Ermessensspielraum beim Symbolfoto

Bild: Hermann Haubrich

Während der Pandemie kam es im Journalismus zu einem vermehrten Einsatz von Fotografien symbolischen Gehalts, seien es Masken oder Impfampullen. Damit stellt sich die Frage, wann und ob diese Bilder als „Symbolfoto“ gekennzeichnet werden müssen. Felix Koltermann ist dieser Frage für M ausgehend von den Regularien des deutschen Pressekodex nachgegangen.

Jahr für Jahr veröffentlichte der deutsche Presserat eine Übersicht der Entscheidungen über die von Leser*innen vorgebrachten Beschwerden. Laut Presserat gab es im Jahr 2021 nur fünf Beschwerden zum Thema Symbolfoto. Einer davon wurde stattgegeben und es wurde eine Missbilligung ausgesprochen, weil eine Zeitung eine Fotomontage nicht kenntlich gemacht hatte (0607/21/2). Ein Fotograf hatte Masken in die Gesichter von Polizisten bei einem Einsatz eingefügt. Miriam Scharlibbe, Vertreterin der dju in ver.di im Presserat, bestätigt den Eindruck, dass die Symbolfoto-Richtlinie bei den Diskussionen im Beschwerdeausschuss eine eher nachgelagerte Bedeutung hat. Sie führt dies darauf zurück, dass bei den Leser*innen als denjenigen, die den Presserat anrufen, das Thema nicht im Fokus steht. Stattdessen gehe es bei fotobezogenen Beschwerden häufig um Fragen der Verpixelung oder der Darstellung von Tod und Leid. Gefragt, ob sich dies mit den Erfahrungen aus ihrer journalistischen Arbeit als Chefredakteurin Content und Entwicklung beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag decke, erzählte sie, dass sich das Thema aus redaktioneller Perspektive genau anders herum darstelle. Dort sei die Nutzung von Symbolfotos ein ganz großes Thema. „Deswegen ist die Diskrepanz auch so interessant“, so Scharlibbe.

Eine begriffliche Annäherung

Grundsätzlich hat der Begriff Symbolfoto zwei Bedeutungen. So ist er zum einen in Bezug auf das Bild selbst zu finden, zum anderen in Bezug auf die Bildverwendung. Der Duden gibt mehrere Definitionen für den Begriff Symbol, unter anderem Sinnbild worunter „etwas (eine konkrete Vorstellung, ein Gegenstand, Vorgang o. Ä.), was als Bild für einen abstrakten Sachverhalt steht“ verstanden wird. Ein Beispiel wäre eine Taube als Symbol des Friedens oder eine medizinische Schutzmaske ein Symbol für Corona. Die Herausforderung bei der Arbeit mit Symbolen besteht darin, komplexe gesellschaftliche, politische, soziale oder wirtschaftliche Themenfelder in einem Bild zu visualisieren, ohne der Gefahr der Stereotypisierung zu erliegen. Wobei mit einem Symbol grundsätzlich immer eine Vereinfachung und Reduzierung eines Sachverhalts einhergeht. Die Produktion von Symbolfotos ist dabei schon immer Teil des Fotojournalismus, bekannt auch als Schmuckbilder oder Featurefotografie. Heute ist auch der Bereich der Stockfotografie dazuzurechnen, der zwar primär kein journalistisches Bildmaterial erstellt, aber immer öfter im Journalismus Verwendung findet. Im alltäglichen Sprachgebrauch findet sich darüber hinaus die Redewendung, dass eine bestimmte Fotografie zu einem Symbolbild für einen bestimmten sozialen oder politischen Zusammenhang beziehungsweise ein Ereignis geworden ist. Dies gilt etwa für den Kniefall von Willy Brandt in Warschau als Symbol für die Entspannungspolitik der 1970er Jahre.

