Eigene Interessen wieder formulieren

Ein Gegenmachtbuch zum Thema „Arbeiten ohne Ende“

„Mal sehen, wann ich Zeit für den Urlaub finde, es passt gerade nicht wegen der Arbeit, und außerdem möchte ich erst meinen Tinnitus loswerden.“ – „Die Situation ist nun beinahe unerträglich geworden. Eine grundsätzliche Entlastung ist jedoch nicht in Sicht. Im Gegenteil steigt der Druck noch dadurch, dass ich inzwischen notgedrungen so viele Dinge vernachlässigt habe, dass ich nun Angst haben muss, die Kontrolle über meine Projekte zu verlieren.“

Zwei Aussagen von Beschäftigten, deren Arbeit das Maß verloren hat.

Arbeit ist so wichtig geworden, dass sie den Urlaub kippen und die Gesundheit beschädigen kann und bei aller Eigenveranwortung zunehmend ein Gefühl des Getriebenseins hinterlässt. Einzelfälle von ein paar Spinnerten, die sich beweisen wollen? Oder doch nur die alte Überstundenleier?

Mitnichten. Wie verbreitet die Maßlosigkeit der Arbeit bereits ist und wo die Ursachen liegen, das untersuchen eine Reihe von Experten in dem Buch „Arbeiten ohne Ende“. Eine Stärke des Buches ist zweifellos die Analyse. Fast unbemerkt löst „eine neue Form unternehmerischer Herrschaft“ (Wilfried Glißmann, Betriebsratsvorsitzender bei IBM Düsseldorf und einer der analytischen Köpfe von „Arbeiten ohne Ende“) das alte System des Command and Control ab. Die Beschäftigten bekommen unternehmerische Verantwortung übertragen: Der Kunde, der Markt bestimmen die Regeln. Nun selbstverantwortlich, arbeiten sie länger und mehr, damit der Kunde zufrieden ist, der Terminplan eingehalten wird, die Regresskosten nicht noch mehr steigen, die Investitionen nicht aus der Einheit abgezogen werden.

Wie unspektakulär die indirekte Steuerung durch das Management funktioniert und Beschäftigte Dinge scheinbar wie von selbst tun lässt, ist ebenso spannend wie die Tragweite dieser neuen Variante des „flexiblen“ Kapitalismus. Das „Neue in den Unternehmen begreifen“ heißt in die Köpfe der Unternehmer zu gucken, weil die bereits die Köpfe der Beschäftigten steuern: Der Gegensatz von Kapital und Arbeit vollzieht sich im Kopf, schreibt Glißmann. Wer sich das auf der Zunge zergehen lässt, ahnt, wie sehr Betriebsräte ins Trudeln geraten, wenn sie nach guter alter Manier die Beschäftigten vor sich selbst retten wollen, die die Stechuhren am liebsten zum Teufel jagen würden.

Das Handbuch fasst aber nicht nur den derzeitigen Wissenstand inklusive Datenmaterial zusammen – vom Arbeitsmediziner, Betriebsrat, Gewerkschaftssekretär bis zum Soziologen, Arbeitspsychologen und Wissenschaftler sind alle mit von der Partie, die der Debatte Qualität und Aktualität beisteuern können. Zweite Stärke ist nämlich die Verknüpfung der Analyse mit der betrieblichen Praxis. Ob die Arbeitszeitkampagne bei IBM oder die Arbeitschutzkampagne der IG Metall in Baden-Württemberg – die Beispiele machen deutlich, dass „Arbeiten ohne Ende“ von vielen verschiedenen Seiten umzingelt werden könnte. Um so mehr wundert es, warum in den Köpfen der Gewerkschaftsvorstände nicht rumort, was den Kollegen längst in den Knochen steckt?

Der Band lädt all diejenigen ein, sich gedanklich mit auf den Weg zu machen, die „Arbeiten ohne Ende“ immer noch für eine neue Verpackung eines alten (Überstunden-)Problems halten. Ein Überzeugungsbuch. Ebenso alle Beschäftigten oder Betriebsräte, die die Selbstunterwerfung unter das Diktat Arbeit begreifen wollen, um eigene Interessen wieder formulieren zu können. Ein Gegenmachtbuch. Eine Einladung, keine abschließende Antwort.


Klaus Pickshaus / Horst Schmitthenner / Hans-Jürgen Urban (Hrsg.):
Arbeiten ohne Ende.
Neue Arbeitsverhältnisse und gewerkschaftliche Arbeitspolitik.
Mit CD-ROM VSA-Verlag, ISBN 3-87975-833-6. 17,80 €
E-Mail: info@vsa-verlag.de.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Arbeitsklima ist extrem hart“

In der Nahaufnahme für das Jahr 2025 beschäftigt sich Reporter ohne Grenzen (RSF) unter anderem mit der deutschen Berichterstattung zum Gaza-Krieg nach dem Überfall der Hamas auf Israel. Von der Organisation befragte Journalist*innen sprechen über massiven Druck, Selbstzensur und erodierende journalistische Standards. Ein Interview mit Katharina Weiß, Referentin bei Reporter ohne Grenzen Deutschland.
mehr »

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »

In den eigenen Räumen etwas bewegen

Stine Eckert forscht zu Geschlechterkonstruktionen in den Medien am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Wayne State University in Detroit. Ihr Buch „We can do better“ versammelt  „feministische Manifeste für Medien und Kommunikation“. Mit Ulrike Wagener sprach sie für M über die Verbindung zwischen Universitäten und Aktivismus und die Frage, wo Medien und Medienschaffende etwas verändern können.
mehr »