Anmerkungen zur Debatte um Ethik und Manipulation im Fotojournalismus
Noch nie spielte das Thema Visualisierung im Journalismus eine so große Rolle. Damit ist auch das Thema Verantwortung im Fotojournalismus aktueller denn je. Beim World Press Photo Award wurden dieses Jahr allein 22 Prozent der Bilder wegen zu starker Bildbearbeitung abgewiesen. Die Wochenzeitung Die Zeit nahm dies Anfang Juli zum Anlass, mit dem provokanten Titel „Glauben Sie nicht, was Sie sehen!” aufzumachen. Stehen wir damit kurz vor einer ethischen Bankrotterklärung des Fotojournalismus und einem Bedeutungsverlust professioneller Augenzeugenschaft?
Unbestreitbar ist, dass die rasanten technischen Entwicklungen sowie die großen Umwälzungen auf dem Medien- und Bildermarkt eine Situation geschaffen haben, die eine neue Diskussion professioneller Verantwortung im Fotojournalismus notwendig machen. Der Fotojournalismus stellt heute ein extrem komplexes und vielschichtiges Berufsfeld dar, in das weit mehr Akteure als nur Fotografen und Bildredakteure involviert sind. Kaum ein überregionales Medium kommt heute z.B. ohne einen Art Director aus und Agenturen als Zwischenhändler bekommen eine immer größere Bedeutung.
Verschiedene Verantwortungsebenen.
Trotz allem liegt der Fokus bildethischer Debatten bis heute meist auf der individuellen Verantwortung des Fotografen. In der Praxis sind es Individuen, die von Wettbewerben ausgeschlossen werden oder die ihre Jobs verlieren, wenn ihnen Manipulation nachgewiesen wird, wie im Fall des mexikanischen AP-Fotografen Narciso Contreras im vergangenen Jahr. Agenturen, Redaktionen und Medienunternehmen kommen dagegen meist ungeschoren davon, wenn es Skandale in ihren Häusern und Medien gibt. Das Schlimmste, was einem Medium beispielsweise in Deutschland bei bildethisch inadäquatem Verhalten widerfahren kann, ist eine Rüge des Deutschen Presserats.
Dabei reagieren Fotografen in ihrer Arbeit auf den Bildermarkt und seine Konventionen. Hinter den Fotografen stehen immer auch Auftraggeber mit eigenen Interessen und klaren Vorstellungen. So werden z.B. die Standards, an denen sich Fotoreporter orientieren, unter anderem von Wettbewerben wie dem World Press Photo Award und den Anforderungen der zentralen Akteure des Bildermarkts mit geprägt. Kaum ein Fotograf kann losgelöst von diesen Einflussgrößen agieren. Dies zeigt die große Verantwortung der den Markt beherrschenden Institutionen.
Hausgemachte Probleme.
Viele bildethische Probleme vor allem in Bezug auf Grenzen der Bildbearbeitung sind hausgemacht und haben ihre Ursache unter anderem im Verschwimmen der Grenzen zwischen Fotojournalismus und kommerzieller Fotografie. Vor allem freie Fotografen sind aufgrund der schlechten Auftragslage meist sowohl im Fotojournalismus als auch in der kommerziellen Fotografie tätig. So ist es nicht verwunderlich, wenn sich auch die Ästhetik vieler beim World Press Photo Award eingereichten Bilder immer mehr der Werbung annähert. Klare Regeln für die Bildbearbeitung im Fotojournalismus, wie sie einige Agenturen bereits verabschiedet haben und die eine Abgrenzung von der ästhetischen Praxis anderer fotografischer Gebrauchsformen zum Ziel haben, sind hier notwendig.
Der Visualisierungszwang publizistischer Medien hat darüber hinaus dazu geführt, dass Fotografien immer weniger als journalistisches Produkt denn zur reinen Visualisierung eingesetzt werden. Damit treten immer öfter Probleme der Kontextualisierung auf. Dies zeigt sich beispielsweise auch an assoziativen statt sachlichen Bildunterschriften. Hier macht sich der fehlende Kontakt zwischen den Fotografen und den Bildredaktionen bemerkbar, was vor allem in der Nachrichtenfotografie heute den Normalfall darstellt. Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des (Foto-)Journalismus muss hier eine größere Sorgfalt an den Tag gelegt werden.
Ein nicht zu unterschätzender Faktor sind auch die Auswirkungen prekärer Arbeitsverhältnisse in Folge der weltweiten Medienkrise. Immer weniger Geld steht für zeit- und kostenintensive qualitativ hochwertige fotojournalistische Arbeit zur Verfügung. Dies gilt auch für den Bereich der Bildredaktion. Wenn wie im Lokaljournalismus die Bildauswahl von den Textredakteuren übernommen wird und Magazine ihre Bildredaktionen verkleinern oder gleich ganz outsourcen, gehen Erfahrungen und medienspezifisches Bildwissen verloren. Das erschwert die Entwicklung bildethischer Standards auf Seiten der Bildredaktionen.
Die wichtigste Funktion des Fotojournalismus ist und bleibt die professionelle Augenzeugenschaft. Journalistische Bilder machen nur dann Sinn, wenn diese erhalten bleibt. Ansonsten drohen Bilder in journalistischen Medien zu belanglosen Visualisierungstools zu verkommen. Dies muss verhindert werden, wenn der Fotojournalismus in Zukunft seine gesellschaftspolitische Bedeutung nicht verlieren soll. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist verantwortungsvolles Handeln aller am Prozess der Bildkommunikation Beteiligten.