Digitalkonzerne und Künstliche Intelligenz stellen Medienschaffende vor neue Herausforderungen. „KI, Big Tech & Co. – was wird aus dem Journalismus?“ lautete folgerichtig der Titel der 11. Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 16. Oktober in Berlin. Über 80 Wissenschaftler*innen, Rundfunkräte und Journalist*innen informierten sich auch über den aktuellen Stand der Debatte über den neuen Medien“reform“staatsvertrag.
Bis zum 11. Oktober hatten alle Bürger*innen und Verbände ihre Stellungnahmen zum Reformentwurf im Rahmen eines Online-Hearings bei der zuständigen rheinland-pfälzischen Staatkanzlei abgeben dürfen. Mehr als 16.000 Vorschläge gingen ein. Darunter auch die gemeinsame Position von ver.di und DGB. Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, zeigte sich unzufrieden mit dem laufenden Prozess. Sie kritisierte die „unverschämt kurze Frist“ von 14 Tagen, die „uns Bürgerinnen und Bürgern“ zur Begutachtung eingeräumt worden sei. Der Entwurf der Rundfunkkommission „verströmt das Bestreben, die Gegnerinnen und Gegner einer Beitragskommission auf den Regierungsbänken umzustimmen“. Bekanntlich haben sieben Ministerpräsidenten schon vor einiger Zeit ihre ablehnende Haltung gegenüber der von der KEF empfohlenen minimalen Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro pro Monat kundgetan.
DGB kritisiert eine „Fusion light“ im ÖRR
Als „frappierend“ empfindet es Hannack, „dass es überhaupt nicht mehr um Qualität und Inhalte geht“. Es scheine nur noch darum zu gehen, „möglichst viele Spartenkanäle zu überführen oder zu schließen. Auch das Ansinnen der Ministerpräsident*innen, ARD, ZDF (und Deutschlandradio) eine Zusammenarbeit „auf allen Ebenen vorzuschreiben“, mache sie misstrauisch. Mit dieser „Fusion light“ werde „ein Pfad gelegt, an dessen Ende die Abschaffung einer der beiden Sender steht“. Wer so vorgehe, wolle keine kritischen und unabhängigen Medien und keinen publizistischen Wettbewerb, sondern „legt letztlich wenig Wert auf demokratische Meinungsbildung“.
Zuvor hatten Heike Raab, Koordinatorin der Rundfunkkommission und ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz-Dethlefsen ihre unterschiedlichen Positionen zu zentralen Reformvorschlägen erörtert. Raab begrüßte die Fülle der Eingaben, die bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am vom 24.-26. Oktober – teils mithilfe von KI – ausgewertet würden. Eine Reduzierung von Sparten- und Hörfunkkanälen in eigener Regie hätten die Anstalten versäumt, obgleich der 3. Medienänderungsstaatsvertrag ihnen diese Flexibilität eingeräumt habe. Jetzt gehe es zur Sache. „Der weitestgehende Vorschlag war: Wir digitalisieren sie alle zehn – nur noch Hauptprogramme, nur noch Dritte Programme“, sagte Raab. Am Beispiel paralleler Ausstrahlungen der Doku „Norwegens Sehnsuchtsküste“ auf 3sat und Phoenix am selben Nachmittag demonstrierte sich das „Sparpotential“. Solche Doppelungen könnten nicht die Zukunft sein. Gleiches gelte für die Frage, ob man wirklich alle vier Info-Angebote – Phoenix, tagesschau24, ARD-alpha und ZDF Info – brauche.
Inhaltliche Meinungsvielfalt bewahren
140.000 Unterschriften stehen mittlerweile unter einer Petition zum Erhalt von 3sat. Ist es denkbar, dass der Dreiländer-Kanal in ARTE aufgeht? Keine gute Idee, findet Schmitz-Dethlefsen, neben Medien auch für Kultur zuständig. Gerade in einer Zeit, wo die rechtsextreme AfD auf kommunaler Ebene versuche, „politische Diskurse in der Kunst einzuschränken“. Er begrüßte den anvisierten Ausbau von ARTE zu einer europäischen Plattform.
Verpflichtung zur Zusammenarbeit, Abbau von Doppelstrukturen? Gern in Verwaltung und Technik, aber wie könnte das im Programm aussehen? Zumindest die staatsvertragliche Formulierung „auf allen Ebenen“ berge perspektivisch das Risiko eines Verlusts an inhaltlicher Meinungsvielfalt,“ befürchtet Schmitz-Dethlefsen.
Zankapfel Presseähnlichkeit
An die Dritten Programme gehe die Rundfunkkommission nicht ran. Raabs Begründung: Von allen Rückmeldungen, die sie bekommen habe, wünschten sich die Menschen „mehr Regionalität, mehr Landesidentität“. Für Moderatorin Sissi Pitzer eine gute Gelegenheit, zum Stichwort Presseähnlichkeit überzuleiten. Denn mehr Regionalität und Lokales in den öffentlich-rechtlichen Online-Angeboten sind den Zeitungsverlegern ein Dorn im Auge und Quelle ständiger juristischer Scharmützel mit der ARD. Leonard Dobusch, langjähriger ZDF-Verwaltungsrat, findet es dagegen „absurd, Texte auf öffentlich-rechtlichen Angeboten einzuschränken, während private Online-Angebote längst crossmedial und voll mit Video- und Audioinhalten sind“. Dieses „Zombie-Konzept“ habe in einem Reformstaatsvertrag „nichts verloren“.
