Immer häufiger versuchen Politiker, die Recherchearbeit von Enthüllungsjournalisten zu unterlaufen: durch Veröffentlichung
Der Frankfurter „Spiegel“-Korrespondent Wilfried Voigt ist ein Mann mit Manieren. Im Mai dieses Jahres wurde Voigt ein Stapel dubioser Rechnungsbelege aus der Buchführung der rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsfraktion zugespielt. Die Belege nährten den Verdacht, dass der Mainzer CDU-Oppositionsführer Christoph Böhr seit Jahren in die Fraktionskasse gegriffen hatte, um die laufende Parteiarbeit der klammen Landes-CDU zu bezahlen. Was ein klarer Verstoß gegen die einschlägigen Fraktionsgesetze und die Landesverfassung wäre.
„Ich bin auf einige Zahlungsvorgänge gestoßen“, ließ der „Spiegel“-Korrespondent den „sehr geehrten Herrn Böhr“ am 3. Mai dieses Jahres wissen, „die mir klärungsbedürftig erscheinen“. Penibel hielt Voigt dem CDU-Politiker Böhr, der in Personalunion als Partei- und Fraktionschef der rheinland-pfälzischen Christdemokraten amtiert, zwölf heikle Buchungsbelege vor und bat ihn freundlich „zur Klärung des Sachverhaltes beizutragen“.
Statt an den „Spiegel“-Mann wandte sich Böhr Tags darauf zunächst in einer Fax-Rundsendung an alle in Mainz akkreditierten Journalisten der Landespressekonferenz (LPK) Rheinland-Pfalz. Mit einer fünfzeiligen Pressemitteilung versandte die CDU-Pressestelle die dreiseitige Recherche-Anfrage des „Spiegel“. Die Anfrage des Hamburger Nachrichten-Magazins sei der „untaugliche Versuch“, die CDU-Fraktion im Mainzer Landtag „zu kriminalisieren“, bellte Böhr und stellte sich selbst einen Persilschein aus: „Die Verdächtigungen gehen ins Leere. Sie haben sich als haltlos herausgestellt.“ Zugleich schaltete Böhr die Mainzer Staatsanwaltschaft ein, um die Vorwürfe „zu überprüfen“.
Dem Rechercheur Voigt ließ Böhr von seinem Pressesprecher Thomas Bippes in einem grußlosen Fax ausrichten: Die Fraktion hält sich an Recht und Gesetz. Ausgaben erfolgen ausschließlich zur Erfüllung von Aufgaben der Fraktion.“ Die zwölf Fragen des „Spiegel“ ließ Böhr vollständig unbeantwortet.
Als sich Voigt daraufhin erneut zum Thema „unzulässige Ausgaben der Fraktion“ mit einer mehrteiligen Anfrage an Böhr wandte, flegelte dessen Sprecher Bippes via Pressemitteilung los: „Spiegel, die X-te“. In der Anlage versandte er auch die zweite Anfrage Voigts per Fax-Rundsendung. Seinen ungewöhnlichen Schritt, Journalisten-Recherchen publik zu machen, begründete der Böhr-Sprecher mit Gefahr im Verzuge: „Hier soll die Öffentlichkeit instrumentalisiert werden.“
Immer häufiger versuchen Spitzenpolitiker, unangenehme Recherchen zu unterlaufen, in dem sie diese ganz ungeniert publik machen. Während der sogenannten „Flugaffäre“ in Nordrhein-Westfalen landeten Anfragen von „Spiegel“ und „Focus“ an die von SPD-Regierungschef Wolfgang Clement geführte Landesregierung regelmäßig in den Redaktionen regierungsnaher Blätter. Clements PR-Berater versuchten, die Detonation immer neuer Enthüllungsbomben in der Flug-Affäre frühzeitig abzudämpfen. In den ihnen gewogenen Blättern sicherte sich die Landesregierung so die Deutungshoheit der undurchsichtigen Vorgänge um die sozialdemokratische Filz-Connection bei der Westdeutschen Landesbank (WestLB).
Auch der sächsische CDU-Regierungschef Kurt Biedenkopf lancierte auf dem Höhepunkt der jüngsten CDU-Parteispendenaffäre eine komplette Recherche-Anfrage des „Spiegel“ an die Öffentlichkeit. „Eine ungewöhnliche Form der Vorwärtsverteidigung“, urteilte die Süddeutsche Zeitung (SZ), „die Fragen von Journalisten werden zum eigentlichen Übel erklärt“. Biedenkopf selbst begründete seinen bis dahin unter Politikern einigermaßen ungewöhnlichen Schritt damit, dass er bei Diktion und Inhalt der „Spiegel“-Fragen davon ausgehen müsse, „dass meine Antworten unvollständig oder entstellt wiedergegeben“ würden. Außerdem wolle er nicht hinnehmen, dass man ihn als Ministerpräsident des Freistaates Sachsen verdächtige, „seine Pflichten gegenüber dem Land zu vernachlässigen.“
Im Zweifel geht es Politikern immer und überall nur um das Wohl des Landes. Dabei wollen sie in aller Regel aber ihren eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen. Vollmundig kündigte der wegen seiner dubiosen Finanzpraktiken in arge Bedrängnis geratene Mainzer CDU-Oppositionsführer Böhr an, dass er auch künftig Rechercheanfragen rücksichtslos öffentlich machen werde, wenn er seine Fraktion und Partei zu Unrecht beschuldigt sehe.
Der Sprecher der rheinland-pfälzischen LPK, Joachim Winkler („Trierischer Volksfreund“) sieht in dem Böhr-Verstoß einen „eklatanten Vertrauensbruch“. Mit der Veröffentlichung der Recherche-Fragen des Hamburger Nachrichten-Magazins habe der CDU-Politiker nicht nur eine Vorab-Berichterstattung zu noch nicht veröffentlichten Artikeln provoziert, sondern zudem auch Namen an die Öffentlichkeit gebracht, die in der Berichterstattung des „Spiegel“ selbst gar keine Rolle gespielt hätten, klagte LPK-Sprecher Wagner.
Die Zusammenarbeit zwischen Böhr und den in Mainz akkreditierten Journalisten gilt seit längerem schon als ausgesprochen strapaziert. Böhr riskiere mit seinem mehr als fragwürdigen Verhalten, sagte Wagner, dass er künftig bei Recherchen erst gar nicht mehr mit gegen ihn im Raum stehenden Vorwürfen konfrontiert werde. „Aber das kann weder in seinem noch in unserem Sinne sein.“