Drucksache Bild

Studie der Otto-Brenner-Stiftung über die Rolle der Bild-Zeitung: Marketingmaschine oder simples Boulevardblatt?

Was ist Bild? Ein populistisches Kampagnenblatt? Das Boulevard-Leitmedium für Journalisten? Nach einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung ist Bild vor allem eine entfesselte „Marketingmaschine, für deren Betreiber journalistische Inhalte weitgehend entbehrlich sind“.

Verfasser der soeben publizierten Studie sind der Berliner Kommunikationswissenschaftler Hans-Jürgen Arlt und der Frankfurter Publizist Wolfgang Storz. In ihrem Band: „Drucksache Bild – Eine Marke und ihre Märkte“ untersuchten sie vor allem die Berichterstattung von Deutschlands größtem Boulevardblatt über die aktuelle Euro- und Griechenlandkrise. Die zentralen Thesen stellten sie unlängst in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin zur Debatte. Eingeladen zu dieser Veranstaltung im Rahmen des MainzerMedienDisput hatte auch das Netzwerk Recherche.

Kein journalistisches Produkt

Viele Medienkritiker haben sich an Bild schon die Zähne ausgebissen. Hans-Jürgen Arlt, einer der beiden Autoren, begann mit einer zugespitzten These: Ambitionierte Blattmacher hätten heute zwei Möglichkeiten, nämlich „Journalismus machen und dafür die höchstmögliche Auflage anstreben oder die höchstmögliche Auflage anstreben und dafür alles machen“. Nach Arlts Auffassung hat sich Bild längst für die zweite Alternative entschieden, ist also mithin kein journalistisches Produkt mehr, sondern zu einer emotional aufputschenden Marketingmaschine verkommen. Volks-Bibel, Volks-Pizza oder Volks-Meinung – im Grunde sei alles gleich, solange es nur wirtschaftlich oder politisch verwertbar sei.
Eine steile These. Zu steil für die Medienjournalistin Ulrike Simon, die Bild nach wie vor für eine Art Leitmedium hält, ein „Leitmedium insofern, als man sich täglich daran orientieren kann, wie man es nicht macht, will man Anstand und journalistischen Kriterien genügen“. Ansonsten sei das, was bei Bild tagtäglich geschehe, „papiergewordener Populismus“, also ganz normaler Boulevardjournalismus, dies allerdings sehr konsequent.
Mit moralisierenden Argumenten könne man dem Phänomen Bild nicht beikommen, sagte Tagesspiegel-Redakteur Harald Schumann. Er mag nicht hinter längst erreichte Standards in der Kritik an Deutschlands größtem Boulevardblatt zurückfallen. Denn im Kern gehe es bei Bild nach wie vor darum, dass diese Zeitung „gnadenlos“ versuche, „Ressentiments, Vorurteile und nationalistische, populistische Thesen, zu Geld und Auflage zu machen“ Dadurch sei sie „selber ein Faktor der Politik“.
Ein politischer Machtfaktor zudem ohne demokratische Legitimität, findet auch Wolfgang Storz, Ex-Chefredakteur der Frankfurter Rundschau und Mitverfasser der Studie. Wie die „Drucksache Bild“ Stimmung und damit auch Politik macht, erläuterte er am Beispiel der Berichterstattung über die Griechenland- und Eurokrise.

Da wimmle es von Überschriften wie „Machen die Griechen den Euro kaputt“, „Also doch! Griechen wollen unser Geld“ oder „Streit um Milliarden-Hilfe – Warum zahlen wir den Griechen ihre Luxusrenten?“ Über die tatsächliche Höhe der Durchschnittsrenten in Griechenland kein Wort – die Faktenzusammenstellung erfolge streng selektiv nach dem erwünschten Dramatisierungseffekt. Die Griechen, so Storz, würden in der aktuellen Debatte von Bild, aber auch von anderen Blättern fast ausschließlich mit Stereotypen charakterisiert: „Sie sind eher faul, sie leben über ihre Verhältnisse, tun dies schon seit Jahren, sie betrügen und lügen – gemeint ist der Umstand, dass die Statistiken bei Eintritt in die Euro-Zone nicht korrekt waren – und das wird übertragen auf das Volk.“
Ganz im Gegensatz zu den fleißigen Deutschen, den selbst ernannten Exportweltmeistern. „Dass permanente Überschüsse im Außenhandel nur möglich sind, wenn andere Länder Defizite machen und sich verschulden“, falle dabei unter den Tisch, monierte Harald Schumann. Eine „simple makroökonomische Erkenntnis“, die allerdings in der Berichterstattung zu dieser Krise natürlich in der Bild-Zeitung gar nicht vorkommt. Mit dieser unterbelichteten Sichtweise steht das Springer-Blatt allerdings nicht allein. Der wirtschaftspolitische Mainstream der meisten Blätter, so Schumann, erleichtere Bild die Strategie, mit der primitiven These „Wir retten die Griechen“, am Stammtisch zu punkten. Tatsächlich rette die EU allenfalls die Gläubiger der Griechen, während es den Griechen immer schlechter gehe.

Politikeinfluss begrenzt

Bei allem Populismus und Kampagnenjournalismus sollte aber der Einfluss von Bild auf die Politik auch nicht überschätzt werden. Das findet zumindest Spiegel-Redakteur Markus Feldenkirchen, dessen Blatt erst unlängst auf dem Höhepunkt der Guttenberg-Affäre Bild eine kritische Titelgeschichte widmete. Dafür gebe es einfach zu viele erfolglose Kampagnen, mit denen das Springer-Produkt an die Wand gefahren sei. Der überdurchschnittlich freundliche und wohlwollende Umgang des Blattes mit Guido Westerwelle habe diesem erkennbar nichts genützt. Auch die massive publizistische Kampagne zur Erhaltung des Berliner Flughafens Tempelhof sei gescheitert. Gleiches gelte für den maßgeblich von Bild gesteuerten Hype um das Ehepaar derer zu Guttenberg. Alle publizistische Schützenhilfe konnte am Ende den politischen Abstieg des Freiherren nicht aufhalten. Als Kronzeugen zitieren die Verfasser der Studie auch Bild-Gegner Günter Wallraff: „Von Bild unterstützt zu werden, das ist heute – im Gegensatz zu früher – weniger denn je eine Garantie, Erfolg zu haben.“

Links

www.bild-studie.de
www.otto-brenner-stiftung.de

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