Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Immer mehr Medienarbeiter haben keine feste Anstellung

Die Medienbranche nimmt vorweg, was sich anderswo erst in Ansätzen abzeichnet: So ist bei den privaten Fernsehstationen das feste Arbeitsverhältnis zur Ausnahme, die projektförmige Auftragsarbeit dagegen zur Regel geworden. Um die TV-Sender herum spannt sich ein weit verzweigtes Netzwerk von ausgelagerten Dienstleistungsanbietern. Entwickelt sich ein neues Jobber-Proletariat? Oder arbeitet die selbsternannte Medienboheme einfach anders? Thomas Gesterkamp hat nachgeforscht.

„Hot Jobs“ titelte die Zeitschrift „Bizz“. „Das neue Wirtschaftsmagazin“, das sich an junge Zielgruppen richtet, machte seiner Klientel Mut: „Die Medien-Industrie boomt … und so sind Sie dabei!“ Glaubt man dem Blatt aus dem Hause „Capital“, suchen die Kommunikationsunternehmen „1 Million neue Leute“. Daß nicht etwa von neuen Arbeitsplätzen, sondern unverbindlich von „neuen Leuten“ die Rede war, hat seinen Grund. Die passende Philosophie lieferte die Zeitschrift gleich mit: „Im Leben ist jeder sein eigener Unternehmer. Bizz – Sie sind der Boss.“ Schöne neue Medienwelt

Die Jubelorgie über die heißen Jobs hält sich nicht damit auf, nach den Arbeitsbedingungen bei Film und Fernsehen, bei Online-Diensten oder Telematikfirmen zu fragen. Rechtlicher Status und soziale Sicherung scheinen kein Thema in einer Branche, deren Mitarbeiter stolz darauf sind, an der glamourösen Welt der Stars und Sternchen teilhaben zu dürfen – auch wenn sie selbst nur die Kabel tragen. Cooles Auftreten und elitäre Selbstdefinition vieler Medien“leute“ stehen in offensichtlichem Mißverhältnis zur Qualität ihres Arbeitsplatzes: Verläßliche und auf Dauer angelegte Beschäftigungsstrukturen können die wenigsten erwarten.

Arbeit für ein paar Wochen, bestenfalls für ein paar Monate: Langfristigkeit ist in der kurzlebigen Szene nicht vorgesehen. Nach lukrativen Projekten kommt von einem Tag auf den anderen der tiefe Absturz: Die Talkshow wird eingestellt, der Moderator gekündigt, und mit ihm steht die ganze „Crew“ auf der Straße. Beispiel Roger Willemsen: Im Februar 1998 hatte der Fernseh-Intellektuelle seinen Vertrag mit dem ZDF verlängert.


„Er sah sich nun einem sich ständig wandelnden Netz von Geschäftsbeziehungen unterworfen: Jeder Anruf mußte beantwortet, noch die flüchtigste Bekanntschaft ausgebaut werden. Um Aufträge zu bekommen, ist er von der Tagesordnung von Personen abhängig geworden, die in keiner Weise gezwungen sind, auf ihn einzugehen.“
Richard Sennett, Der flexible Mensch


Zwei Wochen später zog eine Praktikantin seiner Produktionsfirma Noa Noa ein Schreiben aus dem Faxgerät, überflog das Papier und rief in die Runde: „Ich glaube, wir sind alle gekündigt!“ Die „Hauptabteilung Honorare und Lizenzen“ des Mainzer Senders teilte förmlich mit: „Den am 8. 2. geschlossenen Vertrag über die Produktionsreihe ,Willemsens Woche kündigen wir hiermit gemäß Ziffer 4 des Vertrages.“

Ähnliches passierte Margarete Schreinemakers bei SAT.1, Ulla Kock am Brink auf Pro 7 und Thomas Koschwitz in der „Late-Night-Show“ von RTL. Die Medienhelden selbst, für ihre Auftritte fürstlich bezahlt und stets auf dem Sprung zum nächsten Job im Rampenlicht, mögen solche Rauswürfe rein finanziell gut verkraften. Während sich ihre Probleme auf die Verletzung eigener Eitelkeiten beschränken, geht es für die Mitarbeiter in den von ihnen gegründeten Subfirmen ganz handfest um die Existenz.