Hätten die Anstalten die bisherigen staatsvertraglichen Bestimmungen erfüllt, gäbe es dieses Problem nicht, monierte Raab. Zugleich verwies sie auf einen aktuellen Vorschlag von ARD-Chef Kai Gniffke mittels einer Selbstverpflichtung der Öffentlich-Rechtlichen den Konflikt zu entschärfen. Schmitz-Dethlefsen hielt dagegen. Die ganze Causa basiere auf dem Versuch der Verleger, „hausgemachte Probleme auszulagern“. Junge Menschen informierten sich auch aus gedruckten Quellen. Im Zeitungsbereich finde zudem ein Konzentrationsprozess statt, wo Vielfalt verloren gehe, Zentralredaktionen „Einheitsprodukte auch über große Regionen“ verbreiteten. In dieser Situation nehme nicht nur die essentielle Bedeutung des ÖRR noch zu. Auch steige damit die Verantwortung der Politik, die Voraussetzungen für eine demokratische Meinungsbildung zu erhalten.
Bedarfsgerechte Finanzierung des ÖRR
Die Frage der zur Jahreswende fälligen Beitragserhöhung konnte nicht mehr diskutiert werden, da Heike Raab die Konferenz wegen andere Terminverpflichtungen vorzeitig verlassen musste. Schade. Man hätte schon gern ihre Meinung zur kürzlich von Hamburgs Mediensenator Carsten Brosda geäußerten Klarstellung gehört. Eine politische Entscheidung für Kürzungen ohne Sicherstellung einer bedarfsgerechten Finanzierung des ÖRR sei nicht akzeptabel. „Entweder kommen die Reformen und eine Entscheidung über den Beitrag“, so Brosda, „oder es kommt gar nichts“.
Möglichkeiten und Grenzen von KI
Dank generativer Künstlicher Intelligenz und Werkzeugen wie ChatGPT hat KI auch in den Medien einen Hype ausgelöst. Theresa Züger, Leiterin des AI & Society Lab am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, präsentierte in ihrem Impulsvortrag die Auswirkungen auf den Journalismus. Wie verändern generative Inhalte die Öffentlichkeit, auch unter Berücksichtigung der Rolle von Desinformation und Deep Fakes? Erste Erkenntnis: „Mit KI generierte Inhalte können gleiche Klickzahlen erzielen wie journalistisch erstellte Texte.“ Limitiert sei dieses Verfahren allerdings unter anderem da, wo es um aktuelle Entwicklungen gehe, wo Trainingsdaten nicht up to date seien. Da könnten am Ende „nur falsche Antworten kommen“. Welche Rolle spielt dabei der Journalismus? Züger: „Geht es um Klickzahlen, um die Rezeption von Inhalten oder um die grundsätzliche gesellschaftliche Frage nach der Verantwortung des Journalismus?“
Laut einer Studie des Reuters Institute zur Einschätzung der Wirkungen von KI sei bei den Befragten gerade in Bezug auf Nachrichten ein „großer Pessimismus sichtbar“ geworden. Diese Skepsis hänge vor allem mit persönlichen Erfahrungen im Hinblick auf Desinformation und Deep Fakes zusammen. Diese Gefahren sollten zwar weder über- noch unterschätzt werden. Im Ergebnis könne sich dies negativ auf das Vertrauen in die Medien auswirken.
Journalismus mit KI stärken?
Wie können Redaktionen und Journalist*innen KI-Anwendungen in ihrer Arbeit nutzen? Laut Forschung liegen in ganz vielen Bereichen – in Recherche, Distribution, in der „Verifikation externer Inhalte“ – große Potentiale. Journalist*innen könnten viele Tools für sich „nutzen, um Qualität zu steigern und effektivere Prozesse zu entwickeln“. Journalismus werde dann nicht ersetzt, sondern durch Technologie eher gestärkt. Ob er auch besser werde, hänge vom Grad des autonomen und selbstbestimmten Umgangs der Journalist*innen mit diesen Technologien ab.
Züger entwickelt in ihrem Team gemeinwohlorientierte KI-Projekte. Als Beispiel nannte sie Claimspotting für Faktenchecker*innen, eine Art Filter, mit dem die bisherige händische Suche von Desinformation bei Themen wie Migration oder Klimakatastrophe in Telegram-Kanälen automatisiert werden kann. Was sie zurückführte zu der Frage, wie Vertrauen in Journalismus erhalten werden könne. Leitfaden des Journalismus, soviel steht für Züger fest, müsse „die menschliche redaktionelle Einschätzung“ bleiben.
