Freiheit mit Risiken und Nebenwirkungen

Die Zahl der Freien und Solo-Selbstständigen wächst stetig. Sie prägen den aktuellen Wandel in der Arbeitswelt erheblich. In der Medienbranche befindet sich die Mehrzahl von ihnen seit Jahren in einer Abwärtsspirale. Lange gab es keine Honorarzuwächse. Dennoch ist Selbstständigkeit für viele eine Alternative zum Angestelltendasein. Jedoch muss um faire Arbeitsbedingungen und soziale Sicherung weiter gerungen werden – gemeinsam und mit ver.di.

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„Gebildet, frei und arm“ titelte das Handelsblatt am 13. Februar 2014, viele andere Medien gaben ähnliche Bewertungen ab. Die Debatte um die „digitalen Tagelöhner“, die „Medien-Bohème“ und die Freiheit, die viele Solo-Selbstständige mit Armut und ungesicherter Zukunft bezahlen, ging in die nächste Runde. Die Veröffentlichungen beriefen sich auf eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, nach der die Erwerbseinkünfte Solo-Selbstständiger deutlich geringer als die der abhängig Beschäftigten ausfielen. Und ein knappes Drittel, so die Studie, könne mit einem durchschnittlichen Bruttoverdienst von weniger als 13 Euro pro Stunde dem Niedriglohnsektor zugeordnet werden.

Foto: Michael Breuer
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Was nur am Rande erwähnt wurde, ist die extreme Spreizung der Einkommen: Während zum Beispiel freiberufliche TV-Moderatorenstars oder erfolgreiche Künstler/innen ihre Honorare frei verhandeln können und einige von ihnen sogar in der Millionärsliga rangieren, können auf Zeilenbasis arbeitende freie Journalist/innen nur noch überleben, wenn sie parallel lukrativere PR-Jobs annehmen. Während im IT-Bereich Stundenhonorare von 80 Euro eher die Untergrenze sind und Texter/innen bei Werbe- und Medienagenturen bis zu 500 Euro Tageshonorar einstreichen können, haben selbstständige Kurierfahrer nach Abzug ihrer eigenen Kosten oftmals gar nichts verdient. Ähnlich ergeht es unter anderem (oftmals unfreiwillig selbstständigen) Honorarkräften an Volkshochschulen, deren Netto-Einkommen trotz Vollarbeit nicht einmal das Existenzminimum deckt.
In der Medienbranche befindet sich die Mehrzahl der Freien seit mehr als zehn Jahren in einer Abwärtsspirale. Titel verschwinden, Zeitungsredaktionen werden zentralisiert, journalistisch gefüllte Sendezeiten entfallen, Agenturen schließen … zusätzliche Einkünfte durch Mehrfachverwertungen werden durch mangelnde finanzielle Beteiligung an den Nutzungsrechten im Internet extrem erschwert.

Druck auf Honorare wächst

 Foto: Michael Breuer
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Und der Druck auf die Honorare wächst weiter: Radio- und Fernsehsender vergeben ihre Aufträge immer häufiger an Produktionsfirmen – so kommen sie nicht in die Verlegenheit, viel beschäftigte Freie aufgrund von Scheinselbstständigkeit selbst anstellen zu müssen. Das Arbeits- und damit Einkommensvolumen für die einzelnen freien Mitarbeiter/innen schrumpft so und reicht bei vielen nicht mehr zum Überleben. Parallel wachsen die Arbeitsanforderungen. Zum Radiobeitrag gleich noch einen Text für online mit zu liefern, ist mittlerweile an der Tagesordnung.
Ähnlich läuft es bei den Printmedien: Zeilenhonorare von 13 bis 15 Cent sind bei Tageszeitungen mittlerweile weit verbreitet. Hier gelang es zwar nach jahrelangen Verhandlungen 2010, eine Untergrenze mittels der gemeinsamen Vergütungsregeln unabhängig von Tarifzugehörigkeiten einzuziehen. Doch diese Mindesthonorare lassen sich nicht flächendeckend durchsetzen: Jede/r einzelne Freie müsste sein/ihr Recht selbst durchsetzen – davor schrecken viele aus Angst vor dem Verlust von Aufträgen zurück.
Kurzum: Für Vogelfreie gab es seit Jahren keine Honorarzuwächse – ganz gleich, ob auf Zeilen oder Foto, Arbeitsstunden oder Projekte bezogen.
Einen Lichtblick gibt es bei den (arbeitnehmerähnlichen) so genannten Fest-Freien in diversen Bundesländern. Sie sind durch einen Tarifvertrag erfasst und haben in einigen Rundfunkanstalten Mitbestimmungsrechte.

