Gegengift zu Sarrazin

Marjan Parvand ist Vorsitzende der „Neuen deutschen Medienmacher“

Ein lauer Juniabend in Köln, die Fenster im Café-Theater „die wohngemeinschaft“ sind weit geöffnet, eine bunte Runde von Frauen und Männern lauscht der kleinen Gruppe auf der Bühne, die Texte aus dem „Manifest der Vielen“ vorträgt – einem Buch, das sich als „Gegengift zu Sarrazin“ versteht. Dreißig profilierte Autorinnen und Autoren mit Migrationshintergrund haben über ihr Leben in Deutschland, über Fragen zu Identität und Heimat geschrieben. „Besonders der Text zur Integrationsverweigerung hat mir gut gefallen. Habt ihr die Debatte nicht auch satt“, fragt eine zierlich und zugleich sportlich wirkende Frau mit fester Stimme aus dem Publikum. Es ist Marjan Parvand, Vorsitzende der „Neuen deutschen Medienmacher“ und Planungsredakteurin bei ARD-Aktuell.


Integrationsverweigerer Ekrem Senol schien ihr aus der Seele gesprochen zu haben: „Wir müssen uns nicht integrieren, denn Deutschland ist ein freiheitlicher Staat, der Ihnen das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gibt.“ Nach der Lesung, die ihre Kölner Medienmacher-Mitstreiterinnen organisiert haben, wird Marjan Parvand noch lange in kleinen Grüppchen weiterdiskutieren. Obwohl sie bereits seit sechs Uhr früh auf den Beinen ist: Arbeiten in Hamburg, Gespräch mit Integrationsminister Schneider in Düsseldorf in Sachen Medienmacher und abends in Köln die Lesung. Dazwischen nimmt sie sich noch Zeit für ein Gespräch mit mir, denn am nächsten Tag ist der Terminkalender noch enger: Medienmacher-Vorstandssitzung und dann wieder zurück nach Hamburg.
Energiebündel, Powerfrau – wie kann man die sympathische, natürlich wirkende, selbstbewusste Frau mit dem wuscheligen hochgesteckten Haar und den lebendigen tiefbraunen Augen charakterisieren? Blicken wir auf ihren steinigen und doch irgendwie gradlinigen Lebensweg: Geboren wurde Marjan Parvand 1970 in Teheran. Fünf Jahre später sind die Eltern mit ihr und dem Bruder in die USA ausgewandert. Als „überzeugte Demokraten“ entschieden sie sich nach dem Umsturz 1979 in den Iran zurückzukehren – allerdings zunächst nur für ein paar Monate, um zu sehen, „was sich da tut“. Im Zuge der Islamischen Revolution wurde die amerikanische Botschaft aber besetzt und alle Dokumente, auch ihre Pässe verbrannten oder landeten im Reißwolf. Da die meisten Länder ihre Beziehungen zum Iran abbrachen, dauerte es Jahre, bis die Familie neue Papiere erhielt.
1984 wanderte sie dann nach Deutschland aus – zunächst nach Bremen, wo sie sechs Monate lang „nur Aufenthaltsstatus hatten“. Dann zog die Familie nach Hamburg. Marjan Parvand konnte endlich wieder zur Schule gehen – zunächst in eine Klasse für Schüler ausländischer Herkunft. Dort hatte sie einen Lehrer, der ihr ohne Vorurteile begegnete und die deutsche Sprache von Grund auf beibrachte. „Einer der wichtigsten Menschen in meinen Werdegang ist dieser Lehrer Herr Busse“, sagt Marjan Parvand, weil er sie förderte und dazu beitrug, dass sie aufs Gymnasium kam. 1990 machte sie ihr Abitur – mit einem so glänzenden Notenschnitt, dass sie Medizin studieren konnte. „Meine Eltern waren natürlich bannig stolz, aber es war nicht das Richtige für mich, ich war todunglücklich, fand’s total langweilig und brach das Studium ab.“ Sie entschied sich für Germanistik, Medienkultur und Amerikanistik und begann schon während des Studiums für Zeitungen zu schreiben, machte gegen Ende ein Fernsehpraktikum. Als sie in Hamburg ihre Magistraarbeit schrieb, jobbte sie bereits beim Heute Journal. „Ich habe dafür gekämpft, dass ich da hinkomme, wo ich bin“.
„Ich habe gar nicht so viele Praktika gemacht, sondern habe von Anfang an – da ich auch wenig Geld hatte während des Studiums – darauf bestanden, dass ich bezahlt werde. Dadurch war ich Teil der Redaktion und habe die Aufgaben erledigt, die man erledigen musste – ich habe z.B. die Medienseiten der Hamburger Morgenpost geschrieben und Fernsehfilme besprochen.“ Beim ZDF Morgenmagazin in Berlin arbeitete sie von 1999 bis 2001 als Redaktionsassistentin. Dann wechselte sie zum privaten Nachrichtensender N 24, wo sie als Redakteurin eingestellt wurde. Bevor der Sender 2001 von München nach Berlin zog, pendelte sie zwischen beiden Städten. In den Redaktionen hätten die meisten sich gefreut, dass sie fließend Englisch, Farsi und Deutsch spreche, sie sei aber nicht auf Migrationsthemen festgelegt worden.
„Irgendwie muss ich was richtig gemacht haben“, meint sie rückblickend. Sicherlich sei es wichtig gewesen, eine Bezahlung zu fordern und selbst auch Themen vorzuschlagen und durchzusetzen, die sie spannend fand. Ein gesundes Selbstbewusstsein sei „total wichtig“, meint Marjan Parvand, die aus einer Bildungsfamilie stammt – mit belesenen Eltern, die ihre Kinder ermuntern, zu sagen, was sie denken. Es gebe auch Journalisten und Journalistinnen mit Migrationshintergrund, die ein solches Selbstbewusstsein erst in Jahren entwickeln, weil sie nicht wie sie durch Elternhaus und Schule gefördert wurden.

