Fragilität des Vertrauens zum Foto

Bildforensik: Quellensuche und Aufdeckung von Täuschungen

Neben Editorial Design und bildredaktioneller Arbeit wurde beim digitalen Studientag am Studiengang Fotojournalismus der Hochschule Hannover ein spezieller Fokus auf die Bildforensik gesetzt. Quellensuche und Aufdeckung von Täuschungen – ein Arbeitsbereich für Bildredaktionen?

Prof. Dr. Winfried Gerling von der FH Potsdam Foto: Marcel Zeumer

Eine „Fragilität des Vertrauens zum Bild“ zeige sich seit den 1990er Jahren zunehmend, so Prof. Dr. Winfried Gerling (FH Potsdam). Zur Verifizierung von Bildquellen verwies er in seinem Vortrag neben verschiedenen technischen Methoden auf den gesunden Menschenverstand: „Vieles kann allein dadurch erkannt werden“. Darüber hinaus beleuchtete er Massendaten als Möglichkeiten komplexer Rekonstruktion, verwies auf investigative Verfahren mittels allgemein zugänglicher Hilfsmittel wie Satellitenauswertungen, Wetterkarten und Datumsangaben, auch auf die Auswertung von Kameradaten mittels spezieller Tools zur Geo-Lokalisation oder geeignete Software etwa zur Gesichtserkennung. Veränderungen an Originalfotos zu erkennen, sei mittels Raw-Daten möglich, da jede Kamera singuläre Datenspuren wie einen „Fingerabdruck“ hinterlasse und ein Pixelmuster erkennbar sei. Mit Hilfe von Raw-Daten habe etwa nachgewiesen werden können, dass am World Press Sieger-Foto „Gaza Burial“ von 2013 keine unzulässigen Veränderungen oder Montagen vorgenommen wurden.

Standards für Bildbearbeitung setzen

Im Zusammenspiel algorithmischer und menschlicher Formen der Überprüfung ließen sich Veränderungen in der Regel nachweisen. Gerling warb für Standards, die Erlaubtes und Unerlaubtes bei der Bildbearbeitung klar abgrenzten. Zumindest bei großen Agenturen wie AFP gäbe es bereits ein gewachsenes Problembewusstsein und die Regel, keine „substanziellen Veränderungen“ zu Lasten der Foto-Authentizität vorzunehmen. „Unbearbeitet“ sei „alles, was die Optik hergibt“, Bearbeitung geschähe heutzutage mittels Software. Alle erschließbaren Umstände von Bildproduktion einzubeziehen, erfordere ein Zusammenspiel von Mensch und Technik, Ort und Zeit. Dieses verändere sich zunehmend, da „vieles an Algorithmen delegiert“ werde.

Mit der Frage, ob „Bildforensik als bildredaktioneller Arbeitsbereich?“ zu sehen sei, befasste sich das anschließende Podium. Ronka Oberhammer von der Deutschen Welle, Max Biederbeck aus der AFP Faktenchek-Redaktion und Tobias Hamelmann vom G+J Quality Board gaben Einblicke in ihre tägliche Arbeit. Oberhammer erklärte, dass sie es „eigentlich nur mit Bildern aus Agenturen“ zu tun habe und ihr direkte Fälschungen deshalb nicht unterkämen. Selbst bei Breaking News verzichte man bei der Deutschen Welle in der Regel auf Bebilderung aus den Sozialen Medien. Einen besonderen Prüfauftrag sah sie dagegen bei Fotos von „embedded journalists“, aus Agenturen oder gar Regierungsquellen bestimmter Staaten.

In falschem Zusammenhang

Sehr anders die Erfahrungen beim AFP-Faktenchecker: Biederbeck berichtete von Fakes wie Bildern aus dem vermeintlich durch Flüchtlinge selbst niedergebrannten griechischen Lager Moria. Durch Screenshots vom Video habe sich mit Hilfe einer Rückwärtssuche auf Plattformen rechter Gruppen und mit Google Maps feststellen lassen, dass angebliche „Beweisbilder“ schon Jahre zuvor bei Zwischenfällen an der türkisch-griechischen Grenze aufgenommen worden waren. Zur Prüfung von Manipulationen und Fälschungen stünde heute ein umfangreiches Arsenal an Software und Verification Tools zur Verfügung, die im Grunde „jeder“ anwenden könne.

Die AFP-Faktenchecker arbeiteten als unabhängige Dienstleister für unterschiedliche Medien, Hauptauftraggeber sei jedoch Facebook. „Wir löschen nichts, wir setzen Gegeninformationen“, erläuterte Biederbeck. Aktuell seien er und seine Kolleg*innen vorrangig gegen Corona Fake News im Einsatz. Mitunter seien Bilder aber so wirkmächtig, dass die Widerlegung der Täuschung öffentlich kaum durchdringe. Insofern habe man es schon mit einem „mächtigen Gegner“ zu tun. Getroffene reagierten mitunter „mit wüsten Beschimpfungen, auch tiefnachts“. Oft brauche es aber „gar keine gefälschten Bilder, um falsche Meldungen zu erzeugen“, es reiche, sie in einen falschen Zusammenhang zu stellen. Das bestätigte auch Tobias Hammermann von Gruner + Jahr. Im 40-köpfigen Quality Board betätige sich etwa die Hälfte als Faktenchecker. Ihre Prüfung beträfe jedoch sowohl Texte als auch Bilder und deren Zusammenwirken in Medien wie „GEO“, „Stern“, „Spiegel“ und anderen Verlagsveröffentlichungen. Hier arbeiteten Urheber*innen in der Regel „willig“ mit. Verifikation gelte als „zusätzliches Qualitätsmerkmal“, doch sei dabei noch „Luft nach oben“.

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