30.000 Solos in ver.di

 Foto: Michael Breuer
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Dennoch ist eine freie oder selbstständige Arbeit für immer mehr Menschen eine Alternative zum Angestelltendasein: Seit Anfang der 1990er Jahre ist die Zahl der Solo-Selbständigen in Deutschland laut DIW kräftig auf derzeit 2,43 Millionen angestiegen. Darüber, wie viele von ihnen nicht freiwillig selbstständig bzw. scheinselbstständig tätig sind, gibt es keine verlässlichen Erhebungen.
In ver.di organisiert sind rund 30.000 Freie und Solo-Selbstständige – die Mehrzahl von ihnen im Medien- und Kunstbereich. Aber der Zuwachs an Mitgliedern kommt aus anderen Bereichen, derzeit vor allem aus Bildung, Wissenschaft und Forschung, aus dem Fachbereich besondere Dienstleistungen sowie aus dem Gesundheitswesen.
In der ver.di-Bundeskommission Selbstständige (BKS) arbeiten aktive Ehrenamtliche aus all diesen Bereichen mit. Sie stellen immer wieder fest, wie hoch die Schnittmenge der Probleme ist, die der Status „solo-selbstständig“ mit sich bringen kann. Auch wenn es so mancher Autor, so manche freie Journalistin oder freier Kameramann vehement von sich weisen: Die Gemeinsamkeiten mit dem selbstständigen Kurierfahrer, dem Kioskbetreiber oder der Friseurin auf Hausbesuch sind größer, als sie erwarten oder sich eingestehen wollen.
In der BKS führen wir Diskussionen um das Für und Wider von branchenbezogenen Mindesthonorarforderungen, über die Probleme der sozialen Sicherung; wir denken über Möglichkeiten kollektiven Handelns nach – überall dort, wo Selbstständige in betrieblichen Zusammenhängen arbeiten.

Wir sind der Wandel

Oft wird vom „Wandel der Arbeitswelt“ geredet, eine differenzierte Betrachtung ist jedoch selten. Risiken und Nebenwirkungen scheinen meist nur in skandalisierenden Berichten über Werkvertrags- oder Zeitarbeitsunternehmen auf; Solo-Selbstständige packt man gern in die Schublade „einsam und arm“. Vergessen wird gern, dass prekäre Arbeit auch bedeutet, heute viel Geld zu verdienen, aber nicht zu wissen, was in ein paar Monaten ist, dass man oder frau weder Familienplanung betreiben kann noch kreditwürdig ist.

Freie und selbstständige Arbeit, wie Medienschaffende sie leisten, ist ein wichtiger Aspekt des viel zitierten Wandels der Arbeitswelt: oftmals vergleichbar prekär wie befristete Arbeitsverträge, erzwungene Teilzeitarbeit, Leiharbeit und Beschäftigte von Werkvertragsunternehmen. Solo-Selbstständigkeit kann sogar zur weiteren Untertunnelung anderer (via Mindestlohn gezähmter) prekärer Arbeitsformen missbraucht werden.
Viele (noch) Festangestellte in Redaktionen, Sendern und Verlagen scheinen sich nicht vor Augen zu führen, dass sie diese Gefahren oftmals schüren: Während sie bei Aufträgen über möglichst geringe Honorare verhandeln, sägen sie an ihren eigenen Stühlen. Aus Sicht ihres Arbeitgebers können Freie die Arbeitsaufgaben der bislang (tariflich abgesicherten) Festangestellten auch erledigen – aber viel billiger. Viele feste Stellen sind bereits gestrichen oder verlagert worden. Das Ende der Fahnenstange scheint vielerorts erreicht, aber selbst dort werden noch Einsparpotenziale identifiziert. Höchste Zeit für Festangestellte und Freie/Selbstständige, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Kollektive Lösungen suchen