Hürden sehen und überwinden

„Meine Karriere ist so lange glatt verlaufen, wie ich selbst die Hürden nicht gesehen habe, die es für Journalisten mit Migrationshintergrund gibt“, bilanziert Marjan Parvand. So wollte sie stärker in der N 24-Parlamentsredaktion mitarbeiten, da sie sich sehr intensiv mit Innenpolitik beschäftigt. Aber sie hatte das Gefühl, dass es bei N 24 relativ klar war, wo der Redaktionsleiter stand und wie er sein Personal aussuchte: „Ich passte halt nicht in sein Bild der innenpolitischen Redakteurin.“ Um politisch aktiv zu werden, sei es wichtig, „zu erkennen, woher man kommt“, sagt Marjan Parvand. Politisch geworden sei sie erst 2005, 2006, weil sie bis dahin alle Hürden mit Engagement und Hartnäckigkeit überwinden konnte. Im Netzwerk der „Neuen deutschen Medienmacher“ sei ihr bewusst geworden, was sie nicht habe machen können – wegen ihres Migrationshintergrunds.
„Am Anfang waren wir eine Handvoll Journalisten, die sich in Berlin in irgendwelchen Kneipen getroffen und einander erzählt haben, was ihnen stinkt“, erinnert sie sich. Die eine habe gesagt, sie wolle nicht immer „die Migrantin vom Dienst“ sein. Die andere meinte, es gebe überhaupt keinen Nachwuchs und sie selbst habe oft die stereotype Berichterstattung beklagt: „Wenn’s um Migranten geht, bleibt mir die Luft weg. Wenn wir wieder die Frau mit Kopftuch zeigen von hinten mit drei Alditüten und die Kinder vorneweg. Das will ich nicht!“ Durch diese Treffen seien sie politisiert worden. Sie hätten das Gefühl gehabt, es ändere sich nichts, wenn sie nicht den Mund aufmachten. Da sie sich von anderen Organisationen zu Medien und Migration nicht vertreten fühlten, gründeten sie 2008 die „Neuen deutschen Medienmacher“ – in Anlehnung an die Neue Deutsche Welle, mit der sie in den 80er Jahren musikalisch sozialisiert wurden. „Wichtig ist, dass wir ein Netzwerk wurden von Leuten, die über sich selbst sprechen.“
Die Politisierung der Marjan Parvand schreitet voran. Als sie 2008 bei ARD Aktuell anheuerte, warb sie offensiv und erfolgreich mit ihrem Migrationshintergrund: „Internationalisieren Sie doch Ihre Redaktion!“ In einem vorwärts-Interview 2009 sagte sie noch selbstbewusst: „Wir haben die Quote nicht nötig!“ Und heute? Als Verein hätten sie dazu noch keine klare Positionierung, erläutert die Vorsitzende. Sie selbst sei inzwischen aber der Meinung, dass die Quote kommen muss. Bei ARD Aktuell sei Erkan Arikan außer ihr der einzige fest angestellte Redakteur mit Migrationshintergrund. In den Redaktionen sehe sie, dass es qualifizierten Nachwuchs gibt, der aber nicht zum Zug kommt. Das will Marjan Parvand zusammen mit den Medienmachern ändern.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Recherchen für die Demokratie

Die Uhr tickt – politisch und ökologisch. „Der Ton wird rauer, die Angriffe intensiver“, so NDR-Intendant Joachim Knuth im Begrüßungsgespräch mit Daniel Drepper, dem Vorsitzenden der Journalist*innenvereinigung Netzwerk Recherche (NR), die ihre Jahreskonferenz unter das Motto stellte: „Now is the time. Recherchen für die Demokratie“. Etwa 900 Teilnehmende trafen sich beim NDR Fernsehen in Hamburg zu Austausch und Debatte über die Rolle der Medien in Zeiten des politischen Rechtsrucks und der Klimakrise. 
mehr »

Reformstaatsvertrag: Zweifel am Zeitplan

Der Medienrechtler Dieter Dörr bezweifelt, dass es den Bundesländern gelingt, sich gemäß ihrer Planungen bis Ende Oktober auf einen Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verständigen. Er halte „diesen Zeitplan, um es vorsichtig auszudrücken, für ausgesprochen optimistisch“, sagte Dörr auf M-Anfrage. Nach dem bisherigen Fahrplan sollte der Reformstaatsvertrag dann bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2024 unterzeichnet werden.
mehr »

Reform oder Abrissbirne im Hörfunk

Die Hängepartie um Finanzierung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) geht weiter. Nach wie vor sträuben sich ein halbes Dutzend Ministerpräsidenten, der Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) für eine Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro zu folgen. Bis Oktober wollen die Länder einen Reformstaatsvertrag vorlegen, um künftig über Sparmaßnahmen Beitragsstabilität zu erreichen. Einzelne ARD-Sender streichen bereits jetzt schon ihre Hörfunkprogramme zusammen.
mehr »

Filmschaffende kriegen künftig mehr

In der achten Tarifverhandlungsrunde für die rund 25.000 Filmschaffenden haben sich die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), die Schauspielgewerkschaft BFFS und die Produktionsallianz auf Eckpunkte einer vorläufigen Tarifeinigung verständigt. Doch nicht alle Verhandlungsthemen konnten geklärt werden. Die Frage nach der Regelung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Film wurde verschoben.
mehr »