Seit der Rückeroberung Afghanistans durch die Taliban im August 2021 ist unabhängiger Journalismus im Land kaum noch möglich. Viele Journalist*innen verloren ihre Arbeit, einige konnten fliehen, andere dürfen das Land nicht verlassen.
Über die aktuelle Situation informierten auf einer Veranstaltung von Reporter ohne Grenzen (RSF) im Berliner Maxim Gorki Theater afghanische und deutsche Medienschaffende am Internationalen Tag der Pressefreiheit.
„Die Lage für die Medien ist immer noch dramatisch“, sagte die in Kabul geborene freie Journalistin und Ethnologin Shikiba Babori. Viele Fluchtwillige würden festgehalten, oft unter Einsatz von Gewalt. Besonders für Journalistinnen sie die berufliche Tätigkeit massiv eingeschränkt. Selbst in der afghanischen Provinz herrsche für sie überwiegend ein Arbeitsverbot. Die willkürlichen Herrschaftsmethoden der Taliban sorgten für Verunsicherung. Wenn etwa gefordert werde, nach „islamischen Regeln“ zu arbeiten, sei dies schwammig und fast beliebig auslegbar. In den meisten Medien sei der Anteil weiblicher Beschäftigter drastisch zurückgegangen. Eine Ausnahme bilde der populäre Fernsehsender „Tolo News“. Dort sei der Frauenanteil vorübergehend sogar gestiegen. Dieser Sender werde von den Taliban akzeptiert, weil sie sich davon versprächen, „ihre Propaganda besser verbreiten zu können“.
Eine Aussage, die von Abdul Haq Omeri bestätigt wurde. Er hatte seit 2009 für „Tolo News“ als Reporter in Afghanistan und Pakistan gearbeitet und 2020 die Friedensgespräche zwischen der US-Regierung und den Taliban sowie mit der afghanischen Regierung in Doha/Katar journalistisch begleitet. Nach der Machtübernahme der Taliban gelang ihm mit Hilfe von RSF die Flucht. Noch nie hat es in Afghanistan ein so hohes Maß an Pressefreiheit gegeben wie vor der Rückkehr der Taliban“, sagt Omeri. Doch alle demokratischen Errungenschaften seien seither eliminiert worden. Neben den Taliban seien auch Regierungsmitglieder, die mit Drogen- und Mafiastrukturen verbunden seien, an den aktuellen Repressionen beteiligt. Omeri lebt heute in Hamburg und informiert über soziale Medien weiter über Afghanistan.
Die deutsche Fotografin Johanna-Maria Fritz hat auf mehr als einem Dutzend Reisen nach Afghanistan die dort stattfindenden gesellschaftlichen Entwicklungen dokumentiert. Vieles an ihrem Job hat sich seit dem Machtwechsel verändert: „Vorher gab es viele Entführungen, jetzt kann ich gefahrloser in mehr Provinzen reisen“, sagt sie. Dieser erweiterten Mobilität stünden jetzt aber neue Risiken gegenüber. In einem massiv militarisierten öffentlichen Raum könnten bei der Arbeit „Situationen jederzeit kippen“. Im Vergleich zu ihren afghanischen Kolleg*innen genieße sie aber auch kleine Privilegien. So sei der Dresscode für sie nicht so streng wie für Einheimische. Aber auch sie trage gewohnheitsmäßig Niqab oder Kopftuch.
„Wenn Frauen aus dem Journalismus verschwinden, fallen auch bestimmte Themen weg“, konstatiert Shikiba Babori. Sie berichtet für deutschsprachige Medien vor allem über Frauenpolitik. Zugleich ist sie Trainerin bei der Deutsche Welle-Akademie und Leiterin des Journalist*innen Netzwerks Kalima. Die verbliebenen afghanischen Journalistinnen könnten kaum im öffentlichen Raum agieren: „Die Taliban bevorzugen Männer als Gesprächspartner.“ Die gerade erst in Ansätzen entstandene Zivilgesellschaft seien wieder zerstört oder ihre Vertreter*innen außer Landes. Dies erschwere den Wiederaufbau, die Situation sei vergleichbar mit der nach dem Abzug der Sowjets 1989. Babori appellierte an die Verantwortung des Westens: „Er darf die Menschen, in denen so große Hoffnungen geweckt wurden, nicht allein lassen.“
Nach der Konsolidierung ihrer Herrschaft versuchten die Taliban, jetzt auch die Arbeit der Auslandsmedien stärker einzuschränken, sagt Abdul Haq Omeri. Dies sei fatal, weil das Land am Hindukusch im Kontext des Krieges in der Ukraine ohnehin weitgehend aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit gefallen sei. Auf die Frage, ob ein starkes Exilmedium afghanischer Journalist*innen hilfreich sein könnte, erwiderte Omeri: „Wir sitzen ja nicht still.“ Afghanische Exilreporter*innen seien sehr aktiv auf Twitter, Facebook, Instagram und vielen anderen Medien. Dabei handle es sich nicht um Bürgerjournalist*innen, sondern um ausgebildete Profis. Er befürwortet eine Bündelung dieser Kompetenzen auf einer gemeinsamen Plattform, um ein wahres Bild der Lage in Afghanistan zu entwerfen. „Dazu bedarf es aber der Unterstützung“, so Omeri. Ob ein solches Zentrum in der Peripherie des Landes oder in einem westlichen Land angesiedelt wäre, spiele keine Rolle.
Sylvie Ahrens-Urbanek vom Veranstalter Reporter ohne Grenzen verwies hier auf den europäischen JX-Fonds für Journalismus im Exil, der kürzlich von RSF gemeinsam mit der Schöpflin Stiftung und der Augstein Stiftung ins Leben gerufen wurde. Er soll Medienschaffenden unmittelbar nach ihrer Flucht aus Kriegs- und Krisengebieten schnell und flexibel dabei helfen, ihre Arbeit weiterzuführen.
Am Rande der Veranstaltung präsentierte RSF den aktuellen Bildband „Fotos für die Pressefreiheit 2022“. Er enthält Arbeiten von Johanna-Maria Fritz und knapp 20 anderen Fotograf*innen zu besonderen Brennpunkten des Jahres 2021. Umfang 100 Seiten, Preis 16 Euro und erhältlich über RSF.