Film: Ausbildung von Nachwuchs verpennt

Kurzfilmproduktion bei Nacht Foto: Archivbild/Shutterstock/Faboi

Immer öfter müssen Film- und Fernsehproduktionen verschoben werden, weil die Unternehmen nicht genug Personal für die Jobs hinter der Kamera bekommen. Betroffen sind dabei nicht die akademischen Positionen wie Regie oder Kamera, sondern vor allem der Unter- und Mittelbau. Die Misere ist hausgemacht, weil die Branche die geregelte Nachwuchspflege jahrzehntelang sträflich vernachlässigt hat.

Konkrete Zahlen gibt es nicht, aber die Lage sei ernst, versichert Juliane Müller. Sie ist bei der Allianz der deutschen Film- und Fernsehproduzenten Geschäftsführerin einer Initiative für Qualifikation (PAIQ), die dazu beitragen soll, den Fachkräftemangel zu beheben. Natürlich sei es schön, „dass die Auftragslage so groß ist und die Nachfrage sogar noch weiter steigt, aber gleichzeitig wird die momentane Situation noch verschärft, weil viele Produktionen nicht wie geplant realisiert werden können.“

Oliver Zengleins Mitgefühl hält sich in Grenzen, denn das Problem, sagt er, sei hausgemacht. Der Geschäftsführer der Münchener Internetplattform Crew United wirft der Branche vor, den Ausbildungsbereich viel zu lange vernachlässigt zu haben. Und das räche sich jetzt: „Für die wenigsten Filmberufe gibt es ein Aus- oder Weiterbildungskonzept, von Berufsbildern oder verbindlichen Standards ganz zu schweigen.“ Aber auch die Auftraggeber, allen voran die Fernsehsender, hätten ihren Anteil an der Misere: „Die Budgets sind in den letzten Jahren immer knapper geworden. Deshalb gibt es bei der Arbeit an einem Film einen derartigen Druck, dass für die Weitergabe von Wissen überhaupt keine Zeit mehr bleibt.“

Glamour reicht nicht mehr

Laut Zenglein herrscht in den Bereichen Drehbuch, Regie, Kamera und Produktion, den akademischen Berufen also, kein Mangel. Beim „Mittel- und Unterbau“, also etwa bei der Filmgeschäftsführung, in Requisite, Garderobe, Maskenbild oder bei der Aufnahmeleitung umso mehr. „Die Branche hat sich darum nie gekümmert, weil sie sich immer darauf verlassen konnte, dass sich genug Leute finden, die zum Film wollen und bereit sind, sich für einen Hungerlohn ausbeuten zu lassen. Die Ausbildung, wenn man das überhaupt so nennen will, hat sich nebenbei ergeben.“

Die aktuelle junge Generation sei jedoch nicht mehr bereit, sich auf massive Überstunden, Arbeit am Wochenende und an Feiertagen, miserable Bezahlung und eine schlechte soziale Absicherung einzulassen: „Früher hat der Glamourfaktor als Ausgleich genügt, aber die Zeiten sind vorbei.“ Die Filmbranche, bestätigt Müller, „war traditionell so attraktiv, dass es nie nötig war, Nachwuchs anzuwerben. Deshalb sind wir auch keine klassische Ausbildungsbranche. Berufe wurden im ‚Learning by doing’ erlernt, Nachwuchs kam über Praktika, es gab immer schon Quereinsteiger. Diesen Weg wollen junge Menschen heute oft nicht mehr gehen, sie erwarten eine konkrete Ausbildung mit Abschluss.“

Hinzu kommt, ergänzt Zenglein, „dass ein großer Teil des Personals die Branche spätestens mit 50 Jahren verlässt, weil man sich diese Bedingungen nicht mehr antun will.“ Er geht davon aus, dass sich die Misere wegen des Erfolgs der Streamingdienste, die vermehrt auch deutsche Serien in Auftrag geben, noch verschärfen werde: „Wenn Netflix Personal für eine Serie sucht, kann man sich darauf verlassen, dass das Budget steht und man für die nächsten sechs Monate beschäftigt ist. Weil die Serien Kinoqualität haben, sind diese Jobs doppelt begehrt, zumal die Bezahlung deutlich besser ist als bei einem Fernsehfilm für ARD oder ZDF. Entsprechend viele gute Leute sind also ein halbes Jahr weg vom Markt.“ Darunter litten auch die künstlerisch anspruchsvollen, aber mit wenig Geld produzierten Kinofilme: „Bei denen dauert es ohnehin regelmäßig ewig, bis die Finanzierung steht, weil erst mal diverse Fördermittel eingesammelt werden müssen, weshalb der Drehstart immer wieder verschoben wird. Aber gerade im ambitionierten Kinobereich sollten die besten Leute arbeiten, denn diese Filme sind wesentlich für unsere Kultur.“

Gegensteuern mit Quereinsteigern

Immerhin ist die Branche dabei, mit verschiedenen Initiativen gegenzusteuern. Die zum Bertelsmann-Konzern gehörende UFA, eins der größten und renommiertesten deutschen Medienunternehmen, will dem personellen Notstand mit der im Mai startenden „UFA Academy“ begegnen. Die Ausbildung dort soll zwei Jahre dauern. Im Fokus stehen unter anderem die Bereiche Aufnahmeleitung, Regieassistenz und Filmgeschäftsführung. Das Angebot richtet sich ausdrücklich an Ältere und Quereinsteiger. Bewerben können sich Menschen, die zwischen 25 und 60 Jahre alt sind und sich beruflich neu- beziehungsweise umorientieren möchten. Erfahrungen in der Medienbranche, versichert UFA-Personalmanagerin Janna Bardewyck, seien tatsächlich nicht nötig: „Ein Quereinstieg ist sogar relativ unkompliziert.“ Bestimmte Branchen eigneten sich besonders gut für einen Wechsel, weil daraus sehr viel Expertise für konkrete Positionen in der Filmproduktion mitgebracht werden könnten: „Wer zum Beispiel eine Ausbildung bei einer Bank oder einer Versicherung absolviert hat, weiß vermutlich gar nicht, dass dies eine sehr gute Grundlage ist, um im administrativen Bereich einer Produktion arbeiten zu können.“

Die Produzentenallianz wird Ende Februar einen „Career Guide“ herausgeben. Herzstück der Broschüre ist laut Müller eine bundesweite Übersicht über Aus- und Weiterbildungs- sowie Studienmöglichkeiten. Aus der entsprechenden Website soll sich eine Plattform entwickeln, auf der sich Bildungseinrichtungen und auszubildende Unternehmen präsentieren können. Darüber hinaus seien jedoch auch flankierende Maßnahmen nötig: „Wir müssen viel aktiver werden und die Kooperation mit Schulen und Hochschulen suchen sowie auf Karrieremessen präsent sein.“ Zenglein kritisiert, dass sich die Produktionsunternehmen nie die Mühe gemacht hätten, den Arbeitsplatz Film mit einem positiven Image zu versehen. Müller könnte sich eine Werbekampagne vorstellen, die die Branche als zukunftsfähigen Arbeitgeber sichtbar macht. Das würde helfen, bestätigt Zenglein, aber den dringenderen Handlungsbedarf sieht er in der Praxis: „Es müssen sich vor allem die Ausbildungsstrukturen ändern.“

 

 

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