Die ehrenamtliche BKS und andere selbstständig tätige Aktive arbeiten eng mit dem Referat Selbstständige und dem Beratungsnetzwerk mediafon zusammen. So werden gemeinsame Probleme und Interessen Freier und Solo-Selbstständiger identifiziert und im permanenten Dialog mit der Politik und den Fachstellen in Ministerien bearbeitet.
Aber das ist nur eine Seite der Medaille – gewerkschaftliche Durchsetzungsmacht ist immer dann möglich, wenn viele Freie und Selbstständige für einen Auftraggeber arbeiten und/oder sie sich (in einer Region, beruflich oder thematisch angebunden) vernetzen können. Voraussetzung ist, dass sie gemeinsame Positionen finden, statt gegeneinander zu konkurrieren. Kollektive Lösungen anzustreben, sich im betrieblichen Rahmen Gehör und Mitbestimmungsrechte zu verschaffen, kann ein Weg aus der Klemme von Überforderung und Unterbezahlung sein.
Viele Freie und Selbstständige arbeiten als „Randbelegschaften“ in der Privatwirtschaft (z.B. für Verlage), im öffentlichen Dienst (z.B. als externer Schreiber von Pressemitteilungen für ein städtisches Unternehmen) oder für Körperschaften des öffentlichen Rechts (z.B. für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten). Die Gewerkschaft soll die Position dieser Kolleginnen und Kollegen besser absichern, forderte der ver.di-Bundeskongress 2011 im Antrag J007 „Vertretung der Selbstständigen gegenüber Auftraggebern stärken“. In einigen Bereichen ist dies schon gelungen – etwa durch den Abschluss von Tarifverträgen für so genannte arbeitnehmerähnliche Personen. Erreicht wurde auch, dass in einigen Landespersonalvertretungsgesetzen diese Kolleg/innen in den Geltungsbereich eingeschlossen sind und feste Freie sich aktiv in den Personalräten engagieren.

Soziale Sicherung für alle

Soziale Sicherung ist das Thema, das Freie und Selbstständige – unabhängig vom Beruf – verbindet. Freie Kunst-und Medienschaffende haben es dank der Künstlersozialkasse leichter: Halbierung der Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung, dazu noch einkommensabhängig. In anderen Branchen Tätige haben diesen Vorteil nicht; bei ihnen wächst sich die finanzielle Dauerbelastung durch hohe Versicherungsbeiträge zur Existenzbedrohung aus.
Unser langfristiges Ziel sind deshalb einheitliche gesetzliche Sicherungssysteme für alle Erwerbstätigen, unabhängig von ihrem Erwerbsstatus unter finanzieller Beteiligung der Arbeit- und Auftraggeber. Es geht um gute Arbeit, Existenz sichernde Einkommen, den Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen und faire, einkommensabhängige Beitragsbemessung für alle.
Wir fordern: Wer Selbstständige beauftragt, wird im Rahmen einer gesetzlichen Auftraggeberbeteiligung sozialversicherungsabgabepflichtig. Diese Abgaben sind vom Auftraggeber direkt abzuführen und umfassen Beiträge zur Kranken-, Pflege- sowie zur gesetzlichen Rentenversicherung. – Eingesparte Sozialabgaben dürfen Arbeit nicht billiger machen.

