Eine Zwangslüge sollte erlaubt sein

Staatsanwaltschaft und Journalisten sitzen auf verschiedenen Seiten

Rüdiger Bagger ist seit 15 Jahren Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft. Er gilt als alter Fuchs und Vollprofi – an der Schnittstelle zwischen Ermittlungsverfahren und Öffentlichkeit ist der Staatsanwalt, der sich vorher mit Wirtschaftsstraftaten und Organisierter Kriminalität befasste, oft genug unter Dauerbeschuss von Tageszeitungen und anderen Medien. Neben seiner Tätigkeit als Pressesprecher bearbeitet er zusätzlich noch Strafvollstreckungssachen. Der 58-Jährige macht seinen Job, wie er sagt, mit Leib und Seele.

Journalisten und Staatsanwälte, was ist das für ein Verhältnis: Partner oder Konkurrenten?

Rüdiger Bagger: Beides. Auf der einen Seite Partner, auf der anderen Seite Gegner, wobei die Gegnerschaft überwiegt. Wir sind Auskunft gebende Behörde und sitzen auf der anderen Seite. Wenn man Pressearbeit gleich Öffentlichkeitsarbeit setzt, ist das sowieso ein Widerspruch in sich, gerade bezüglich einer Behörde wie der Staatsanwaltschaft, die zwar keine Geheimbehörde ist, aber eine Behörde, die im Stillen ermittelt. Wir sind kein Unternehmen, das sich in der Öffentlichkeit in erster Linie verkaufen muss, sondern eine Strafverfolgungsbehörde, die von Amts wegen tätig wird oder aufgrund von Anzeigen.

Und da stört die Presse eher?

Nicht immer. Oft hat der Beschuldigte keine Kenntnis von einem gegen ihn anhängigen Ermittlungsverfahren, so dass es sich dann auch gebietet, dass die Öffentlichkeit davon nicht erfährt. Es ist ja tagtägliches Geschäft bei mir, dass Anfragen auflaufen wie: Ist es richtig, dass gegen Herrn X im Zusammenhang mit bestimmten Geschäften wegen des Vorwurfs Y ermittelt wird? Ich bestätige das, weil ich nach dem Landespressegesetz dazu verpflichtet bin, und der Beschuldigte erfährt dann durch die Medien, dass gegen ihn ermittelt wird. Wenn Sie noch solche Dinge nehmen wie die Vollstreckung von Durchsuchungsbeschlüssen oder von Haftbefehlen, all das ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Medien sind aber auf so etwas, wie man so schön sagt, scharf und wollen auch vor Ort dabei sein.

Nun haben Sie aber auch ein Interesse an Öffentlichkeit.

Man kann ganz brutal sagen, dass die Staatsanwaltschaft kein Interesse hat an Öffentlichkeit. Wir ermitteln am liebsten so, dass die Öffentlichkeit davon nichts mitbekommt. Der einzige Punkt, wo wir ein Interesse an Öffentlichkeit haben und den wir pressemäßig auch aktiv betreiben, ist die Veröffentlichung unserer wöchentlichen Presseliste, wo wir Termine bekannt geben für Fälle, in denen wir Anklage erhoben haben und Gerichtstermine stattfinden. Uns stört natürlich nicht, wenn nachgefragt wird, wir beantworten die Fragen auch.

Also haben wir ein permanentes Spannungsverhältnis zwischen Staatsanwaltschaft, die ermittelt, und Journalisten, die nachbohren.

Richtig. Aber das schließt ja nicht aus, dass man vertrauensvoll zusammenarbeitet. Unter vertrauensvoll meine ich in diesem Fall, dass man ehrlich ist. Und wenn ich mal nicht die ganze Wahrheit sage, der Journalist anerkennt, dass dies die Zwangslüge ist, die einem die Strafprozessordnung auferlegt. Dass man die Frage nach einem Haftbefehl, der gegen jemanden besteht und demnächst vollstreckt werden soll, natürlich nicht mit ja beantwortet, weil man sich dann gleichzeitig als Staatsanwalt und Pressesprecher strafbar machen würde wegen des Vorwurfs der Vollstreckungsvereitelung. Eine Partnerschaft ergibt sich durchaus dann, wenn die Allgemeinheit geschädigt ist. Das heißt, wenn erhebliche Teile der Bevölkerung in großem Stil durch betrügerische Unternehmen, durch Preisausschreiben, 0190-Nummern oder Kaffeefahrten und Ähnliches Schaden erleiden. Hier deckt die Presse etwas auf und berichtet darüber, wo wir dann durch Prüfung zu der Erkenntnis kommen, dass ein Betrug vorliegt und die Medien anschließend fragen: „Haben Sie jetzt ein formales Ermittlungsverfahren eingeleitet?“ Und wir bestätigen das dann. In diesen wenigen Einzelfällen kommt es dann zu einem Austausch und einer Zusammenarbeit.

