Geahnt hatte sie es irgendwie schon, da manchmal obskure Personen ihre Arbeit beobachteten – doch nach der Gewissheit sitzt der Schock tief: Die Hamburger Fotojournalistin Marily Stroux ist seit mehr als 25 Jahren im Visier des Inlandsgeheimdienstes. Das hat das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz ihr auf Anfrage bestätigt. Und nicht nur das: Auch die verdeckte Staatsschutz-Ermittlerin des Hamburger Landeskriminalamtes mit dem Tarnnamen „Maria Block“ hat zumindest in den Jahren 2008 bis 2012 Berichte über Strouxs Arbeit und Umfeld in der linken Szene angefertigt und auch an den Verfassungsschutz weitergeleitet.
31 Anlässe und Aktionen haben die Geheimdienstler in ihrem Dossier über Stroux aufgelistet, die den Agenten verfassungsfeindlich vorkommen und die im nachrichtendienstlichen Informationssystem der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern „Nadis“ gespeichert sind. „Fast alles ganz normale Termine, die ich als Journalistin und als Fotografin für die taz Hamburg wahrgenommen habe“, erläutert Stroux.
Als offiziellen Grund dafür, dass Stroux mindestens seit 1988 bezichtigt wird, an „linksextremistischen Bestrebungen beteiligt“ gewesen und „zu einer bedeutenden Personen innerhalb der linksextremistischen Szenen“ geworden zu sein, nennt der Verfassungsschutz ihr Engagement im „Initiativkreis für den Erhalt der Hafenstraße“. Diesem parteiübergreifenden Zusammenschluss gehörten Mitte der 1980er-Jahre Richter, Anwälte, Promis, Politiker, Polizisten, Pastoren, Künstler und Hochschulprofessoren an. Der Kreis hat sich damals für den Erhalt der besetzten Häuser am Hamburger Hafenrand eingesetzt.
Doch dieses Engagement im Initiativkreis dürfte nur vorgeschoben sein, da der Verfassungsschutz durchaus einräumt, nicht alle gespeicherten Daten in dem Dossier preiszugeben und andere Berichte als Verschlusssache anzusehen, „weil durch die Auskunft die Nachrichtenzugänge des Landesamtes gefährdet sein könnten, die Ausforschung der Arbeitsweise zu befürchten ist“.
Denn von besonderen Interesse für den Inlandsgeheimdienst war offenbar vor allem Strouxs Arbeit während der heißen Phase im Konflikt um die Hafenstraße gewesen, als der Hamburger Verfassungsschutz-Chef Christian Lochte 1985 wider besseren Wissens –
wie er später einräumte – die Kommandozentrale der Roten Armee Fraktion in der Häuserzeile ausgemacht haben wollte. Denn Stroux gehörte zu den ganz wenigen Journalist_innen, die während des Bürgerkriegsszenarios und der legendären „Barrikadentage“ 1987 Zugang zu den Bewohner-innen und den verbarrikadierten Häusern hatten. Hier liefen die politischen Fäden zusammen, als sich SPD-Parteichef Jochen Vogel oder Bundespräsident Richard von Weizsäcker um eine Vermittlung bemühten.
Für Insider der Materie war klar,dass der Konflikt mit dem Befriedungsvertrag zwischen der Hafenstraße und Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) nicht zu Ende gehen würde. Deshalb verfolgte Stroux die weiteren Entwicklungen um die Hafenstraße fotografisch weiter hautnah. Später sollte sie für ihre Fotodokumentation „Das Leben in der Hafenstraße“ Auszeichnungen der Hochschule für bildende Künste und der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg bekommen.
Dass zur Arbeit einer politisch engagierten Fotografin, die über Menschen aus gesellschaftskritischen Kreisen berichtet, auch das Vertrauen und die Akzeptanz dieser Menschen gehört, ist den Geheimdiensthirnen offensichtlich suspekt. Selbst wenn es sich um Gruppierungen handelt, die sich gegen die Gentrifizierung der Städte oder für ein humanes Leben von Geflüchteten einsetzen – so die Initiative „Kein Mensch ist illegal“, deren Arbeit Stroux jahrelang begleitete und unterstützte. Auch für ihr journalistisches Engagement für Geflüchtete auf den Flüchtlingsschiffen im Hamburger Hafen Anfang der 1990er Jahre, was der Verfassungsschutz kriminalisiert, ist Stroux von den Wohlfahrtsverbänden prämiert worden. So gibt es detaillierte Berichte in Strouxs Geheimdienstdossier über Aktionen gegen die Innenministerkonferenz in Hamburg 2010, der Gründung der „Antira Kneipe“ in der Hafenstraße oder über inhaltliche Differenzen bei dem internationale „No Border Camp“ 2009 auf der griechischen Insel Lesbos, wo auch die Staatsschützerin Maria Block zugegen war.
Sogar, dass sich die freie Fotografin 2007 erfolgreich gegen die Verweigerung ihrer Akkreditierung zum G-8-Gipfel in Heiligendamm vor dem Verwaltungsgericht Berlin zur Wehr setzte, um für eine griechische Zeitung berichten zu können, taucht in dem 31 Punkte umfassenden Dossier als verfassungsfeindliche Handlung auf.
In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei in der Hamburgischen Bürgerschaft verharmlost der rot-grüne Senat die Bespitzelung von Strouxs Arbeit: Der Inlandgeheimdienst „beobachtet keine Person aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit, sondern aufgrund ihrer extremistischen Aktivitäten“, schreibt der Senat. Und auch, dass die Undercover Staatsschützerin Maria Block sie unter anderem bei dem „No Border Camp“ auf Lesbos observierte, gehe in Ordnung, „da die Beamtin nicht gezielt gegen bestimmte Personen eingesetzt war“, schreibt der Senat. Bedenklich sei aber „aus heutiger Sicht die Weitergabe der Einsatzberichte der Beamtin“ an den Verfassungsschutz, so der Senat, denn eine Übermittlung sei nur zulässig gewesen, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten bestehen“.
Stroux hält ihre langjährigen Überwachung durch den Verfassungsschutz für lächerlich: „Vor was haben die eigentlich Angst?“, fragt sie. „Während die Nazis ungestört Flüchtlingsunterkünfte angreifen und Menschen ermorden, werden Menschen, die antirassistische Arbeit leisten, verfolgt, observiert und kriminalisiert.“ Doch diese Methodik der Kriminalisierung durch den Inlandsgeheimdienst hält die 65-Jährige gebürtige Griechin für gefährlich: „Wenn ich eine junge Krankenschwester auf Jobsuche wäre, dann wäre so ein Papier tödlich.“ Marily Stroux hat die Löschung der Daten beim Verfassungsschutz beantragt – was sehr lange dauern würde, war die Auskunft!