Ein Auge für die Kamera, ein Auge für die Truppe

Journalistenkurse im Ausbildungszentrum der Vereinten Nationen

„Spion der KFor!“, brüllt der Mann mit der schwarzen Maske. Mit einer Pistole im Nacken ist jeder Widerstand zwecklos. Der Mann zählt bis drei und drückt ab. Oliver, freier Journalist, zuckt zusammen.

„Übungsende!“, schreit ein Oberfeldwebel. Die Geiselnahme ist vorbei. Endlich. Zum Glück sind die Geiselnehmer nicht echt. Wir sind im fränkischen Hammelburg am Standort der Infanterieschule und des Ausbildungszentrums der Vereinten Nationen (VN).

Am ersten Tag des Nato-Einmarsches in den Kosovo wurden im Juni 1999 die beiden Stern-Reporter Gabriel Grüner und Volker Krämer erschossen. Seitdem werden auch Journalisten in Hammelburg ausgebildet. Die Geiselnahme ist Teil der fünftägigen „Basiseinweisung: Verhalten von Journalisten in Krisengebieten“. 22 getötete und 136 gefangene Journalisten weltweit, so die bisherige Schreckensbilanz 2003 der internationalen Organisation „Reporters Without Borders“, belegen leider die Notwendigkeit eines solchen Lehrganges.

Wichtiger als jedes Foto

„Ein Auge für die Kamera, ein Auge für mich“, prägt Oberst Hans-Jürgen Folkerts, Leiter des VN-Ausbildungszentrums, den Teilnehmern immer wieder ein, während sie sich zwischen den „kämpfenden Truppen“ bewegen. Weder Internationale Presseausweise noch Menschenrechtserklärungen schützen vor Geiselnahmen, Minen, Scharfschützen, Autobomben oder Giftgas. Oberstes Gebot ist: Das eigene Leben ist wichtiger als jede Reportage oder jedes Foto. Das weiß auch Michael Franzke. Der Afrika-Korrespondent des WDR gibt seine Erfahrungen in dem Kurs weiter: Es sollte ein Melderhythmus zur Heimatredaktion vereinbart sowie ein Tagebuch geführt werden. Vor allem aber sollte man vor Ort unauffällig bleiben.

Nicht immer sicherer Schutz

Mit Stahlhelm und Fernglas ausgerüstet, erleben die Journalisten, wie die Kugeln und Granaten aus Maschinengewehren, Panzerfäusten und Schützenpanzern knapp über die Köpfe hinweg fliegen. In einem Schützengraben banges Warten in der Hocke. Das macht mürbe, niemand weiß, wie viele Stunden es auszuharren gilt. Sprengstoff explodiert in nächster Nähe. Die Druckwelle fährt in die Körper, die Münder stehen offen, um sie durchzulassen. Bis zu fünf Kilo sind da detoniert, erfahren die Reporter später.

Gerät man zwischen die Fronten, ist schnelle Deckung angesagt und die Orientierung: „Wo, wer und was zielt auf mich?“ Nicht überall findet sich sicherer Schutz: Normale 7,62 mm-Gewehrmunition durchschlägt Bäume mit einem Durchmesser von 60 Zentimetern, Panzerglas, Ziegelmauern und – bei senkrechtem Aufschlag – einen Stahlhelm. Auch Gebäude können tödlich sein. Schnell gebastelte Sprengsätze finden sich an der Tür, unter dem Teppich, in Schubladen, unter der Klobrille oder unter dem Waschbecken. Die Gefahr lauert auch im freien Gelände. Warnzeichen für Minenfelder gibt es genug. Ein orangefarbenes Fähnchen, eine Coladose auf einem Stock oder einfach nur ein Häufchen Äste. Daher sollte man auf freigegebenen Straßen bleiben, keine Straßenränder begehen, keine Andenken sammeln und das Verhalten der Einwohner beobachten.

An diesem Freitag herrscht ein reges Geschäft auf dem Markt in „Bonnland“, dem Übungsdorf der Bundeswehr. Hier und da unterhalten sich Journalisten mit „Einheimischen“, als plötzlich eine Detonation alle erschüttert: Keine Zeit in Deckung zu gehen. Die Landung auf dem Betonboden ist hart. Dem Knall folgt eine Rauchwolke. Es war eine Autobombe, kein Giftgas. Bei Gasangriffen hat man sieben Sekunden zwischen Alarm und Anziehen der Gasmaske: Atem anhalten, Augen schließen, Gasmaske anziehen, Filter anbringen, kräftig ausatmen, Augen aufmachen…

Nicht ohne Versicherung

Ohne ausreichenden Versicherungsschutz sollte kein Krisengebiet begangen werden, betont Christian Sprotte von der Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung in seinem Vortrag am vorletzten Tag der Ausbildung. Journalisten stehen bei ihrer Arbeit, wie alle Arbeitnehmer, unter dem Versicherungsschutz der Berufsgenossenschaften (BG). Fotografen und Printjournalisten sind bei der BG Druck und Papierverarbeitung versichert. Für elektronische Medien ist die BG Feinmechanik und Elektrotechnik zuständig. Der Versicherungsschutz gilt auch, wenn man zeitlich begrenzt im Ausland arbeitet. Für die BG Druck und Papierverarbeitung ist der Schutz der Journalisten so wichtig, dass eine Kooperation mit der Bundeswehr vereinbart wurde: Seit März 2003 übernimmt die Berufsgenossenschaft die Kosten der Kurse. „Vorbeugen ist besser als Heilen – das ist unsere Maxime“, erklärt Sprotte.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Journalismus unter KI-Bedingungen

Digitalkonzerne und Künstliche Intelligenz stellen Medienschaffende vor neue Herausforderungen. „KI, Big Tech & Co. – was wird aus dem Journalismus?“ lautete folgerichtig der Titel der 11. Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 16. Oktober in Berlin. Über 80 Wissenschaftler*innen, Rundfunkräte und Journalist*innen informierten sich auch über den aktuellen Stand der Debatte über den neuen Medien“reform“staatsvertrag.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Traditionelle Medien zu wenig divers

Vielfalt in traditionellen Medien ist gefährdet - durch Chefetagen, die überdurchschnittlich mit weißen Männern besetzt sind. Dazu kommt eine zunehmend stärker werdende Berufsflucht. Daneben entsteht ein „peripherer Journalismus“ – entweder mit einem hohem Anspruch an Diversität oder andererseits sehr eingeschränkter Vielfalt. Das Meinungsspektrum verschiebt sich von „migrantischen zu ultrakonservativen Stimmen“. Schlaglichter auf die kritisch-konstruktive Tagung „Diversität und Geschlecht im Journalismus“.
mehr »