„Kollektiv“ oder „Kooperative“ – für viele sind das heute antiquierte Begriffe marxistischer Rhetorik. Allerdings scheinen sie in der Medienbranche wieder mehr Anziehungskraft auszuüben. Die Dokumentarfilminitiative (dfi) jedenfalls hat ein verstärktes Bedürfnis nach Selbstorganisation innerhalb der Branche ausgemacht. Grund genug für die dfi, sich im Rahmen einer Tagung in Köln auf die Suche nach entsprechenden Netzwerken zu begeben und sie zu befragen.
Harte Zeiten für Dokumentarfilmer: Die Sendeplätze für Dokus werden immer rarer, während Player wie Netflix den kompletten Bewegtbildmarkt umkrempeln. Können ambitionierte Filmemacher heute überhaupt noch Inhalte realisieren, ohne bereits vor dem Start über Finanzierung, Formatierung und Vermarktung nachzudenken? Die dfi stellte auf Ihrer Tagung „Dokumentar-Film-Kultur Teil I: Netzwerke und Kollektive“ gerade Beispiele vor.
„Welche Bedingungen sind notwendig, die Dokus ermöglichen, die erstmal losgelöst von wirtschaftlichen Aspekten entstehen können?“, formulierte dfi-Leiterin Petra Schmitz zunächst die Fragestellung, unter der das Programm zusammengestellt wurde: „Die Kollektive, die hier vertreten sind, können auf Festivalaufführungen und TV-Ausstrahlungen verweisen. Wie können sich also Filmschaffende so organisieren, dass sie die Filme machen können, die sie machen wollen?“
Ein Beispiel gab Florian Kläger, Mitglied des „neopan kollektivs“. Hierarchiefrei und interdisziplinär geht die Stuttgarter Gruppe an ihre Projekte heran: „Das Kollektiv soll den Film erstellen, die klassische Position des Regisseurs entfällt, auch die des Autors. Es gibt eine Idee, die wird dann diskutiert und anschließend entsteht der Film gemeinsam.“ So wie „A story of Sahel Sounds“, eine Musikdokumentation, die das „neopan kollektiv“ über Crowdfunding gestartet hatte. Zur Unterstützung wurde später doch noch eine Berliner Produktion eingebunden. Letztes Jahr lief der Film erfolgreich auf verschiedenen Festivals, schaffte es aber nicht ins Kino. Die Gruppe beschränkt sich aber nicht nur auf das Medium Film. Mit einem anderen Kollektiv aus Hamburg etwa realisierten die Stuttgarter ein Theaterstück. Mit einer weiteren Kooperative veröffentlichten sie eine Vinylschallplatte zur Stuttgarter Musikszene. Von diesen Projekten können die Mitglieder der Gruppe allerdings nicht leben. Jobs beispielsweise als Filmvorführer oder im Plattenladen sind unerlässlich. „Was die Finanzierung angeht, haben wir noch keinen Königsweg gefunden“, bedauerte Kläger.
Ähnlich gehen „Die Strippenzieher“ aus Düsseldorf vor, wie Mitglied Katharina Blanken in Köln berichtete. Die Gruppe sieht sich als Netzwerk, das audiovisuelle Kunst herstellt: „Die Gleichberechtigung von Bild und Ton ist uns wichtig.“ So beim Film „Kammermusik“ für die Musikhochschule Düsseldorf. Über 20 Kreative sind bei den „Strippenziehern“ versammelt, die zumeist verschiedene Fähigkeiten vereinen. Ein Pianist etwa ist zugleich auch als Entwickler von 3D- Audio-Software tätig. Doch auch hier seien Brotberufe notwendig, um die künstlerischen Projekte zu verwirklichen.
„Die Wendländische Filmkooperative“ schließlich machte klar, dass Zusammenschlüsse dieser Art immer auch als Gegenkultur oder Gegenöffentlichkeit zu verstehen sind. „Wir sind sicher die älteste Filmkooperative“, stellte Mitgründerin Roswitha Ziegler auf der dfi-Tagung fest, „wir haben uns vor 40 Jahren mit einem sehr politischen Ansatz zusammengefunden“. Als Ende der 1970er Jahre die Proteste gegen Atomkraft aufflammten, dokumentierte die Wendländische Filmkooperative die Ereignisse unter anderem mit „Gorleben: Der Traum von einer Sache“ aus dem Jahr 1981. Der Film beschreibt den Aufbau des „Dorfes des Friedens“ von Atomkraftgegnern, die die Einrichtung eines Atommüll-Endlagers in Niedersachsen verhindern wollten, sowie die Räumung des besetzten Areals durch tausende Polizisten. Der Titel der Doku nutzt ein Zitat von Karl Marx: „Es wird sich dann zeigen, dass die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen.“
Wie es um den Traum vieler Dokumentarfilmer, die Verwirklichung von Wunschprojekten losgelöst von finanziellen oder sonstigen Zwängen zu realisieren, bestellt ist, blieb in Köln offen. Doch das Modell Kollektiv scheint ein Ansatz. „Vertrauen und Zusammenhalt“ beschrieb Rosa, die Tochter von Roswitha Ziegler, als wichtigste Werte dieses Modells. Gerade hat sie für ihre Produktion „Ab 18“ den Grimme-Preis erhalten: „Ehrlichkeit und Loyalität scheinen heute Begriffe aus der Steinzeit zu sein. Von daher wünsche ich mir mehr Kollektive“, sagte sie. Dass es die braucht, kam klar in der Diskussion zum Ausdruck: Nur durch Zusammenschluss und Zusammenhalt könnten die Dokumentarfilmer, die immer auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllen, ihre Anliegen und ihre wirtschaftliche Absicherung gegenüber den Sendern durchsetzen.
Die Veranstaltung am 19. April 2018 war Auftakt zum Jahresthema der Dokumentarfilminitiative, die 2018 grundsätzlich fragt: Welche Dokumentar-Film-Kultur wollen wir?