Symbolbild: Pixabay

Die zweite Bedeutungsebene des Begriffs Symbolfoto betrifft das Bild-Text-Verhältnis und eine sich aus einer redaktionellen Verwendung von Fotografie möglicherweise ergebende Kennzeichnungspflicht. Es geht dabei um die Schnittstelle redaktioneller Arbeit mit dem Editorial Design bzw. dem täglichen Zeitungs- und Zeitschriftenlayout. Damit rückt die grundsätzliche Frage nach den Funktionen von Bildern im Journalismus in den Mittelpunkt. So kann ein und dasselbe Bild in unterschiedlichen publizistischen Kontexten andere Bedeutungen annehmen. Michael Ebert und Lars Bauernschmitt unterscheiden im Handbuch des Fotojournalismus drei verschiedene Bildfunktionen: die illustrative, die journalistische und die dramaturgische Funktion. Laut Ebert und Bauernschmitt kommen Symbolfotos vor allem dann zum Einsatz, wenn sie in dramaturgischer Funktion eingesetzt werden, sei es um eine Seite aufzulockern oder als Aufmacher zu fungieren. Das Foto wirkt dann „als Icon, also ähnlich einer Schlagzeile, symbolhaft, als extrem verkürzte Darstellung des dazugehörigen Artikels“. Dabei besteht das Risiko, dass Leser*innen eher die vereinfachte, mit dem Bild visualisierte Information abspeichern, als das komplexe über den Text vermittelte Geschehen. 

Symbolfoto im Pressekodex

Im Pressekodex des deutschen Presserats findet sich der Begriff „Symbolfoto“ seit Anfang der 1990er Jahre. Dort heißt es seitdem in Ziffer 2: „Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden“. Die Ziffer 2 steht unter dem Oberbegriff der Sorgfalt, die auf journalistischer Recherche fußt. Dahinter steht der Gedanke, dass „zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik (…) mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen“ sind. Die Wiedergabe dieser Informationen soll „wahrheitsgetreu“ erfolgen, d.h. ihr „Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden“. Was dies konkret für das Symbolfoto heißt, wird in der Richtlinie 2.2. konkretisiert (siehe Kasten). Ziel der Richtlinie ist der Schutz der Leser*innen sowie deren Interesse an wahrhaftiger Information. In Bezug auf das Bild beziehungsweise die Fotografie wird mit wahrhaftiger Information ein durch das Bild hergestellter Bezug zur Realität verstanden. Wo die Kennzeichnung angebracht wird, darüber gibt es keine Vorgaben. In der Regel wird dies zusammen mit der Quelle in die Klammer hinter der Bildunterschrift beziehungsweise der Caption gesetzt.

Richtlinie 2.2 – Symbolfoto

Kann eine Illustration, insbesondere eine Fotografie, beim flüchtigen Lesen als dokumentarische Abbildung aufgefasst werden, obwohl es sich um ein Symbolfoto handelt, so ist eine entsprechende Klarstellung geboten. So sind
– Ersatz- oder Behelfsillustrationen (gleiches Motiv bei anderer Gelegenheit, anderes Motiv bei gleicher Gelegenheit etc.)
– symbolische Illustrationen (nachgestellte Szene, künstlich visualisierter Vorgang zum Text etc.)
– Fotomontagen oder sonstige Veränderungen
deutlich wahrnehmbar in Bildlegende bzw. Bezugstext als solche erkennbar zu machen.

Laut Duden ist eine Illustration eine „veranschaulichende Bildbeigabe zu einem Text“. Dies trifft ziemlich genau den Sachverhalt bezogen auf die Bildverwendung im Journalismus, geht es doch um das Bild-Text-Verhältnis und die Funktion, die der Fotografie dabei zukommt. Der Pressekodex unterscheidet zwei Formen von Illustrationen: Ersatz- oder Behelfsillustrationen und symbolische Illustrationen. Während es bei Ersatz- oder Behelfsillustrationen noch einen tatsächlichen Realitätsbezug gibt, weil etwa ein „gleiches Motiv bei anderer Gelegenheit (oder ein) anderes Motiv bei gleicher Gelegenheit“ gezeigt wird, geht es bei symbolischen Illustrationen um „nachgestellte Szene(n)“, mithin also Formen inszenierter Fotografie. Dies trifft etwa auf die Stockfotografie zu. 

Eine dritte Gruppe von kennzeichnungspflichtigen Bildern sind Fotografien, an denen Veränderungen vorgenommen wurden, also digital in den Bildinhalt eingegriffen wurde. Dies betrifft etwa Fotomontagen, also das Zusammenfügen verschiedener Bilder zu einem einzigen Bild bzw. das Wegretuschieren oder Hinzufügen von Elementen in einer digitalen Fotografie. 

