„Wie fühlen Sie sich, wenn während der Trauerfeier 50 Kameras auf Sie gerichtet sind?“ – „Die meisten haben einfach nur ihre Arbeit gemacht. Schwarze Schafe gibt es immer!“ – „Wir brauchen gemeinsame ethische Regeln!“ Betroffene, Medienschaffende und Ethiker_innen diskutierten am 15. Oktober auf Einladung von dju in verdi NRW, Presserat und Grimme-Institut bei der Landesmedienanstalt in Düsseldorf über den „Germanwings-Absturz und die Folgen – was lernen wir daraus?“
Die Initiative ging von dju-Landesvorstand Udo Milbret aus, der eine berufsethische Reflexion über den Katastrophen-Medienhype anregen wollte – angesichts der harschen Kritik Betroffener. Einer von diesen ist Mika Baumeister, Abiturient des Joseph-König-Gymnasiums im westfälischen Haltern. 16 seiner Mitschüler und zwei Lehrerinnen waren bei dem Flugzeugabsturz am 24. März 2015 ums Leben gekommen. Er kritisierte die rücksichtslose „Sensationsgeilheit“ der „Medienmeute“, die für ein Foto oder ein paar Worte die Flatterbandabsperrung auf dem Schulgelände missachtete, Schülern Geld für Interviews bot und einer wollte – als Lehrer verkleidet – Gesprächsfetzen abgreifen. Übertragungswagen parkten die Schulbushaltestelle zu, Angehörige wurden mit Klingeln an der Haustür oder „Telefonterror“ überzogen. Baumeister forderte mehr Empathie für die Betroffenen: Privatsphäre wahren und Abstand halten!“
Informationspflicht: „Achtsam“ sein!
Oliver Auster, Bild-Redaktionsleiter NRW, zeigte zwar Verständnis, meinte aber, die Journalisten hätten nur ihre Arbeit gemacht, seien ihrer Informationspflicht nachgekommen: „Wir haben das Interesse bedient, das offenkundig da gewesen ist!“ „Akut traumatisierte Menschen können keine relevanten Informationen liefern“, entgegnete die Journalistin Petra Tabeling, die heute als Trainerin in Kooperation mit dem Dart Center für Trauma und Journalismus arbeitet, das sie 2006 in Deutschland aufbaute und viele Jahre leitete. Sie plädiert für einen „achtsamen Journalismus“: „Wir lernen mit Prominenten und Politkern umzugehen, aber nicht mit Opfern von tragischen Ereignissen.“ Dazu und wie Journalistinnen und Journalisten selbst belastende Situationen verarbeiten können, bietet Tabeling mit Kollegen über das Portal „nicht schaden“ Trainings und Schulungsmaterial an. Auster sagte, Katastrophen wie der Germanwings-Absturz ließen Reporter zwar „nicht kalt“, aber „wir brauchen keine Schulungen oder Betreuung danach. Wir müssen selbst damit zurechtkommen!“
Die Redaktion der „Haltener Zeitung“ erlebte die Germanwings-Katastrophe auch aus der Perspektive Betroffener. Redaktionsleiter Benjamin Glöckner: „Vier Kollegen kannten Opfer und deren Familien. Wir mussten uns selbst erst mal sammeln.“ Das Telefon klingelte ständig, Medien wollten Fotos, Interviews: „Ich musste Kollegen abwimmeln, wir haben das personell nicht geschafft.“ Leitlinie der Redaktion sei Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen gewesen. Sie hätte viel Serviceberichterstattung gebracht: Absagen von Veranstaltungen, Hinweise auf Trauerstätten.
Konkurrenzdruck: Sorgfalt vor Schnelligkeit!
Im Gegensatz zur Lokalzeitung sind überregionale Medien stärker dem Wettbewerb ausgesetzt und das fördert oftmals Schnelligkeit vor Sorgfalt. Die Folge: „Alle Journalisten liefen in dieselbe Richtung“, so eine Kritik aus dem Publikum. Sie spekulierten wild über die Absturzursachen, veröffentlichten umgehend den vom französischen Staatsanwalt genannten Namen des Germanwings-Co-Piloten und ein Facebook-Foto, das Reuters verbreitete. Presseratsmitglied Matthias Wiemer: „Dran bleiben ist alles. Das Karussell des Wettbewerbs dreht sich, befeuert durch social media.“ Die Redaktionen stünden unter dem Druck, mitzuhalten, doch sie könnten sich nicht auf andere berufen, sondern seien selbst verantwortlich für ihr Tun.
Der Presserat erhielt 431 Beschwerden – vor allem wegen Missachtung von Persönlichkeitsrechten und Sensationsberichterstattung, berichtete Geschäftsführer Lutz Tillmanns. Zwei Rügen wurden erteilt. Die Namensnennung des Co-Piloten, der den Absturz herbeiführte, verstieß wegen der „besonderen Tragweite“ seiner Tat aber nicht gegen den Pressekodex. Die für Privatsender zuständige Landesmedienanstalt NRW erteilte keine Beanstandungen. Nach Auskunft von Holger Girbig gingen nur drei Beschwerden gegen die Germanwings-Berichterstattung ein, die mit Bezug auf den Pressekodex abgewiesen wurden.
Da könnten sich doch alle Journalisten auf einen gemeinsamen Kodex verpflichten, warb Presseratsgeschätsführer Tillmanns. Oder zumindest auf einheitliche Begriffe, meinte der Duisburger Germanistik- und Medienprofessor Rolf Parr – zumal die Rezipienten meistens mehrere Medien nutzten. Noch weiter ging ein Vorschlag aus dem Publikum: Ein „Bürgerportal“ als Beschwerdeinstanz für alle Medienkontrollinstitutionen könne eine Demokratisierung befördern, so der Schweizer Medienwächter Roger Blum.
Links:
Blog von Mika Baumeister: http://meistergedanke.de/
Trauma und Journalismus: https://nichtschaden.wordpress.com/
http://dartcenter.org/traumajournalismus/flugzeugunglueck-4u9525-und-die-medien/