Jobs auf Zeit

Hans Meisers Unternehmen nennt sich „Crea TV“, Sabine Christiansen unterhält den „Medienkontor“; Bärbel Schäfer spricht selbstironisch von „Couch Potatoes“, bei Alfred Biolek heißt es nüchtern „Pro GmbH“: Nahezu jede Bildschirm-Größe produziert ihre Sendung mittlerweile auf eigene Faust. Outsourcing ist weit verbreitet und gilt ab einem gewissen Bekanntheitsgrad geradezu als selbstverständlich. Entsprechend „lean“ präsentieren sich die Stammhäuser: RTL in Köln, der größte deutsche Privatkanal, kommt mit 900 Festangestellten aus, hat aber fast 4000 freie Mitarbeiter. SAT.1 bringt es auf rund 650 Stellen bei 3500 „Freien“. Egal, ob es um neue Witze für Harald Schmidt, um spannenden Stoff für die tägliche Seifenoper, um Lichttechnik, Studiodesign oder Prominenten-Casting geht: Die meiste Arbeit machen Hunderte von Zulieferfirmen, die häufig wiederum Aufträge an einzelne (Schein)Selbständige vergeben.

Die TV-Konzerne sind zwar keine „virtuellen Unternehmen“, aber extrem verschlankte Betriebe, die sich auf Koordinierungs- und Steuerungsaufgaben beschränken. Die Medienbranche funktioniert als Netzwerk, in dem Auftraggeber und Auftragnehmer im Rahmen eines bestimmten, zeitlich begrenzten Projektes zusammenarbeiten. Solche Arbeit auf der Basis von Werkverträgen kommt in jedem Fall billiger als extra Leute einzustellen. In der Sprache der Absatzwirtschaft ausgedrückt: Wenn die Markteinführung eines neuen Produktes scheitert – also der Film flopt, die Daily Soap im Quotentief versumpft – wären für überflüssig gewordene Angestellte teure Abfindungen fällig. Freiberufler dagegen verursachen außer ihrem Honorar keine Kosten – und sie kennen ihr berufliches Risiko.

Dubiose Formen der Selbständigkeit, Jobs auf Zeit und je nach Bedarf, keine Versicherungspflicht: Die Beschäftigungsformen im TV-Gewerbe lesen sich wie ein Auszug aus dem Horrorkatalog jedes gestandenen Gewerkschafters. Und dennoch hinkt das Bild vom „Medienproletarier“. Wer „beim Fernsehen“ ist, fühlt sich keineswegs wie ein Industriewerker aus dem vergangenen Jahrhundert. Er rechnet sich eher einer unkonventionellen Boheme zu. Acht Wochen Kaffeekochen im Praktikum, dann feste Dienste für eine Talkshow, nach kurzer Pause schließlich ein Casting-Job beim Konkurrenzsender: Daß auf diese Weise die bunte, immer wieder unterbrochene Berufslaufbahn zur Regel wird, stört die jungen Medienarbeiter meist nicht. Endlich in ihrer Traumbranche angelangt, schwanken sie zwischen Hoffnung und Ernüchterung, zwischen freigewähltem Unternehmertum und knallharter Ausbeutung.

