Grenzen bei Berichten auf Verdacht

Portrait von Jasper Prigge

Jasper Prigge, Rechtsanwalt für Urheber- und Medienrecht in Düsseldorf Foto: Kay Herschelmann

Alles was Recht ist

Rechtsanwalt Jasper Prigge beantwortet in den folgenden Monaten rechtliche Fragen, die für die journalistische Arbeit wichtig sind. Im Fokus: Pressefreiheit und Urheberrecht.

Wenn der Verdacht besteht, dass beispielsweise Wirtschaftsunternehmen oder Prominente eine Verfehlung begangen haben könnten, stellt sich die Frage: Darf ich den Namen nennen? Nicht selten kommt es vor, dass eine Verdachtsberichterstattung untersagt wird, so zum Beispiel kürzlich im Fall des Comedians Luke Mockridge. Vor allem bei Ermittlungsverfahren, aber auch anderen ehrenrührigen Vorgängen wie Affären, legen die Gerichte einen strengen Maßstab an.

Die Äußerung eines Verdachts greift in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen ein. Denn auch wenn zunächst noch so viele Anhaltspunkte bestehen, dass sich jemand falsch verhalten hat, kann es hinterher doch ganz anders gewesen sein. Trotzdem müssen die Medien die Möglichkeit haben, über Verdachtsmomente zu berichten. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die öffentliche Debatte über wesentliche Vorgänge erstickt würde. Man stelle sich vor, keine Zeitung und kein Fernsehsender hätte die Maskendeals von Bundestagsabgeordneten thematisieren dürfen, nur weil die Vorwürfe nicht in allen Details bestätigt waren. Zudem ergeben sich aus der Berichterstattung nicht selten Ansatzpunkte für weitere Recherchen.

Um das Spannungsverhältnis zwischen Persönlichkeitsrechten einerseits und dem Interesse an einer Berichterstattung andererseits aufzulösen, müssen Journalist*innen besondere Sorgfaltspflichten einhalten. Im Ausgangspunkt gilt, dass die Wahrheit einer Behauptung im Streitfall nachgewiesen werden muss. Andernfalls handelt es sich um eine üble Nachrede, die gem. § 186 StGB strafbar ist. Da es aber gerade Wesen eines Verdachts ist, dass der Wahrheitsgehalt ungeklärt ist, kann seine Äußerung gerechtfertigt sein. Die Medien können sich unter bestimmten Voraussetzungen darauf berufen, dass die Berichterstattung in Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) erfolgt. Dies setzt aber voraus, dass sie ihren Sorgfaltspflichten genügt haben. Die Einhaltung der journalistischen Sorgfalt gibt ihnen gewissermaßen die Erlaubnis das Risiko einzugehen, dass sie mit ihrem Verdacht falsch liegen.

Die Rechtsprechung hat vier Kriterien (Checkliste) entwickelt, an denen eine Verdachtsberichterstattung zu messen ist.

Zunächst bedarf es eines Mindestbestands an Beweistatsachen. Das bedeutet, dass die Fakten auch unter Berücksichtigung entlastender Umstände den Schluss zulassen, dass der Verdacht zutrifft. Erst eine hinreichende Tatsachengrundlage sorgt dafür, dass aus der Spekulation eine berichtenswerte Nachricht werden kann. Die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens spricht dabei noch nicht dafür, dass genügend Anhaltspunkte für eine Berichterstattung vorliegen. Denn die Staatsanwaltschaft soll in einem Ermittlungsverfahren erst noch prüfen, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht. Nur wenn überhaupt nichts auf eine Tat hindeutet, es also an einem Anfangsverdacht fehlt, wird kein Verfahren eingeleitet.

Weiter muss es sich um einen Vorgang von einigem Gewicht handeln. Geht es um Bagatellen, ist das Interesse an der Berichterstattung im Vergleich zu den Beeinträchtigungen der Betroffenen zu gering.

Die Medien müssen sorgfältige Recherchen angestellt haben. Dazu gehört, dass sie den Wahrheitsgehalt von Anhaltspunkten kritisch hinterfragt haben. Vor allem ist den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zu äußern. Nur dann ist gewährleistet, dass die Berichterstattung ausgewogen ist. Die Anfrage muss schriftlich erfolgen, wobei zum Beispiel eine E-Mail ausreicht. Zudem ist eine Frist zu setzen, bis zu der eine Antwort eingehen muss, damit die Stellungnahme berücksichtigt werden kann. Die Fristsetzung sollte sich dabei daran orientieren, ob eine zeitnahe Reaktion erwartet werden kann. Während bei Unternehmen, zumal solchen mit einer Pressestelle, bei Fragen mit überschaubarer Komplexität wenige Stunden genügen, sollten Privatpersonen mindestens 24 Stunden gegeben werden. Die Stellungnahme muss nicht vollständig im Wortlaut wiedergegeben werden, sinngemäß sind die wichtigsten Argumente aber zu nennen. Antworten die Betroffenen nicht, ist dies ebenfalls zu erwähnen.

Schließlich darf keine Vorverurteilung erfolgen. Die Darstellung muss sachlich sein und muss auch entlastende Umstände berücksichtigen. Es gilt die Unschuldsvermutung, sodass nicht der Eindruck erweckt werden darf, es stünde bereits fest, dass die Betroffenen die Tat begangen hätten. So lange ein Verfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, sollte auf diesen Umstand hingewiesen werden. Auch wenn Unsicherheiten bestehen, sind sie als solche zu kennzeichnen.

Werden diese Grundsätze nicht eingehalten, ist die Berichterstattung rechtswidrig – und zwar selbst dann, wenn sich später herausstellt, dass der Verdacht zutreffend war. Sorgfaltspflichten sind daher nicht eine Frage der journalistischen Ehre, sondern können Abmahnungen und Gerichtsverfahren vermeiden. Es gilt daher: Eine sorgfältige Recherche ist der beste Schutz gegen unerwünschte Post.

 

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