Auch im anschließenden Panel ging es um konkrete Anwendungen von KI im Journalismus. Für Jörg Pfeiffer vom AI & Automation Lab des Bayerischen Rundfunks gehören Tools wie Bilderkennung oder die Transkription Audio-Text längst zum Standard. Aktuell nutze man KI als Assistenzsystem in Redaktionen. Die sähen sich angesichts von 4.000 täglich im BR eingehenden Kommentaren außerstande, alle zu beantworten. Hilfestellung bietet ein gerade entwickeltes Programm, das gezielt an die Redaktionen gerichtete Kommentare oder Anfragen herausfiltert. Damit könne man dem der ARD ausgegebenen Ziel, den „Dialog mit dem Publikum“ auszubauen, um einiges näherkommen.
Jobverlust und Vertrauensverlust durch KI
Manfred Kloiber, freier Mitarbeiter im Deutschlandfunk, zugleich Vorsitzender der Fachgruppe Medien in ver.di, beschäftigt sich als Autor und Moderator des Magazins „Computer und Kommunikation“ seit langem mit der Materie. Eine verbindliche Ansage zum Umgang mit KI gebe es von Seiten der Senderleitung nicht. Noch entscheide jede Redaktion darüber selbstständig. Manche Entwicklungen sieht er problematisch. Innerhalb der ARD werde unter Federführung von WDR und SWR überlegt, inwieweit man in den Autofahrerwellen Wetterbericht und Verkehrsmeldungen mit KI gestalten könne. „Gestalten“ bedeute hier, die Texte schreiben und auch sprechen zu lassen. „Meine Sprecherkolleg*innen kriegen da natürlich den totalen Horror“, so Kloiber und bangen perspektivisch um ihre Jobs. Mit einiger Berechtigung, Er sei ziemlich sicher, dass dies nach Klärung sicherheitsrelevanter Aspekte bald kommen werde. Schlussendlich werde immer ein Mensch entscheiden? Von wegen, meint der Gewerkschafter: „Am Ende entscheiden Maschinen.“ Dennoch gibt sich Kloiber optimistisch, was den Einsatz von KI im Journalismus betrifft: „KI hat weder Emotionen noch ne Idee.“
Vanessa Bitter ist Projektleiterin „Jahr der Nachricht“ bei dpa im Rahmen von #UseTheNews. Das Projekt verfolgt das Ziel, seriösen Medien eine Plattform zu schaffen und den kompetenten Umgang mit Nachrichten zu stärken. Zu den Förderern des Projektes zählen unter anderem das Bundesinnenministerium, auch die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) ist als Kooperationspartner an medienpädagogischen Veranstaltungen beteiligt. Ein Arbeitsschwerpunkt ist die Aufklärung über Desinformation. „KI ist dabei ein potentieller Driver“, sagt Bitter. Nicht nur im Hinblick auf soziale Medien, auch bei ChatGPT müsse darauf geachtet werden, welche Quellen dahinterstecken. In bundesweit organisierten sogenannten „News-Camps“ an Schulen, bei Festivals oder einem der 40 Medienpartner registriert sie ein großes Informationsbedürfnis. Gerade KI sei derzeit sehr gefragt, denn das schwindende Vertrauen in Medien hänge auch damit zusammen.
Auswirkungen von KI auf Medienwirtschaft
Der letzte Programmpunkt widmete sich dem Medienmarkt Deutschland. Unter der Überschrift „Jeder gegen jeden und Big Tech triumphiert“ referierte Britta M. Gossel, Leiterin des Studiengangs Sustainable Entrepreneurship & Social Innovation an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung im märkischen Eberswalde über die Auswirkungen von KI auf Medienwirtschaft und -organisationen. Die Veränderungszyklen der technischen Innovationen würden immer schneller. Nach dem Phänomen der Suchmaschinen um die Nullerjahre, der zweiten Stufe social media sei mit der Künstlichen Intelligenz jetzt die dritte Stufe der digitalen Evolution erreicht. Bezogen sich am Anfang technologische Innovationen noch auf das Medium an sich, seien jetzt Arbeitsprozesse und das journalistische Produkt selbst betroffen. „Im Moment wird der Einsatz von KI in erster Linie von Geschäftsmodellen, Investitionen und Profit getrieben sein“, zitierte Gossel den Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar. Ihr Einwand: „Ob wir das kapitalistisch gestalten, liegt ja in unseren Händen.“
Das abschließende Podium bestritten die Professorin Britta Gossel, ZDF-Nachrichtenchef Thomas Heinrich, das BDZV-Vorstandsmitglied Helmut Verdenhalven und Alexander Fanta von der Investigativplattform „Follow the money“. Den Schlusspunkt setzte ver.di-Bundesvorstand Christoph Schmitz-Dethlefsen, indem er für das konstruktive Gespräch aller Beteiligten warb. Die auf der Konferenz gegebenen Impulse und die Offenheit des Redens gelte es aufzunehmen und fortzuführen. Es gehe darum, „den Journalismus nicht nur gegen Big Tech, sondern auch gegen das existierende Verhetzungspotential“ zu verteidigen“, denn es treffe die Kolleg*innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der Privaten wie auch der Printmedien gleichermaßen.
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