Lebenskünstler unter 30

Marko Wassermann (Namen geändert) liefert RTL-Magazinen wie „Explosiv“ und „Exclusiv“ zu. Der 29jährige hilft in einer freien Produktionsfirma beim Recherchieren, Organisieren, Drehen und Schneiden – auf Abruf. Zwischen 30000 und 40000 Mark verdient er auf diese Weise im Jahr. Das reicht, er hat keine Familie zu ernähren und im Winter ist er häufig sowieso nicht da. Irgendwann im November packt ihn das Fernweh, er schnürt seinen Rucksack, vermietet sein Apartment unter und jettet gen Südostasien. Im Jahr darauf darf es auch mal Mittelamerika sein, denn in Guatemala ist es genauso billig wie auf Bali. Mitte April ist er wieder im Lande – und jobbt für RTL, wie gehabt. Ein Medien-Proletarier? Marko hält sich für privilegiert. Er genießt den Spielraum, den ihm seine Existenz als Selbständiger ermöglicht – und will gar keine feste Stelle. Vor ein paar Monaten hätte er bei einer Filmfirma einsteigen können – für ihn eine Perspektive mit Schattenseiten. Kreditverpflichtungen für das Startkapital, Perspektive 60-Stunden-Woche das ganze Jahr über. Der Lebenskünstler sagte dankend ab – und plante statt dessen die nächste Weltreise.

Im Gegensatz zur 620-Mark-Verkäuferin im Oberhausener CentrO werden viele Medienbeschäftigte relativ gut bezahlt. Monatliche Honorare bis in den fünfstelligen Bereich hinein sind bei wichtigen ZuarbeiterInnen erfolgreicher Fernsehformate keine Seltenheit – aber eben nur, solange die Einschaltquote stimmt. Wenn die Sendung plötzlich abgesetzt wird, ist das „Projekt“ zu Ende. Auf gute Zeiten mit 9000 Mark Umsatz folgen schlechte Zeiten ohne jeden Verdienst, denn Arbeitslosengeld kennt der Freiberufler nicht. Eine Durststrecke beginnt, doch Sicherheit im Sinne der traditionellen Sozialversorgung erwartet ohnehin niemand. Nützlich ist eine Errungenschaft der sozialliberalen Koalition aus den siebziger Jahren: In der durch Staat und Verlage bezuschußten Künstlersozialkasse können sich Selbständige in publizistischen Berufen preisgünstig kranken- und rentenversichern.


„Wir müssen das Konzept einer flukturierenden Belegschaft voranbringen, obwohl die meisten Arbeitskräfte innerhalb unserer Gebäude sitzen.
,Stellen‘ werden durch ,Projekte‘ und ,Arbeitsfelder‘ ersetzt.“
Ein leitender Angestellter der US-Telefongesellschaft AT & T


Diese Möglichkeit nutzt auch Niko Demmers (27), der sich nach einem geisteswissenschaftlichen Studium zunächst vergeblich um ein Volontariat beim Rundfunk beworben hat. „Der Platz an der Journalistenschule war sowieso nicht drin, also habe ich angefangen mich durchzuwursteln.“ Als Junge für alles begleitete er aktuelle Filmteams quer durch die Republik, raste von Unfallort zu Unfallort, schleppte Bänder und Mikrophone. In den herkömmlichen Ausbildungsstrukturen „ohne Chance“, nutzte er die Möglichkeit, sich selber zu qualifizieren: „Ich habe in den letzten Jahren mein Handwerkszeug gelernt.“ Im ungeregelten, aber durchaus produktiven Chaos der Fernsehwelt läßt sich darauf aufbauen: jetzt ist er bei einem kleinen Privatsender, nennt sich „freier Producing-Redakteur“ und verdient ganz anständig. Das sei „kein schlechter Job“, aber eigentlich hofft er auf den ganz großen Sprung nach oben:

Niko will irgendwann nicht mehr hinter, sondern vor der Kamera stehen.

Pflicht zum Gutdraufsein

Freiberufler brauchen Kunden und Aufträge. Das stellt hohe Anforderungen an die Persönlichkeit, verlangt eigene Initiative und Durchsetzungsvermögen. Vor allem Ältere mit festen Verpflichtungen zahlen einen hohen Preis, wenn sie das geschützte Dasein des Angestellten verlassen oder gar nicht erst angestrebt haben. Kein Zufall, daß die „Crews“ im Filmgeschäft und bei den Zulieferern der Privaten überwiegend aus jungen, ungebundenen Leuten um die 30 bestehen: Die Bodenständigkeit eines Lebens mit Kindern und Bausparvertrag läßt sich mit der verlangten Flexibilität und Belastungsfähigkeit kaum vereinbaren.

