Gefährten: Satire und Journalismus

Es ist kurios: Während seit Jahren über die Krise des Journalismus diskutiert wird, lockt die Satiresendung heute show regelmäßig 3–4 Millionen Zuschauer_innen mit politischen Inhalten vor die Bildschirme – eine Quote von der klassische Politmagazine nur träumen können. Noch extremer ist die Lage in den USA. Dort
dienen Satireformate gerade jungen Bürger_innen als wesentliche Informationsquelle zu politischen Themen. Ist Satire also der bessere Journalismus? Die Antwort lautet natürlich: nein!

Gewiss zielen Satiriker_innen mit ihren scherzhaften Werken auf die Entlarvung gesellschaftlicher Schieflagen. Dabei können sie aber keine dermaßen intensive Recherche betreiben wie investigative Redak­tionen. So wurde Verkehrsminister Dobrindt zwar monatelang von satirischer Seite für seine Schonung der Autoindustrie kritisiert, echte Bewegung brachte jedoch erst die akribische Arbeit von Monitor und
Spiegel rund um den „Opel-Skandal”. Allerdings entfachen nicht alle journalistischen Enthüllungen eine solche öffentliche Schlagkraft. An dieser Stelle kann Satire helfen. Der zentrale Vorteil liegt dabei in ihrem spielerischen Wesen, bei dem sich Lachen und Information nicht ausschließen. Zum Beispiel nutzt die heute show neben einfachen Pointen auch Bezüge auf bestehende journalistische Beiträge, die den ernsten Kern ihrer Scherze untermauern. Dadurch erreicht sie nicht nur politisch interessierte Bürger_innen, sondern auch solche, die primär unterhalten werden wollen. Diese Zweitverwertung von Journalismus kann dessen Reichweite deutlich erhöhen – besonders über das Fernsehen hinaus. Gerade über Online-Kanäle werden satirische Werke massenhaft geteilt und diskutiert. Zwar fällt die Balance zwischen Information und Unterhaltung je nach Sendung sehr verschieden aus, einige Produzent_innen nutzen aber bereits die Vorteile im Internet und ergänzen dort externe Quellen, über die sich das Publikum genauer informieren kann. Neben der Reichweiten-Steigerung bestehender Berichte kann Satire auch selbst Themen setzen. Als Meister der Zuspitzung verstehen es Satiriker, den Nerv der Menschen zu treffen. Dies können sie nutzen, um Probleme in den medialen Fokus zu rücken, die zuvor eher vernachlässigt wurden. Das Lied „Erdowie, Erdowo, Erdogan” von Extra3 und Böhmermanns Magazin Royale entfachte folglich nicht nur einen Social-Media-Hype, sondern auch eine Diskus­sion über die Presse- und Kunstfreiheit in der Türkei und in Deutschland.

Durch das Hinterfragen der öffentlichen Berichter­stattung kann Satire auch die Medienlogik selbst zum Objekt der Kritik machen. Je stärker Themen von journalistischer Seite nicht angemessen besprochen oder diskutiert werden, desto mehr Fläche bietet dies für satirische Angriffe. Das zeigt sich besonders deutlich in den Vereinigten Staaaten. Dort wird der Satire auch deshalb ein hoher gesellschaftlicher Stellenwert zugesprochen, da sie sich der aufgeheizten Nachrichtenlandschaft entgegenstellt. Der kritische Meta-Diskurs kann auch in Deutschland ein wichtiges Mittel sein, um Medienverdrossenheit zu begegnen. Satire ist zwar kein Journalismus, kann im Idealfall aber deutlich mehr sein als bloße Unterhaltung.

Dr. Benedikt Porzelt forscht und lehrt als Medienwissenschaftler seit mehreren Jahren zum Schwerpunkt Medien und Politik. Sein besonderes Interesse gilt dabei der unterhaltsamen politischen Kommunikation Foto: privat
Dr. Benedikt Porzelt forscht und lehrt als Medienwissenschaftler seit mehreren Jahren zum Schwerpunkt Medien und Politik. Sein besonderes Interesse gilt dabei der unterhaltsamen politischen Kommunikation
Foto: privat

 

Weitere aktuelle Beiträge

Rechte Gratiszeitungen machen Meinung

In Ostdeutschland verbreiten kostenlose Anzeigenblätter zunehmend rechte Narrative – etwa der Hauke-Verlag in Brandenburg. Unter dem Deckmantel von Lokaljournalismus mischen sich Werbung, Verschwörungserzählungen und AfD-Propaganda. Möglich wird das auch wegen der Krise des Lokaljournalismus: Wo es kaum noch Medienvielfalt gibt, füllen rechte Angebote die Lücken.
mehr »

Jüdische Journalisten: Mehr Sachkenntnis nötig

Der Verband Jüdischer Journalistinnen und Journalisten (JJJ), der sich Ende vergangenen Jahres gegründet hat, vermisst eine sachliche und unabhängige Berichterstattung im Hinblick auf den Krieg im Nahen Osten. Vorstandsmitglied Lorenz Beckhardt erklärt, wie hier inzwischen der Kampf um Deutungshoheit den journalistischen Auftrag in den Hintergrund drängt und warum das ein Problem darstellt.
mehr »

„Von Wertschätzung meilenweit entfernt“

Der Juli ist Urlaubszeit, aber auch Verhandlungszeit. Nach zehn zähen Verhandlungsrunden mit den Zeitungsverlegern und mehrfachen Warnstreiks, hat die dju in ver.di endlich einen Abschluss für Tausende von Journalisten in ganz Deutschland erreichen können. Einer der beim Tarifvertrag mitverhandelte, ist Peter Freitag, Co-Vorsitzender der dju in ver.di und Redakteur für Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau.
mehr »

NIUS: Eine Bühne für rechte Hetze

Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt inszeniert sich seit zwei Jahren auf der Krawall-Plattform „Nius“ als Kämpfer gegen alles vermeintlich oder tatsächlich Linke, Woke, gegen „verlogene Eliten“ und als Gegenpol gegen den verhassten Berliner Hauptstadt-Journalismus.
mehr »