinnen. Je stärker wir im Feld der Politikberichterstattung sind, desto weniger tauchen handelnde Subjekte auf, desto stärker wird auf Opferrepräsentationen und auf Gruppen als amorphe Identitäten zurückgegriffen. Wir finden positivere Varianten einerseits in der Lokalberichterstattung durch mehr lebensweltliche Nähe, andererseits auch im Bereich der Boulevardzeitung, die eine bunte Lebensvielfalt darstellt. Das sind die erfolgreichen Schauspielerinnen, Musikerinnen, das ist auch die Gattin des prominenten Fußballers – keineswegs automatisch aufklärerische Momente. Aber eine simple Dichotomie – hier Qualitätsjournalismus, der Aufklärerisches leistet, da die Boulevardpresse, die triviale Muster liefert – ist in diesem Themenfeld einfach nicht zutreffend, sondern man hat es hier mit kontra-intuitiven Entwicklungen zu tun.
M | Von den namentlich gekennzeichneten Artikeln waren 14 Prozent von MigrantInnen verfasst. Stammen von ihnen auch die Beiträge, in denen Migrantinnen differenzierter, weniger stereotyp dargestellt wurden?
LÜNENBORG | Man kann kausal nicht so argumentieren, weil die namentlich gekennzeichneten Artikel insgesamt nur einen Teil des Gesamtkorpus ausmachen.
M | Immerhin mehr als die Hälfte: 700 von 1200 Artikeln.
LÜNENBORG | Das sind dann Autoren- und Autorinnenbeiträge, die eher subjektive Darstellungsformen umfassen. Die Nachricht ist ganz selten ein Namensbeitrag. Insofern bin ich vorsichtig, so etwas herzuleiten. Interessant ist natürlich schon, dass wir eine deutliche Unterrepräsentanz von migrantischen Journalisten und Journalistinnen – zwischen 1 und 5 Prozent in der Profession insgesamt – haben, in diesem Material der Anteil aber merklich höher ist. Klar ist es gut, dass sie als Autoren und Autorinnen auftreten. Problematisch ist es, wenn daran erkennbar wird, dass migrantische Journalisten allein zu Experten für Migrationsthemen werden. Es ist deutlich, dass mit diesen Autoren und Autorinnen einfach neue andere Lebenswelten erschlossen werden, auf die deutschstämmige Journalisten in der Regel gar keinen Zugriff haben – nicht zuletzt aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse.
M | Außer einer Inhaltsanalyse haben Sie ja auch eine Rezeptionsstudie gemacht – in Form von Gruppen-Fokusgesprächen. Die befragten Migrantinnen kritisieren die stigmatisierende Berichterstattung – vor allem in Politik und Nachrichten!
LÜNENBORG | Die jungen Frauen kritisieren allesamt den Ausschluss aus den dominanten Mediendiskursen, die in journalistisch-nachrichtlichen Informationsangeboten in Deutschland stattfinden. Es sind teilweise hoch gebildete Migrantinnen, die deutlich machen: Ihr Leben, ihre Lebenswelten finden im Journalismus nicht statt. Das wird als systematischer Ausschluss wahrgenommen. Diese Aussagen müssten bei jedem Verleger und jedem Programmplaner einen Aufschrei auslösen. Hier werden vielfältige Ressourcen verschenkt – gesellschaftlich und auch ökonomisch als potenzielles Publikum.
M | Positiv sehen die Frauen dagegen Unterhaltungsserien, Soaps, wo über alltägliche Rollen Normalität hergestellt werde, wo sie Identifikationsmöglichkeiten finden. Bestätigen das die bisherigen Befunde Ihres aktuellen Projekts zu Migrantinnen im Fernsehen?
LÜNENBORG | Wir sind mittendrin, deshalb bin ich mit Zahlen zurückhaltend, aber es ist ganz offensichtlich, dass Unterhaltungsformate – non-fiktionale Unterhaltungsformate, aber eben auch fiktionale Formate – vom „Tatort“ bis zur Daily Soap – ein deutlich breiteres Repertoire an Repräsentationen beinhalten. Sie setzen sich in einem viel stärken Maß mit der Frage auseinander, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, dass wir es mit einer multiethnischen Bevölkerung zu tun haben. Es ist offenkundig, dass es da ein redaktionelles Bewusstsein gibt, dass da auch relevante Publikumssegmente sind, die man umwerben muss – indem man exemplarische Identifikationsangebote macht. Das kann über prominente Schauspieler und Schauspielerinnen, über Moderatoren, Moderatorinnen, durch ein Format wie „türkisch für Anfänger“ funktionieren, das kann aber auch alltäglicher durch einen hohen Anteil migrantischer Kandidaten und Kandidatinnen in Castingshows sein. Da geht es auf einer ganz anderen Ebene um gesellschaftliche Partizipation. Gemeinsam mit meiner Kollegin Elisabeth Klaus geht es uns dabei um cultural citizenship, um eine kulturelle Teilhabe an Gemeinschaft, die sich aktuell auch in solchen Formaten ausdrückt.
M | Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Befunden? Was muss sich im Journalismus ändern, um die gleichberechtigte politische und mediale Teilhabe aller Menschen in unserer Gesellschaft zu befördern?
LÜNENBORG | Jenseits der Frage, ob mit mehr Migranten in den Redaktionen die Berichterstattung so anders wird, ist es ein partizipatorisches Grundrecht, dass sie gleichermaßen am Journalismus in Deutschland zu beteiligen sind. Das sind dieselben Debatten, die wir vor 20 Jahren mit Blick auf Frauen im Journalismus geführt haben. Ich bin davon überzeugt, dass sich mit einer stärkeren Teilhabe von Migranten neue Lebenswelten, andere Bezüge zur Wirklichkeit auftun, die Redaktionen sich auch verändern. Und wenn wir über die Leistung von Journalismus in globalen Gesellschaften sprechen, dann ist ein nationalstaatlicher Rahmen einfach zu eng. In der Folge heißt das: Öffnung von Redaktionen, von Aus- und Weiterbildung für junge Migranten und Migrantinnen. Das heißt aber auch Qualifizierung und Weiterbildung von Journalisten und Journalistinnen, um sie zu sensibilisieren, eine Aufmerksamkeit zu schaffen für neue Themen in der globalen Einwanderungsgesellschaft.
Das Gespräch führte Bärbel Röben