Interview mit Grit Hartmann, Mitbegründerin des „Sportnetzwerk“
M | Als chinesische Militärs Ende März in Tibet gegen Aufständische vorgingen, wurden westliche Journalisten aus Tibet ausgewiesen. Ein Vorgeschmack auf das, was den Medien während der Olympischen Spiele blüht?
GRIT HARTMANN | Die Chinesen mussten entsprechend der Olympischen Charta freie Berichterstattung garantieren, aber sie halten sich schon jetzt nicht daran. Sie können zum Beispiel nicht mit jemandem sprechen, der unter Hausarrest steht – eine illegale Maßnahme auch nach chinesischem Recht, die aber Bürgerrechtler, Schriftsteller, Anwälte regelmäßig trifft. In Peking wollte ich die Frau des gerade wegen Subversion verurteilten Bürgerrechtlers Hu Jia, Zeng Jinyan, sprechen. Der Guobao, der Staatssicherheitsdienst, wehrt am Hauseingang ab. Da nutzt es gar nichts, wenn Sie den Herren den Ausrichtervertrag für Olympia vor die Nase halten. Ich habe aber auch Regimekritiker gesprochen, das ist möglich. Generell gilt, was die Chinesen angekündigt haben: Pressefreiheit für westliche Medien meint Berichterstattung „im Rahmen der chinesischen Gesetze“. Die definiert die Kommunistische Partei je nach Bedarf. Die Grenzen erfährt man aber nur, indem man so genannte sensible Themen angeht – vorausgesetzt, man hält das für notwendig.
M | Sie waren selbst Ende 2007 und jetzt im März einige Wochen in China. Wie lautet Ihre Bilanz?
HARTMANN | Das lässt sich kaum in wenigen Sätzen sagen. Vielleicht so: China ist ein Land mit vielen Hinterzimmern und deshalb spannend. Hinter den modernen Fassaden regieren die Kader, auch den angeblich so liberalen Markt. Diese Führungsgeneration ist ungemein zynisch und pragmatisch, das heißt: Was ihr nutzt, nutzt „China“, ist in deren Augen moralisch. Legitimation schafft das im Westen dramatisch missverstandene Konfuzius-Revival, die neue Staatsideologie, mit ihrer Einteilung in willige Untertanen und „edle“ Obere, die, nebenbei, per se den „materiellen“ Europäern überlegen sind. Zweitens ist die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Normalität. Drittens: Trotz aller Repression – die Anfänge einer Zivilgesellschaft sind unübersehbar.
M | China will Olympia nutzen, um sich als moderne, leistungsfähige Nation zu präsentieren. Haben westliche Journalisten überhaupt eine Chance, hinter die Propaganda-Kulissen zu blicken?
HARTMANN | Selbstverständlich. Wenn sie herangehen, wie bei jeder Recherche: mit Hintergrundwissen, einem guten Blick für den Alltag und der nötigen Misstrauensschwelle gegenüber dem, was Offizielle erzählen … Womöglich ist das einfacher in China, die Propaganda ist offensichtlicher.
M | Ist nicht allein die Sprachbarriere ein schwer überwindbares Hindernis für eine qualifizierte Hintergrund-Berichterstattung?
HARTMANN | Wer sich in China keinen Dolmetscher leisten will, kann zu Hause bleiben.
M | Kann es so etwas wie eine „reine Sportberichterstattung“ ohne Politik angesichts der Menschenrechtssituation in China überhaupt geben?
HARTMANN | Sobald die Spiele beginnen, wird es auch um das Sportereignis gehen. Aber die Spiele waren nie etwas anderes als Politik, Wettbewerbe von Nationen zur Demonstration ihrer Stärke. Nur deshalb investieren Staaten ein Vermögen an Steuergeldern für Olympia. Was China angeht: Ich halte es gar nicht für Politik, über Menschenrechtsverletzungen im Namen der Spiele zu sprechen. Die Olympische Charta nimmt das International Olympic Committee (IOC) in die Pflicht, mit den Spielen der Wahrung der Menschenwürde zu dienen. Peking wird „gesäubert“, damit im August keine Kritiker mehr zu hören und keine Bettler zu sehen sind. Der Sport hätte die Pflicht, sich einzumischen.
M | Auch hierzulande wird gern auf die Notwendigkeit einer Trennung von Sport und Politik verwiesen, etwa im Kontext der Androhung eines Boykotts der Spiele. Wie beurteilen Sie die Position des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)?
HARTMANN | Sie ist hochgradig verlogen. Der DOSB verlangt Steuergelder für Sportförderung, für den Sportstättenbau, für Übertragungen der Öffentlich-Rechtlichen. Das sind politische Entscheidungen. 2007 gab es ein Menschenrechtspapier des DOSB-Präsidiums mit konkreten Forderungen etwa zur Amnestie politischer Gefangener in China. Gefolgt ist ihm nichts – stattdessen wird diskutiert, was auf den Bändchen stehen darf, die Athleten vielleicht tragen dürfen, das Problem also abgeschoben … Diese feige Haltung gilt auch für den Bundestag. Weder Parlament noch DOSB nehmen eigene Verantwortung wahr. Das hieße, öffentlich und klar gegenüber den jeweiligen chinesischen Pendants aufzutreten.
M | Der deutsche Doping-Experte Professor Werner Franke hat die elektronischen Medien, vor allem ARD und ZDF, zu einer konsequenten Ächtung von dopingverseuchten Sportarten (in Form eines Verzichts auf Live-Berichterstattung) aufgefordert. Ist das bei den Spielen in Peking vorstellbar?
HARTMANN | Diese Haltung teile ich nicht, auch wenn ich sie verstehe. Franke hat in den 40 Jahren, die er gegen Doping kämpft, zu viele Kollegen erlebt, die schlicht ihren Job nicht gemacht haben, statt dessen PR für ein Ereignis, also Komplizen waren. Aber Frankes Forderung impliziert den Abschied vom Journalismus. Nein, unser Job ist es, sichtbar zu machen, wozu dieser professionalisierte Hochleistungssport in Teilen pervertiert ist. Er ist ja eine Metapher auch für andere Bereiche der Gesellschaft: ein ungeheurer Lärm um Äußerliches, Körperkult und globales Milliardengeschäft, verseucht durch Drogen und Korruption. Wenn das Menschen anödet, sie dazu bringt, sich abzuwenden, entsteht Veränderungsdruck. Vielleicht.