Gehen uns die Reporter aus?

Aus der Rede von Fritz Pleitgen, Intendant des WDR, beim Journalistinnen- und Journalistentag

Ihr Thema ist von grundsätzlicher Bedeutung für unseren Beruf und auch für unsere
Gesellschaft … Die Qualität des Informationsstandes bestimmt die Qualität des Bewußtseins einer Gesellschaft; ihren Geist, ihre Charakterstärke und ihre Zukunftschancen.

Die Presse ist nicht die Schule der Nation, aber sie ist für unsere Gesellschaft von hohem Wert. Deshalb wird ihr auch von der Verfassung ein entsprechender Rang zugewiesen. Die Presse, gedruckt oder elektronisch, hat durch gute Information – nicht allein durch eindimensionale Aktualität, sondern auch durch hintergründige Einordnung – dazu beizutragen, daß die Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, souveräne Entscheidungen zu treffen.Ich greife damit keineswegs zu hoch, sondern nehme mir nur ein schlichtes Beispiel an Thomas Jefferson. Er prägte den für uns schönen Satz: „Sollte ich gefragt werden, was wichtiger ist, eine Regierung ohne Zeitungen oder Zeitungen ohne eine Regierung, dann würde ich mich für das zweite entscheiden.“ Als er später an der Regierung war, hätte er diesen Satz allerdings gerne kassiert. Er konnte es nicht mehr. Gut so! So steht dieser Ausspruch ehern zu unser aller Vorteil in der Geschichte …

In meinen Sturm- und Drangjahren, die auch beeinflußt waren von der 68er Bewegung, kam der Begriff vom „engagierten Journalismus“ auf. Man hatte nicht nur zu berichten, sondern auch Position zu beziehen. Ich muß bekennen, für mich wie für viele andere hatte das etwas Befreiendes. Bis dahin war eher ein staatstragender Stil gepflegt worden …

Aber rückblickend kann ich nicht ohne Selbstkritik feststellen: Bei allem Elan darf das Augenmaß und der kühle Blick nicht verlorengehen. Der „engagierte Journalismus“ hat unserem Berufsstand gut getan, denn er hat Ketten konventionellen Denkens und Wohlverhaltens gesprengt. Aber das Wahre war und ist er als journalistische Maxime nicht.Wie viele in unserer Branche bin ich ein Wildwuchs oder ein Selfmademan. Meiner hat sich nie jemand richtig angenommen, was journalistische Kontrolle oder Weiterbildung angeht. Nachträglich betrachte ich das als Manko, weshalb ich heute größten Wert nicht nur auf eine qualifizierte berufliche Ausbildung (die ich hatte), sondern auch auf intensive Betreuung und Weiterbildung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lege.

Dies ist, da die Anforderungen aufgrund des Wettbewerbs und des durch die technologischen Errungenschaften verursachten Zeitdrucks beträchtlich gestiegen sind, heute und morgen notwendiger denn je …Die Recherche scheint sich in unserem Land zu einer dauerhaften Schwachstelle zu entwickeln. Einseitige Informationen sind mit höchster Vorsicht zu behandeln und, wenn der notwendige Gegen- oder Crosscheck nicht stattfinden kann, entsprechend zu markieren. Doch darauf wird nach meinem Eindruck häufig leichtfertig verzichtet; vielleicht aus Unkenntnis, vielleicht aus Zeitdruck, vielleicht aus Absicht, um dem Beitrag nicht die Überzeugungskraft zu nehmen …

Ebenso kommt es immer wieder vor, daß Fremdmaterialien ohne entsprechenden Hinweis übernommen werden, seien sie uns nun von Firmen, Ministerien oder wohltätigen Organisationen geliefert worden. Gegen diese Tour sind auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten noch nicht entschieden genug vorgegangen. Leider!

Mit der fortschreitenden Technik wandelt sich offenbar auch die Arbeitsweise. Die zeitraubende, oft anstrengende Vor-Ort-Recherche schwindet zusehends. Das Nachrichtenverteilsystem und die Datenbanken sind ja viel einfacher anzuzapfen. Dieser PC-Journalismus ist eine bedenkliche Sache. Er ist zu distanziert, er verläßt sich zu sehr auf andere und er verhindert Originalität.

Die Berichte werden immer gleicher und die Fehler schleppen sich durch. Mit dem Journalismus ist es bei uns wie mit dem guten deutschen Fluß. Er wird aus praktischen Gründen mehr und mehr kanalisiert. Entsprechend konturlos rauschen die Beiträge vorbei.Was wir brauchen, was wir leisten müssen in dieser Flut von Informationen, ist originelle, ist authentische Berichterstattung. Diese muß eine Domäne insbesondere der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bleiben, zumal der allgemeine Trend in eine andere Richtung läuft.

Täuscht mich der Eindruck, daß uns insgesamt die Reporterinnen und Reporter ausgehen? Haben sie noch Chancen, wenn doch aus dem PC alles viel schneller und billiger zu haben ist? Hüten wir uns vor solchen Entwicklungen! Die für die Demokratie lebensnotwendige Vielfalt ginge daran langsam, aber sicher zugrunde …Wir müssen unser Verantwortungsbewußtsein schärfen, ob denn das auch stimmt, was wir im Brustton der Überzeugung in die Öffentlichkeit bringen. Es bricht uns kein Zacken aus der Krone, Unzutreffendes oder erst recht größere Schnitzer zuzugeben. Wir sind das unserer „Kundschaft“ schuldig. Außerdem erhöht das unsere Glaubwürdigkeit, anstatt die Leser-, Hörer- beziehungsweise Zuschauerschaft in dem Irrglauben zu lassen, wirklichkeitsgetreu informiert zu sein.

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