Dokument der Zeitgeschichte

Foto mit abgetrenntem Kopf zulässig

Der abgetrennte, noch blutende Kopf in den Händen eines liberianischen Soldaten hatte insgesamt 17 Leser zu einer Beschwerde beim Deutschen Presserat gegen die „Bild“-Zeitung veranlasst. Das Farbfoto, das am 23. Juli veröffentlicht wurde, war nach Auffassung des Beschwerdeausschusses in erster Linie Informationsträger und authentisches Dokument der Zeitgeschichte.

Der schockierende Inhalt kann aus Sicht des Ausschusses bei Lesern erhöhte Aufmerksamkeit für Krieg und Gräuel wecken. Es gehöre zu den zentralen Aufgaben der Presse über tatsächliche Geschehnisse in der Welt zu berichten. Dazu zählten auch reale Schrecken eines grausamen Krieges, heißt es in der Pressemitteilung des Gremiums. Der Beschwerdeausschuss erkannte daher keinen Verstoß gegen die Ziffer 11 des Kodex, wonach die Presse „auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität“ verzichten sollte. Unangemessen sensationell war hingegen der Beitrag „Der Kannibale“ in einer großen Wochenzeitschrift. Die detaillierte Schilderung der Zubereitung und des Essens von Körperteilen geht über ein begründbares Informationsinteresse der Öffentlichkeit deutlich hinaus und wurde deshalb missbilligt.

Sieben Rügen erteilt

Der Beschwerdeausschuss sprach in seiner fünften Sitzung diesen Jahres insgesamt sieben Rügen aus. Zwei Zeitungen wurden wegen der Berichterstattung über den Suizid eines Mannes in der Münchener Innenstadt öffentlich gerügt, da sie gegen die Ziffer 8 des Pressekodex verstoßen hatten, der „besondere Zurückhaltung bei Berichten über Selbsttötungen“ gebietet. Sowohl die „Bild“-Zeitung als auch die „Abendzeitung“ München hatten neben den Fotos des jungen Mannes auf dem Dach der Maximilians-Kirche auch dessen Vornamen, den abgekürzten Nachnamen sowie weitere Details zur Person veröffentlicht.

Die „Chemnitzer Morgenpost“ wurde öffentlich gerügt, da sie über den Tod eines Mannes in einem Sexshop in identifizierender Art und Weise berichtet hatte. Die „Hersfelder Zeitung“ erhielt eine nicht-öffentliche Rüge, da sie in einem Bericht über das Schicksal einer syrischen Flüchtlingsfamilie Name und Foto der Familie bekannt gegeben hatte. Genau dies hatte die Familie verhindern wollen, um nicht nach ihrer Abschiebung in ihrer Heimat Repressalien ausgesetzt zu werden. Damit hat das Blatt gegen Ziffer 8 des Kodex verstoßen, der die Achtung des „Privatlebens und die Intimsphäre des Menschen“ einfordert.

Sorgfaltspflicht verletzt

Eine öffentliche Rüge wegen Diskriminierung nach Ziffer 12 des Pressekodex erhielt die „Offenbach-Post“. Sie hatte in einem Artikel über Schwierigkeiten mit einem von Sinti und Roma frequentierten Gasthof die Unterzeile „Wo kein ‚Zigeuner-Gulasch‘ auf der Karte steht, gibt’s Krach um Parkplätze und abendlichen Lärm“ veröffentlicht. Nach Meinung des Ausschusses ist der Begriff „Zigeuner-Gulasch“, eine Anspielung mit diskriminierendem Charakter.

Die „Sächsische Zeitung“ erhielt eine öffentliche Rüge für einen Kommentar, in dem sie einen Generalkonsul mit angeblichen öffentlichen Äußerungen zitierte, die er nachweislich nicht öffentlich gemacht hatte. Der Ausschuss hielt den Verstoß gegen die „journalistische Sorgfaltspflicht“ (Ziffer 2 des Kodex) für so schwerwiegend, dass er eine Rüge für angemessen hielt.

Die „Bild“-Zeitung erhielt eine öffentliche Rüge für einen Bericht über einen Zoobetreiber, der angeblich im Verdacht stand, bei der Auflösung seines Zoos die dort gehaltenen Tiere verspeist zu haben. Zwar hatte der Betroffene vier Jahre zuvor ein Hängebauchschwein ohne amtsärztliche Genehmigung geschlachtet und dafür ein Bußgeld bezahlen müssen. Für den jüngsten Verdacht gab es jedoch keinen tatsächlichen Anhaltspunkt. Die Veröffentlichung des Fotos und des vollen Namens des Betroffenen wertete der Ausschuss als schweren Verstoß gegen Ziffer 9 des Kodex, wonach es dem „journalistischen Anstand“ widerspricht, „unbegründete Behauptungen und Beschuldigungen, insbesondere ehrverletzender Natur, zu veröffentlichen“.

Der Beschwerdeausschuss sprach außerdem acht Missbilligungen und einen Hinweis aus.

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