Foto: Kay Herschelmann

Entscheidend für die Frage der Kennzeichnung ist, ob das Bild „beim flüchtigen Lesen als dokumentarische Abbildung aufgefasst werden“ kann. Hier wird die Perspektive der Leser*innen und deren Wahrnehmung der Veröffentlichung in den Vordergrund gestellt. „Flüchtiges Lesen“ lässt sich so interpretieren, dass jemand beim Blättern durch eine Zeitung oder beim Scrollen durch die Website eine mit einem Text platzierte Fotografie in Zusammenhang mit dessen Inhalt stellt, obwohl die Fotografie einem anderen Kontext entstammt. Wenn diese dann „als dokumentarische Abbildung aufgefasst werden kann“, ist eine Kennzeichnung nötig. Ist aber etwa eine abstrakte und symbolische Bedeutung direkt ersichtlich, kann auf eine Kennzeichnung verzichtet werden. 

Einordnung

Der Pressekodex ist eine Selbstverpflichtung deutscher Medien. Er stellt insofern also keine Rechtsnorm dar. Aus juristischer Perspektive wird das Thema nach Aussage des Medienanwalts Jasper Prigge erst dann relevant, wenn durch eine Nichtkennzeichnung konkrete Fotografie bezogene Rechtsnormen verletzt werden, etwa das Recht am eigenen Bild oder andere Persönlichkeitsrechte. Deswegen weist Prigge darauf hin, dass sich aus der Symbolfoto-Richtlinie keine „objektive Verpflichtung“ zu einer Kennzeichnung ableiten lasse. Darüber hinaus gibt es seiner Ansicht nach keine feste Definition dessen, was ein Symbolfoto ist. „Darüber darf und muss gestritten werden“, so der Anwalt weiter. Es geht hier also ganz entscheidend um eine Frage der Abwägung.

Neue Herausforderungen

Als die Symbolfoto-Richtlinie in den Pressekodex aufgenommen wurde, steckte der digitale Journalismus noch in den Kinderschuhen. Referenz war die Printseite, mit klar zuordenbaren Bildunterschriften für jede publizierte Fotografie. Anpassungen der Symbolfoto-Richtlinie gab es laut Presserat in den vergangen 25 Jahren keine. Heute finden sich im Journalismus jedoch Fotografien auf allen möglichen Ausspielkanälen. Eine Herausforderung sieht Miriam Scharlibbe vom Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag im Phänomen Teaserbild. Denn wenn die Kennzeichnung sich etwa im Bildcredit befinde, sei diese erst beim Öffnen des Artikels, nicht jedoch auf der Ebene des Teaserbildes zu sehen. Deswegen, so Scharlibbe weiter, sei auch die Richtlinie nur bedingt ausreichend für den digitalen Journalismus von heute und müsse angepasst werden. Ganz entscheidend betrifft dies das Ausspielen journalistischer Inhalte in den sozialen Netzwerken, da dort in der Regel nicht die kompletten Artikel publiziert werden. Was dies für die Kennzeichnungspflicht als Symbolbild bedeutet, ist ungeklärt.

Ausblick

Nicht wegzudiskutieren ist, dass es bei der Symbolfoto-Thematik einen großen Ermessensspielraums gibt. Der Umgang damit ist elementarer Teil des journalistischen Alltagsgeschäfts. Die Hürde für Rügen durch den Presserat liegt hoch, muss doch eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nachgewiesen werden können. Auf die Frage hin, ob heute nicht eigentlich jedes symbolisch verwendete Bild als „Symbolfoto“ gekennzeichnet werden müsste, antwortet Medienanwalt Prigge, dass er dies für übertrieben hält. Er weist jedoch darauf hin, dass entscheidend ist, welcher Eindruck bei den Leser*innen erweckt werde. Presseratsmitglied Scharlibbe kann sich durchaus mehr Kennzeichnung vorstellen. Für nötig hält sie mehr Handlungsempfehlungen für Journalist*innen zum Umgang mit Bildern, da sich die Wege in den Beruf verändert haben und nicht mehr davon auszugehen ist, dass alle in den Volontariaten das gleiche Rüstzeug erlernt haben. Angesichts ausufernder Bildpublizistik im digitalen Journalismus bleibt also einiges zu tun. 

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