ver.di bewegen

Wir als Personengruppe Selbstständige stoßen auf viele Widerstände – nicht zuletzt in unserer eigenen Gewerkschaft, die noch immer auf die klassische Arbeitnehmerschaft fixiert ist. Dass die Stimme der Freien und Selbstständigen in Bezug auf den Wandel der Arbeitswelt nach innen und außen noch nicht lauter ist, liegt an der – mit Blick auf das Potenzial sowie die gesamte ver.di-Mitgliedschaft – noch relativ geringen Mitgliederzahl. Erschwerend kommt hinzu, dass kontinuierliche ehrenamtliche Arbeit nur schwer leistbar ist, wenn man beruflich von Projekt zu Projekt jagt, Akquise betreiben und sich an die Termine von Auftraggebern halten muss sowie oftmals örtlich kaum noch angebunden ist. Dennoch bewegt sich etwas, auch in ver.di: Immer mehr Hauptamtliche, ehrenamtlich Aktive, Betriebsräte und Vertrauensleute denken um, damit unsere Gewerkschaft zukunftsfähig wird.
Der Wandel der Arbeitswelt – das sind auch Freie und Solo-Selbstständige, die wie Motten um das Licht großer Medienunternehmen, Sender, Verlage und Agenturen kreisen. Man muss uns gar nicht „einzeln einsammeln“, wie oft argumentiert wird. WIR müssen UNS endlich sammeln. Wir müssen gemeinsam überlegen, wie unsere Arbeit zukünftig aussehen soll und nach kollektiv durchsetzbaren Lösungen suchen.
Absolute Freiheit und maximale Sicherheit gehen nicht zusammen. Das ist eine Binsenweisheit. Dennoch sind die meisten von uns – trotz aller Risiken und Härten, trotz Zukunftsängsten und finanzieller Engpässe – mit Leib und Seele selbstständig. Wir brauchen faire Arbeits- und Honorarbedingungen, Perspektiven für die Berufstätigkeit und eine soziale Sicherung, wenn wir nicht (mehr) arbeiten können. All das wird uns keiner schenken. Ja – das ist eine Einladung, sich aktiv zu beteiligen. Wenn es viele tun, wird es für jede/n einzelne/n leichter – noch eine Binsenweisheit.

Gundula Lasch ist ehrenamtliche Vorsitzende der Bundeskommission Selbstständige (BKS) in ver.di

Immer mehr Freiberufler und Solo-Selbstständige

Unter Solo-Selbstständigen werden Personen verstanden, die eine selbstständige Tätigkeit allein, das heißt ohne angestellte Mitarbeiter, ausüben. Sie sind so genannte Ein-Personen-Unternehmen. Selbstständige üben definitionsgemäß in eigener Regie und auf eigenes Risiko ohne Weisungsbindung eine Geschäftstätigkeit aus. In der Praxis kann die Grenze zwischen selbstständiger und abhängiger Beschäftigung allerdings fließend sein – etwa wenn Selbstständige im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig und damit von diesem abhängig sind.

Das Wachstum an Selbstständigen in Deutschland ist seit den 1990er Jahren weit überwiegend auf eine steigende Zahl Solo-Selbstständiger zurückzuführen. Allein von 2000 bis 2011 stieg die Zahl der Solo-Selbstständigen um rund 40 Prozent auf derzeit etwa 2,43 Millionen. Sie arbeiten in der Mehrzahl in künstlerischen Berufen, sind als Journalist/innen, Autor/innen und Publizist/innen, aber auch als Lehrer/innen, Psycholog/innen, in pflegerischen Berufen, im klassischen Dienstleistungssektor und im Handwerk tätig.

Quelle: DIW

Forderungen zur sozialen Sicherung

Die Bundeskommission Selbstständige in ver.di hat zu den Aspekten sozialer Sicherung Forderungen aufgestellt. Das sind zur Krankenversicherung unter anderem:

  • dass die gesetzliche Krankenversicherung allen Selbstständigen offen steht,
  • dass Selbstständige Krankenversicherungsbeiträge zahlen wie Arbeitnehmer. Bemessungsgrundlage ist das reale Erwerbseinkommen.
  • dass die Krankenversicherungsbeiträge jährlich entsprechend dem vorzulegenden Einkommensteuernachweis rückwirkend auch zurückerstattet werden und dass bei akuten Einkommensverlusten die kurzfristige Reduzierung nach Anzeige möglich ist.

Zur Rentenversicherung fordern wir

  • dass alle Selbstständigen, die nicht über berufsständische Versorgungswerke abgesichert sind, gesetzlich rentenversichert sind.
    Die Beiträge bemessen sich am Erwerbseinkommen und werden wie bei der Krankenversicherung regelmäßig angepasst.
  • Langfristig fordern wir eine gesetzliche Altersvorsorge für alle Erwerbstätigen, die auch Kammern und Versorgungswerke integriert und Altersarmut verhindert.

Zur Arbeitslosenversicherung fordern wir,

  • dass die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige bleibt – als Pflichtversicherung auf Antrag.
    Die Beiträge und Leistungen bemessen sich wie bei Arbeitnehmern am realen Einkommen (3,0 Prozent).
    Der Ausschluss nach zweimaliger Inanspruchnahme wird abgeschafft.
  • dass die Arbeitslosenversicherung offen ist für alle, auch langjährig Selbstständige und Einsteiger ohne Vorversicherung.
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