Acht Tage hintereinander ist Monika Heuring (32) für eine Talkshow im Einsatz. Sie telefoniert mit möglichen Studiogästen, schreibt Dossiers und Ansagen, bespricht sich mit der Moderatorin, organisiert Fahrdienste oder reserviert den Tisch im Restaurant für den netten Ausklang nach der Sendung. Acht Tage im Büro von 8 bis 22 Uhr, da bleibt keine Zeit für Freunde, geschweige denn für eine Familie. Monika Heuring ist Single, dafür fliegt sie, wie viele in ihrer Branche, über Silvester nach New York. Das kann sie sich leisten: Die Zuschauerzahlen sind stabil, Sendegarantie (auf dem Papier) bis Ende 1999. Doch „ewig reicht mir der Platz im Abspann nicht“. Und Kinder will sie auch. „Dann muß ich wohl was anderes machen“ – was jedoch kein Grund zur Beunruhigung ist. Schließlich hat sie sich einen Ruf erworben, wenn auch mit Qualitäten hinter den Kulissen. Im familiären Netzwerk der Medienszene kennt man sich untereinander, da kommt bestimmt der eine oder andere Tip, der einen Weg in die Zukunft weist: „Das wird sich schon finden.“

Optimismus, Durchhaltevermögen und Gutdraufsein sind Pflicht in der Spaßindustrie. Miesmacherische Gewerkschafter, die von Tarifverträgen oder gar von Bestandsschutz schwadronieren, haben einen schweren Stand. Medien-Proletarier aller Sender, vereinigt euch? Gegen wen sollen wir denn streiken? Der Chef ist doch einer von uns! Jeder ist seines Glückes Schmied, und wer keine Zeit hat, den Job zu machen, für den steht schon der nächste bereit. „Mancher selbständig Tätige ist abhängiger und schutzbedürftiger als der Arbeitnehmer im Betrieb“, hat IG Medien-Chef Detlef Hensche erkannt – und fordert „andere Formen der kollektiven Selbsthilfe“. Als Beispiele nennt er „das Angebot von Erfahrungsaustausch“, die „Abstimmung über Verwertungsbedingungen und Honorare“ sowie die „Unterstützung bei Vertragsverhandlungen“.

Prekäre Unternehmer

Die Gewerkschaft, einst als organisierte Gegenmacht derjenigen gegründet, die ihre Arbeitskraft nicht als Einzelne vermarkten können, als Beratungs-Agentur für Selbständige? Was heißt dann noch Interessenvertretung? Die Übergänge sind fließend: Kann der freiberufliche Produzent, der gegen seinen früheren Kollegen einen Urheberstreit wegen Diebstahl geistigen Eigentums führt, von seiner Gewerkschaft Rechtsschutz erwarten? Kann eine Bürogemeinschaft auf Unterstützung hoffen, die einem Newcomer verbieten will, unter ihrem eingeführten Namen öffentlich aufzutreten? Ist das ein Fall für den örtlichen DGB-Anwalt, der es als seine Kernaufgabe ansieht, willkürlich gekündigte Arbeitnehmer zu vertreten?

Die Antwort auf all diese Fragen lautet ja. Keineswegs werden hier sauer verdiente Mitgliederbeiträge an gut verdienende Freiberufler verteilt. Auch die im letzten Jahrzehnt boomende Fernsehindustrie stößt an die Grenzen ihres Wachstums, interessante Jobs und „Projekte“ sind schwieriger zu finden. Nicht alle freien Medien“leute“ sind Lebenskünstler oder Erfolgsunternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft. Zunehmend finden sich unter ihnen moderne Tagelöhner, denen nichts anderes übrig bleibt, als sich unter prekären Bedingungen als (Schein)Selbständige anzubieten. Letztendlich geht es also um neue Formen der Solidarität in einer sich wandelnden Arbeitswelt – und damit auch um die Zukunft der Gewerkschaften.

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