Es ist aber nicht Aufgabe der Medien, der Staatsanwaltschaft belastendes Material zur Verfügung zu stellen.

Sie sind nicht Büttel der Staatsanwaltschaft, die Staatsanwaltschaft aber auch nicht Büttel der Medien. Einen Distanzverlust zwischen Medien und Staatsanwaltschaft darf es nicht geben. Aber wenn die Bevölkerung in großem Umfang geschädigt wird, halte ich die Zusammenarbeit für sinnvoll.

Nun haben Staatsanwälte und Journalisten in vielen Fällen ein ähnliches Erkenntnisinteresse und ähnliche Methoden. Journalisten recherchieren, Staatsanwälte ermitteln.

Wenn Sie den Bereich Recherche nehmen, ist es so, dass Staatsanwälte und Journalisten eine ähnliche Tätigkeit durchführen. Die Unterschiede liegen da, dass die Presse es oft als „Körperverletzung“ empfindet, wenn sie eine Information hat, die möglicherweise sogar einen zureichenden Tatverdacht begründet, aber noch nicht veröffentlicht werden darf. Schließlich könnte ja noch ein anderer von der Geschichte wissen, und der kommt dann damit vorher raus. Wir dagegen sind sehr geduldig und langatmig. Wir ermitteln mitunter zwei Jahre, ohne dass jemand außerhalb der Behörde Kenntnis davon hat. Der zweite Unterschied ist, dass Sie manchmal aufgrund ihrer Flexibilität mehr Möglichkeiten haben als wir. Sie können informelle Gespräche führen, ohne sie aktenmäßig niederlegen zu müssen. Sie unterliegen keinen entsprechenden gesetzlichen Vorschriften. Wir können nicht selektiv berichten, sondern müssen auch zugunsten des Beschuldigten ermitteln. Ich habe immer wieder in den Medien erlebt, dass entlastendes Material verschwiegen wird, wenn es nicht so spannend ist. Es gibt aber auch die Ebene, wo wir mehr Vorteile haben, wo wir objektive Beweismittel erlangen können, auf die Sie keinen Zugriff haben, es sei denn, Sie können sie kaufen oder sie werden Ihnen zugespielt.

Korruption ist ein gesellschaftliches Übel, das sowohl Staatsanwälte als auch Journalisten in den letzten Jahren immer mehr beschäftigt.

Korruption ist mit das Gefährlichste, was einer Gesellschaft passieren kann. Wir haben in Hamburg seit einigen Jahren in der Staatsanwaltschaft ein eigenes Dezernat, das sich ausschließlich mit Korruption beschäftigt. Und im Grunde, ich sage dies mal deutlich, ist jeder in irgendeiner Form gefährdet, bestechlich zu sein. Neben dem erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden verliert die Gesellschaft das Vertrauen in die staatlichen Organe und in die Wirtschaft. Journalisten haben oft Anhaltspunkte und kommen nicht weiter. Da kann ein Gespräch mit der Staatsanwaltschaft durchaus nützlich sein, um Hintergründe zu erhellen. Als Staatsanwälte haben wir uns dabei allerdings strikt daran zu halten, dass wir die Ermittlungen nicht gefährden und auch die Unschuldsvermutung und der Datenschutz eingehalten werden.

Zwangsläufig haben Sie zu einigen Kollegen, mit denen Sie seit Jahren zusammenarbeiten, ein besseres Verhältnis als zu anderen. Wie sieht es mit Ihrer Nähe zu bestimmten Journalisten aus?

Es wäre unseriös, wenn ich sage würde: Jeder ist gleich. Natürlich habe ich ein anderes Verhältnis zu Journalisten, mit denen ich seit Jahren gut zusammenarbeite. Mit denen gehe ich auch mal essen oder man trifft sich auf ein Bier. Das Ganze läuft unter dem normalen Begriff der Kontaktpflege. Das heißt aber nicht, dass ich die besser behandele oder ihnen Geschichten stecke, an denen bereits andere arbeiten. Ich bin ein großer Verfechter der journalistischen Exklusivität. Natürlich gibt es aber auch im Apparat von Polizei und Justiz Einzelpersonen, die auch mal Geschichten durchstecken, ob nun aus Frust oder um sich wichtig zu machen.

  • Das Gespräch führte Jörn Breiholz

 

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